Gegen die Macht Weißer Männer

Bei der Frauenquote geht es nur sehr langsam nach oben. Grafik: Pixabay

Mehr Vielfalt und Gleichberechtigung wollen alle Parteien der Ampel-Koalition in spe, doch bei der Umsetzung zählen die einen auf gesetzliche Regelungen, die anderen auf Marktkräfte. Impulse in beide Richtungen gibt der Online-„Quotenkongress“, zu dem ProQuoteFilm eingeladen hatte. Unter dem #ZusammenSindWirStärker diskutierten fünf Pro-Quote-Vereine mit anderen Frauenverbänden, Politikerinnen und Feministinnen über gemeinsame Forderungen an die neue Regierung.

Margrét Rún vom Vorstand ProQuoteFilm (PQF) freute sich über die etwa 70 Teilnehmenden, bedauerte aber, dass „nur ein Mann dabei ist und die Diversitätsquote von 30 Prozent nicht erfüllt wird“. Auch wenn die schwarze Filmemacherin Benita Bailey moderierte und Jules* Elting, nicht-binäre Schauspieler*in, als special guest kommentierte, so waren es doch überwiegend weiße Frauen, die diskutierten. Elting sagte, „das System der weißen CIS-Männer“ dürfe nicht einfach durch CIS-Frauen ersetzt werden, wenn man Ungerechtigkeit abschaffen wolle. Man müsse andere  vom Patriarchat unterdrückte Gruppen einbeziehen und eine intersektionale Haltung entwickeln, die sich überschneidende Diskriminierungsformen in den Blick nimmt. Daran arbeitet etwa der Deutsche Frauenrat, wie Vorsitzende Beate von Miquel berichtete. Die 60 Mitgliedsverbände seien „relativ homogen“ und nach der Black-Lives-Matter-Bewegung befasse sich ein Fachausschuss für gesellschaftspolitische Fragen mit Intersektionalität, die auf mehr „Vielfalt der Stimmen“ zielt.

Diversität und Geschlechtergerechtigkeit waren denn auch roter Faden bei den Forderungen an die Politik. ProQuoteFilm hatte bereits einen Zehn Punkte-Katalog entwickelt und Vorstandsmitglied Esther Gronenborn verlangte eine „Diversitätsquote, aber paritätisch“. Auch öffentliche Mittel sollten „paritätisch und 30 Prozent divers ausgegeben werden“. Den Forderungen nach Quote und mehr Geld stimmten alle zu, doch bei den Umsetzungsvorschlägen gab es zum Teil unterschiedliche Ansichten.

Mehr Präsenz und Sichtbarkeit durch Quote

Den größten Einfluss auf kollektive soziale Normen und Geschlechterbilder hätten Medien, meinte Isabelle Welpe, Professorin für Betriebswirtschaft an der TU München. Diese könnten den „Bias“ in der Wahrnehmung verstärken, d.h. „gleiches Verhalten wird ungleich bewertet“. „Die Presse macht uns klein“, kritisierte CDU-Politikerin Elisabeth Motschmann. Frauen würden als Anhängsel der Männer präsentiert – wie jüngst Franziska Hoppermann in Schlagzeilen zur Kandidatur von Norbert Röttgen für den Parteivorsitz. Dort hieß es, er habe „eine Frau gefunden“ oder „eine Partnerin im Schlepptau“.

In Anbetracht verzerrter Wahrnehmungen sei eine vorurteilsfreie Entscheidung ­– etwa bei Personaleinstellungen – nur zufällig möglich, so Welpe. Frauen und Menschen aus diversen Gruppen würden sich zudem eher bei einer Zufallsauswahl bewerben. Die meisten Diskutierenden plädierten jedoch für eine allgemeine gesetzliche Quote, die in Anbetracht politischer Mehrheiten auf Bundesebene allerdings weiterhin schwer umsetzbar sei. Dass mehr Gleichstellung trotzdem möglich ist, zeigt Hamburg: Der Senat erreichte mit einem Gremienbesetzungsgesetz, dass 2020 fast 45 Prozent aller Aufsichtsratssitze in öffentlichen Unternehmen mit Frauen besetzt wurden. Für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten seien Medienstaatsvertrag und Rundfunkgebühren Hebel für mehr Gleichstellung. Die Sender könnten private Produktionsfirmen verpflichten, bei Personal und Rollenbesetzung Quoten einzuhalten, so Esther Gronenborn.

