ver.di spricht von Missachtung der Pressefreiheit
Drei Journalisten der Wochenzeitung „Die Zeit“ sind am 9. November wegen eines Artikels über die Aktenvernichtung im Bonner Kanzleramt vor dem Regierungswechsel 1998 zu Geldbußen von je 6000 Mark auf Bewährung verurteilt worden. Das Hamburger Amtsgericht sah es als erwiesen an, dass die drei Redakteure widerrechtlich aus unveröffentlichten Schriftstücken eines Strafverfahrens zitiert hatten. Dem Gesetz nach ist das ein Straftatbestand, fixiert im Paragrafen 353 d StGB.
Das Amtsgericht könne sich nicht mit dem gleichen Aufwand wie eine große Strafkammer der Anklage und Verteidigung widmen. Deshalb seien die Originalakten aus Bonn nicht angefordert worden, begründete der Richter sein „pragmatisches“ Vorgehen bei der Wahrheitsfindung.
In dem Zeit-Artikel unter der Überschrift „Operation Löschtaste“ vom 20. Juli 2000 finden sich wörtliche Zitate aus den bis dahin unveröffentlichten Anhörungsprotokollen und dem Bericht des Sonderermittlers zur Aufklärung der Aktenvernichtung im Kanzleramt, Burkhard Hirsch. Daraus ging hervor, dass Akten zu Themen wie der Privatisierung der ostdeutschen Raffinerie Leuna, zur Lieferung von Panzerfahrzeugen an Saudi-Arabien und zum Schriftwechsel des Bundeskanzleramtes mit dem Waffenhändler Karlheinz Schreiber verschwunden oder unvollständig waren. Zeit-Herausgeber und -Chefredakteur Michael Naumann kündigte an, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. „Dies ist ein Urteil nicht gegen die Täter, sondern gegen die Leute, die darüber berichtet haben“, so Naumann. Eine Niederlage der Pressefreiheit sehe er jedoch in diesem Richterspruch nicht.
Als „Missachtung der vom Grundgesetz garantierten Pressefreiheit“, bezeichnete Frank Werneke, Mitglied des ver.di-Bundesvorstandes, dagegen die Verurteilung der Redakteure wegen ihrer Berichte über die Datenlöschaktion. „Indem aus einer validen Quelle zitiert wurde, sind die Zeit-Redakteure ihrer Verpflichtung einer nach den Umständen gebotenen Sorgfalt soweit als möglich nachgekommen.“ Die Pressfreiheit sei im Interesse der Aufklärung des Falles und einer funktionierenden Demokratie höher zu veranschlagen als der ohnehin überholte Paragraf des Strafgesetzbuches, so Werneke.