Gegenmacht Internet?

Neue Möglichkeiten für Kommunikation und Widerstand durch neue Technologien

Nach der Schließung des unabhängige Belgrader Radiosender B92 durch die Obrigkeit sendete das Team unerschrocken über das Internet weiter. Die Milosevic-Regierung schritt zuerst nicht ein, nahm das Internet als Massenmedium offenbar nicht ernst. B92 war über die Website www.b92.net in aller Welt mittels Real-Audio zu empfangen. BBC World Service fischte die Daten aus dem Netz auf, um sie wieder als Radiosignal auszustrahlen, das in Jugoslawien per Satellitenantenne empfangbar war. Vom niederländischen Serverbetreiber XS4all, der auch die in Deutschland illegalisierte autonome Zeitung „radikal“ ins Internet stellt (www.xs4all.nl), hat sich unter der Adresse http:// helpb92.xs4all.nl/ in Amsterdam eine Unterstützergruppe zusammengeschlossen, die ein Spendenkonto für B92 einrichtete.

Das zweite Leben von Radio B92 als unabhängige Informationsquelle im Internet endete jedoch Anfang April mit der Verhaftung des B92-Direktors Sasa Mirkovic. Die Beschäftigten wurder erstmal nach Hause geschickt. Sein Nachfolger Aleksander Nikacevic zeichnet für regierungsamtliche Propaganda. Das jetzige Programm sei, so ein Oppositioneller aus dem Kosovo, „einfach unerträglich“. Im Internet ist es nicht mehr verfügbar.

Dennoch bleibt das Internet ein Medium für kritische Informationen über den Krieg in Jugoslawien. Die Redaktion der Kosova-Info-Line, (www.kosova-info-line.de/) ein Informationsdienst mit aktuellen Meldungen, Berichten und Kommentaren aus und zu Kosova, stellt eine Vielzahl von Agenturberichten ins Web, die ein gutes Bild über die Lage der Bevölkerung abgeben. Berichte über Massaker an den Kosovo-Albanern durch serbische Freischärler sind unter www.alb-net.com/kcc/index.htm nachzulesen. Die Gegner des NATO-Krieges von der Gesellschaft zur Förderung wissenschaftlicher Studien zur Arbeiterbewegung (GSA) beleuchten in tagesaktuellen Dossiers die Lage in der Kriegsregion und spüren den machtpolitischen Hintergründe nach. Hier finden sich auch anderswo unterdrückte Berichte über die Leiden der Zivilbevölkerung unter dem NATO-Bombardement. (http://ourworld.compuserve.com/homepages/GSA_Essen/). Jede Menge Links zu weiterführenden Informationsseiten hat auch Rainer Rilling unter http://staff-www.uni-marburg.de/~rillingr/serbien.htm eingerichtet.

Gegen das Establisment

Kann das Internet als Gegengewicht zu den „hochkonzentrierten, dem Establishment nahestehenden Print und elektronischen Medien“ wirken, wie der Politologe Claus Leggewie vermutet? Kommunikationmedien und Widerstand waren schon immer untrennbar verbunden. Wo liegt der Zusammenhang zwischen der Effektivität von Opposition gegen die Herrschenden und den gegebenen technischen Möglichkeiten?

Werfen wir einen Blick auf den antifaschistischen Kampf im Deutschland des Jahres 1940. Nach einem anstrengenden zwölf-Stunden-Tag in der Backstube hackt der junge Bäckergeselle Hanno Günther auf der Schreibmaschine einer Nachbarin die Vorlage für ein Flugblatt in die Matrize. Ein mühsames Werk, und die Zeit rennt ihm davon. Nach jedem Tippfehler muß Hanno, der vom gleichen Jahrgang wie Sophie Scholl ist, neu beginnen, soll die antifaschistische Flugschrift ihren Verfasser nicht durch charakteristische Schnitzer verraten.

Von einem Monatslohn hat der 20jährige Hanno Günther ein Abzugsgerät gekauft, das er in einem großen Rucksack in die Wochenendlaube seiner Eltern schleppte. Ständig Blicke durch das Fenster auf die Nachbarn werfend, druckt er hier die erste Nummer der Flugschrift „Das Freie Wort“ in einer kleinen Auflage. Als die Gestapo Hanno Günthers Widerstandsgruppe entdeckt, sind das Druckgerät und die Schreibmaschine wichtige Beweismittel gegen die zumeist jungen Leute. Wegen Hochverrats zum Tode verurteilt, bringt man die Kämpfer am 3. Dezember 1942 auf der Guillotine zum Schweigen.

