„Groß rauskommen“ in Zeiten des Krieges?

15. Journalistinnen- und Journalistentag diskutiert Berichterstattung zu Krieg, Katastrophen und Terror nach dem 11. September

Der Krieg in Afghanistan, seine visuelle Rezeption und journalistische Vermittlung, die „Sicherheitspakete“ des Innenministers und die Weltlage nach dem Attentat vom 11. September: Drei Themen, von der Aktualität diktiert und thematisch verwoben, die der 15. Journalistinnen- und Journalistentag in Dortmund diskutierte.

Die eigene Profession, das Verschwinden des Recherchehandwerks und die suggestive Macht von Bildern standen ebenso in der Kritik wie die Rechtfertigung des Krieges durch den Bundestag und die Haltung von ver.di zur Beteiligung der Bundeswehr daran: Zu viel Stoff für drei kompetent besetzte Podien, allemal Gedankenanstöße für weitere Debatten und das eigene Selbstverständnis.

„Das ist meine Chance, groß rauszukommen“, zitierte Franziska Hundseder, dju-Bundesvorsitzende, junge Kollegen, die sich zufällig an Kriegsschauplätzen befinden und so unvermittelt wie unvorbereitet von diesen Schauplätzen berichten. Und die dann angesichts der grausigen Realitäten, die so anders sind als die grünlichen Sternenhimmel, als die der Bombenkrieg uns via TV vermittelt wird, in verständlicher Angst aus umkämpften Gebieten von der UNO gerettet werden wollen. Aber auch erfahrenen Kollegen drohen unkalkulierbare Gefahren in einem Krieg, in dem es keine klaren Fronten gibt, aber eine drängende Nachfrage nach Bildern und Informationen – an die Opfer unter den Kollegen erinnerte Franziska Hundseder in ihrem Eröffnungsbeitrag (s. auch Seite 34).

Chance und Risiko

Kuno Haberbusch (Redaktionsleiter bei „Panorama“) machte darüber hinaus in der Runde, in der es um „Berichterstattung über Katastrophen, Kriege und Terrorismus“ ging, darauf aufmerksam, wie wenig Kompetenz und Erfahrung ausschlaggebend dafür sind, wer von Kriegs- und Krisenherden in der ARD berichtet: Föderal verteilte Korrespondentenplätze führen dazu, dass bei einem plötzlichen Kriegsausbruch Kollegen aktiv werden müssen, die an ihren vergleichsweise friedlichen Außenposten darauf nicht vorbereitet sind. Mitleid mit Abenteuertum um der Karriere willen freilich hielt sich nicht nur bei Haberbusch in Grenzen: Die Chance, „groß rauszukommen“, mache eben oft leichtsinnig. Aber neben der allgemein bekräftigten Verantwortung der entsendenden Redaktionen, ihre Reporter abzusichern und mit der notwendigen Technik und Logistik auch zum Überleben auszustatten, könne und müsse auch „Verantwortung für sich selber“ erwartet werden, so der Sonderkorrespondent des Bayerischen Rundfunks, Klaus Below.

Zu sagen, „mit wessen Hilfe der Reporter wo steht und berichtet“, könne man als Minimum an journalistischer Sorgfaltspflicht verlangen, fand Manfred Protze, stellvertretender dju-Vorsitzender, auf die Frage von Moderatorin Ulrike Holler vom Hessischen Rundfunk, wie zu bewerten sei, wenn man, beispielsweise in Afghanistan, von der „Nord-allianz gesponsert“ werde. Protze pochte auf die Notwendigkeit von Quellenangaben beziehungsweise auf die Pflicht, die Fragwürdigkeit oder den Mangel derselben zu erwähnen und erinnerte daran, dass die US-Regierung nicht nur im Golfkrieg, sondern auch derzeit PR-Agenturen engagiert, die die Weltöffentlichkeit mit Propagandamaterial versorgen. „Misstrauisch bleiben, aufmerksam bleiben!“ mahnten die Profis. Wie kann Sorgfalt und Einordnung von Informationen und Bildern angesichts dessen geschehen, wann kann eine Reporterin, die, so Holler, zwölfmal täglich bei RTL aus Afghanistan zugeschaltet wird, noch recherchieren? Achim Tirocke, stellvertretender Chefredakteur des Kölner Senders und damit Vertreter jener Anstalt, die „schon um 15.09 Uhr als erste am 11.9. die Bilder hatte“, gab zu, dass „man kaum zu Atem kommt, wenn man dicht dran ist“. Da war es Haberbusch „recht, dass wir nicht immer die Ersten sind“ und berichtete, dass gut recherchierte Dokumentationen, für die Zeit und Geld investiert werden, inzwischen auch gute Quoten haben. „Distanz ist auch in hektischen Zeiten möglich“.