Bettina Busch, Gleichstellungsbeauftragte beim Bayerischen Rundfunk (BR), gab zu bedenken, die Quote sei „ein Katalysator, kann aber das Bewusstsein nicht ändern“. Das gehe eher über ein gezieltes Mentoringprogramm und mehr Sichtbarkeit von Frauen im Programm. So beteiligen sich mehr als 30 BR-Redaktionen an einer „50:50-Challenge“. Das von der BBC entwickelte Tool ermittelt die Repräsentanz marginalisierter Gruppen, indem für jede einzelne Sendung ausgezählt wird, wie oft etwa Frauen oder Menschen mit Migrationsgeschichte vorkommen. „Zählen“ ist auch das Erfolgskonzept der fünf Pro-Quote-Bewegungen in Medien, Medizin, Film, Bühne und jüngst Kunst, die damit die Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen nachweisen und öffentlich Druck machen.

Ungleiche Bezahlung und der Kampf ums Geld

 Mit Zahlen belegen ebenfalls das Fair Pay Innovation Lab (FPI) und die Business and Professional Women (BPW), die jährlich den Equal Pay Day organisieren, die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen. Doch um Zahlen erheben zu können, müssen diese öffentlich bekannt sein. BPW-Präsidentin Uta Zech kritisierte, dass in Deutschland nur Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten zur Entgelttransparenz verpflichtet sind und es ihnen an „Commitment“ mangele. Die Transparenzpflicht müsse auf die vielen im Zuge der Digitalisierung entstehenden kleinen Firmen ausgeweitet und Sanktionen gesetzlich verankert werden. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier hofft auf die schnelle Ratifizierung einer EU-Richtlinie, die das deutsche Entgelttransparenzgesetz verschärft.

FPI-Geschäftsführerin Henrike von Platen meinte, eine „Gesetzgebung dauert zu lange“ und setzt auf Unternehmensebene an, um die Gender Pay Gap zu schließen. Das FPI bietet eine Zertifizierung für faire Bezahlung durch ihren „Universal Fair Pay Check“ an, bei dem es sich um ein international anerkanntes Prüfverfahren handelt. Zudem vertraut sie eher auf positive Vorbilder, die Nachahmer finden. „Wir müssen uns krasse Ziele setzen“ fordert sie: “2030: PayGap null Prozent – das geht!“ Nicht nur für Frauen, sondern auch für alle benachteiligten Gruppen, von denen Daten vorliegen, könne man so „zu einem fairen System kommen“.

Strategien von Frauenstreik bis Parlamentsarbeit

Bei der Diskussion über Strategien zur Beschleunigung des Gleichstellungs-Marathons in Deutschland erzählte Margrét Rún, die in Island geboren ist, dass sie 1975 als 14-Jährige am dortigen Frauenstreik teilgenommen habe. „Ein tolles Mittel“, hieß es, während die Idee einer „Frauenpartei“ auf Skepsis stieß. Man solle lieber Bündnisse mit anderen diskriminierten Gruppen und aufgeschlossenen Männern schließen. Bei kontroversen Themen wie geschlechtergerechte Filmförderung wünschte sich die Linken-Bundesparlamentarierin Heidi Reichinnek eine Abstimmung über Fraktionsgrenzen hinweg. Unter den Quotenskeptiker*innen gebe es auch Frauen, die mit einem „Du hast es ja nicht nötig“ „vom Patriarchat eingefangen“ würden. Als junge Frau, die noch nicht an die gläserne Decke gestoßen sei, habe sie auch so gedacht, bekannte CDU-Politikerin Motschmann. Nun weiß sie: „Freiwillig gibt keiner Macht ab!“

„In der AG Gleichstellung und Vielfalt haben wir schon einiges hingekriegt“, sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier. Ricarda Lang, ihre Kollegin von den Grünen, stimmte zu. Auf die Frage nach den Chancen einer paritätischen Verteilung öffentlicher Gelder antwortete Breymaier, sie wollten einen Gleichstellungscheck in die Koalitionsverhandlungen aufnehmen, also wie wirkt sich etwas auf Frauen und Männer oder Alte und Junge aus. Damit verbunden sei die Frage nach dem Gender-Budgeting, d.h. wie viel Geld kommt wem zugute. „Wenn wir das hinkriegen, ist das riesig!“

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