Hätten die jungen Leute über die Technik der heutigen Zeit verfügen können, wie einfach, schnell und relativ sicher hätte seine Gruppe mit PC und Laserdrucker ein Flugblatt verfaßt, oder eine antifaschistische Seite im Internet vom Ausland aus erstellen können. Die neuen Möglichkeiten, politische Inhalte am PC im weltweiten Netz zu verbreiten, erschweren es den Herrschenden der Gegenwart immer mehr, oppositionelle Standpunkte wirksam zu unterdrücken, die technische Entwicklung läuft ihnen davon.

Solidarität International

Jeder PC-Besitzer hat ein kleines Druckstudio auf dem Schreibtisch, und einmal mit einem Modem oder einer ISDN-Karte ausgerüstet, mutiert der häusliche Rechner zur Kommunikationszentrale. „Über das Internet haben wir eine kostengünstige Methode, um weltweit zu kommunizieren“, berichtet Klaus Huber aus Berlin vom Bundesvorstand der Organisation Solidarität International. „Fax oder Telefonverbindungen sind sehr teuer, elektronische Post ist dagegen billig, und darum auch von Organisationen in der 3. Welt zu benutzen.“ Solidarität International ist nach eigener Darstellung eine internationale und überparteiliche Solidaritäts-, und Hilfsorganisation mit der Zielsetzung, weltweit „gerechte Kämpfe zu unterstützen“. So hat man etwa einen Streik bei Siemens in Manila unter deutschen Belegschaften des Konzerns bekanntgemacht, um damit etwas zur weltweiten Solidarität beizutragen. Auf dem Laufenden hielt man sich dabei per E-Mail. Klaus Huber, der als Arzt tätig ist, weiß darum die Vorteile der digitalen Technik zu schätzen: „Unsere Mitglieder- und Beitragsverwaltung läuft natürlich auch am Rechner, das spart viel Arbeit.“ Mit Frontpage haben die globalen Aktivisten sich eine neue Homepage gebastelt, die unter http://home.ipn.de/~si/ im Internet steht.

Mehr Politiker von Unten

Sei es die Initiative gegen Castor Transporte, eine Basisgruppe der Gewerkschaft, Frauengruppen oder Flüchtlinge, die gegen Abschiebungen kämpfen – die Zahl der Menschen, die sich hierzulande politisch engagieren ist, laut Professor Roland Roth, Vorstandsmitglied des Komitees für Grundrechte und Demokratie, in den letzten drei Jahrzehnten angestiegen. Und viele haben erkannt, daß es sich mit dem Computer und dem Internet einfach besser arbeiten läßt. Wer etwa auf der Suche nach kritischen Informationen zur Vernichtung des tropischen Regenwalds in Bibliotheken verzweifelt, findet im Internet nicht nur die gesuchten Fakten, sondern auch gleich Verbindungen zu Aktivisten, die praktisch gegen die Zerstörung der grünen Lunge unseres Planeten aktiv sind.

Aber auch noch nicht vernetzte Rechner sind nützliche Helfer für Menschen, die sich politisch engagieren. Ein Flugblatt, einmal am Computer als digitaler Datensatz erfaßt, läßt sich nach einer gemeinsamen Diskussion mit anderen Aktiven leicht überarbeiten. Auch die Industrie stellt sich darauf ein, daß die Kundschaft den PC heute auch politisch nutzt. Ein von Microsoft ausgeschriebener Wettbewerb für Schüler im Rahmen des Programmes „Schulen ans Netz“ stellte an den Kids die Aufgabe, „Schülerzeitungen, Flugblätter oder andere schulische Publikationen“ einzusenden. Die Software, die das Haus damit promoten wollte, war das Layout-Programm Publisher.

Waffengleichheit durch Computer?

Die Erkenntnis, daß Politik und Computer viel miteinander zu tun haben, hat sich in den Gewerkschaften schon seit langem durchgesetzt. So veranstaltet etwa die IG Medien in ihrer EDV-Schule und Bildungseinrichtung, dem „Institut für Technik und Gesellschaft“ regelmäßig Seminare zu den Themen „EDV im Betriebsratsbüro“, „Textverarbeitung für Betriebsräte“ oder „Arbeiten in der Informationsgesellschaft“. Rainer Pohle, pädagogischer Mitarbeiter der Einrichtung in Lage-Hörste: „Es gibt ja heute kaum noch einen Betrieb, der nicht bereits wesentliche Teile seiner Infrastruktur der Verwaltung und Produktion computerisiert hätte“. Im Sinne der Waffengleichheit müsse auch im Betriebsratsbüro die Informationsverarbeitung und Organisation mit Computern arbeiten. „Wir machen keine abstrakte Schulung über Textverarbeitung, sondern zeigen zugleich, wie man Betriebszeitungen am PC ansprechend aufbereitet“.