Klima der Illiberalität

Verantwortung und Chancen der regionalen Zeitungen hob Frank Bünte, Chefredakteur der „Westfälischen Rundschau“, hervor: Er darf derzeit statt 1,5 Seiten Politik drei bis vier Seiten füllen und die Lokalredaktionen beschäftigen sich beispielsweise mit dem Verhältnis von Christen und Muslimen in ihrem Gebiet. Die (Manipulations-)Macht der Bilder, die Macht der Überschriften: Darüber wird gesprochen, seitdem es Medien gibt. Entscheiden kann man als Journalist immer, so Bünte, der sich bei der Alternative „Intensivierung der Angriffe“ oder „DRK-Lager getroffen“ für Letzteres entscheidet. Die Alternative, Bilder vom Angriff auf das World Trade Center zu bringen oder nicht, stellt sich realistisch nicht, auch wenn Holler zu bedenken gibt, dass man „zum Handlanger medial versierter Terroristen“ werden könne. Kontrovers ist, wie man mit Opfern umgeht. Leichenberge zeigen: ja oder nein? Haberbusch zeigt in „Panorama“ tote Kinder in Kabul, die „Tagesschau“ zeigt sie nicht wegen fehlender „Einordbarkeit“. Protze erinnert daran, dass Opfer in New York Gesichter und Geschichten haben, Opfer im „Feindesland“ namen- und gesichtslos sind: „Opferrassismus?“ fragt der Agenturjournalist. Eine gewisse „Ethik“ beim Umgang mit Toten verlangen alle auch dort, wo, so Haberbusch „das Handwerk der Recherche vor die Hunde gegangen ist“.

Manipulation, Zensur und Diskreditieren von Meinungen abseits des Mainstreams sind bekannte Folgeerscheinungen in Kriegszeiten und die Sicherheitspakete des Innenministers eine unmittelbare Folge des Anschlags vom 11. September. Die Diskussion darüber unter dem Titel „Bedrohung für Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und Grundrechte“ konzentrierte sich angesichts von über 103 Gesetzesvorschlägen bzw. „Eingriffen in Grundrechte“(Hundseder) auf deren Einzelheiten. Fred Breinersdorfer, VS-Vorsitzender, Gerd Nies, ver.di-Vize, Rolf Lamprecht, Ehrenvorsitzender der Justizpressekonferenz, und Thilo Weichert, stellvertretender Datenschutzbeauftragter Schleswig-Holsteins, waren sich mit Franziska Hundseder, gegen den Vertreter der Gegenseite, Schilys Sprecher Rainer Lingenthal, einig, dass die „ungeheure Datensammelwut“ sich vor allem gegen Ausländer richtet, die „unter Generalverdacht“ gestellt werden. Und für die sich bezeichnenderweise, so Nies, auch keine „Lobby aus dem ansonsten breiten Widerstand“ gebildet hat. Hundseder und andere bekamen auf ihre Frage nach der Effizienz bereits bestehender Abhör- und Ausforschungsgesetze und der vermuteten der geplanten Gesetze keine Antwort. Unklar blieb ebenso, inwieweit die geplante „Sicherheitsüberprüfung“ der Belegschaften von Rundfunk- und Fernsehanstalten neben vielen anderen dem Kampf gegen Terrorismus dienlich sein könnte. Die „erkennungsdienstliche Behandlung der gesamten Bevölkerung“ werde in einem „merkwürdig illiberalen Klima, einem vorauseilenden Gehorsam der Medien“ vorbereitet, registrierten Hundseder und andere, in dem der „Aufschrei und die Aufklärung, von rühmlichen Ausnahmen abgesehen“ ausbliebe.

Kontroverse

In einer ersten Runde hatten Experte/innen aus der Wissenschaft mit Staatsminister Christoph Zöpel den „Clash of civilisations oder die Globalisierung ziviler Gesellschaften“ andiskutiert, was verständlicherweise sofort zu einer heftigen Kontroverse untereinander und mit dem Publikum über die jeweilige Haltung zum Krieg in Afghanistan und zur Haltung von ver.di führte, nachdem Frank Werneke berichtete, daß der Bundesvorstand den Einsatz der Bundeswehr akzeptiere und nicht ausdrücklich ablehne. Der Gewerkschaftsrat wird sich dazu Anfang Dezember äußern. Ver.di-Bundesvorsitzender Frank Bsirske hatte sich in seiner Einleitung nicht festgelegt, aber betont, dass „Militäreinsätze“ von „politischem Handeln, einer anderen Globalisierungspolitik“ und auf deutscher Seite von „parlamentarischer Kontrolle“ begleitet sein müssten. Klaus-Peter Hellmich, Vorsitzender der Fachgruppe der audiovisuellen Medien, gab eine Richtung für die zu erwartenden innergewerkschaftlichen Diskussionen (Bsirske: „Es gibt ein Recht auf Dissens“) in seinem Schlusswort vor: „Ich hoffe, dass meine Gewerkschaft Teil der Friedensbewegung bleibt“.


Franziska Hundseder wird ab 1. Januar ihre Funktion Bundesvorsitzende der dju aus beruflichen Gründen nicht mehr ausüben. Die dju dankt Franziska für ihre vierjährige engagierte Arbeit. Bis zu den nächsten Wahlen werden die jetzigen stellvertretenden dju-Vorsitzenden Manfred Protze und Udo Milbret gemeinsam den kommissarischen Vorsitz führen.

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