Gegenöffentlichkeit auffinden

Kann die Dominanz der Herrschenden in den Massenmedien durch das Internet auszuhebeln sein? Jede Provinztageszeitung verfügt über mehr Werbeetat, um ihre Internetadresse bekannt zu machen, als es eine demokratische Basisbewegung je vermag. „Gerade im politischen Bereich gibt es vielfältige Initiativen, die im Netz der Netze nicht selten ein kümmerliches Dasein fristen“, weiß Carsten Wiegrefe vom alternativen Provider Info Pool Network (IPN) in Berlin. Deshalb hat ein Verein der „FreundInnen der Politischen Diskussion und Intervention“ eine alternative Suchmaschine und ein elektronisches Archiv unter dem Titel www.Infolinks.de aufgebaut. Darunter sind nicht nur die Adressen von Basisorganisationen, sondern auch deren Zeitschriften zu finden.

Die Initiatoren der Selbstorganisation Computernetzwerk Linksysteme (CL-Netz) gehören zu den Pionieren der Basisnetzwerke in Deutschland. Über 300 regionale Einwahlknoten in mehreren europäischen Ländern verbinden heute mehr als 100000 Personen und internationale Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen weltweit. Das englische Wort „links“ bedeutet „Verbindungen“, denn über das CL-Netz werden private Briefe (E-Mail) ebenso versandt wie öffentliche, für alle lesbare Nachrichten (News), die alle Teilnehmer veröffentlichen dürfen. In den einschlägigen Newsgroups wird auf den CL-Brettern unter cl.europa.balkan und cl.frieden der NATO-Krieg kontrovers diskutiert. Darunter auch ein Aufruf an alle Soldaten der Bundeswehr, die am Jugoslawien-Krieg beteiligt sind. Darin heißt es: „Verweigern Sie Ihre weitere Beteiligung an diesem Krieg!… Die Verweigerung kann sich auf Art. 4 Abs. 3 GG (Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen) oder auf § 22 Soldatengesetz stützen: Befehle, die die Menschenwürde verletzen oder deren Befolgung eine Straftat bedeutet, dürfen nicht ausgeführt werden. Bei dem Krieg gegen Jugoslawien handelt es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, der gemäß Art. 26 Grundgesetz verboten ist.“

Bewaffnet im Web

Das Internet ist längst zum Massenmedium mutiert. Doch bunte Webseiten in den Industrienationen ändern nichts an der ökonomischen Realität. Die herrschende Weltwirtschaftsordnung verhindert die Nutzung der modernen Technik durch die breite Masse der Weltbevölkerung, gerade in den abhängigen Entwicklungsländern. Nur ein Prozent der Seiten im World Wide Web sind, nach aktuellen Zahlen der UNESCO, in Afrika angelegt. Diese Sites sind wegen unzureichender Infrastruktur außerhalb des Kontinents viel leichter zu erreichen als innerhalb Afrikas. Der Zugang zum Internet ist in Afrika zudem stark auf die großen Städten und die dortigen Eliten begrenzt.

Zu einer kleinen Plattform für Befreiungsbewegungen, die gegen diese Zustände rebelllieren, hat sich paradoxerweise ein Serverbetreiber in den USA entwickelt. Denn www.geocities.com gibt jedem die Möglichkeit, eine kostenlose Homepage in der Größe von 11 MB ins Web zu stellen. Daß die revolutionären Inhalte auf einem kapitalistischen Server liegen, schreckte beispielsweise die philippinischen Guerilla New Peoples Army (NPA), wegen ihres Kampfes gegen die Abholzung des tropischen Regenwaldes auch „die grüne Guerilla“ genannt, nicht ab, sich unter www.geocities.com/~cpp-ndf/npa. htm häuslich einzurichten. Eine eigene kostenpflichtige Webadresse leistet sich dagegen die EZLN aus Mexiko unter www.ezln.org/ Die Homepage mit vielen topaktuellen Kommuniqués, Bildern und Querverweisen der Zapatistas, kann stolz über 539884 Zugriffe seit Oktober 1996 vorweisen.

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