Grüner Drehpass

Die deutsche Filmbranche entdeckt den Umweltschutz

Der deutsche Medienmarkt ist einer der wichtigsten der Welt und hat viele Maßstäbe gesetzt. In einer Hinsicht aber hinkt die Branche anderen Ländern meilenweit hinterher: Ökologisches Produzieren ist hierzulande weitgehend ein Fremdwort. Das soll sich nun ändern. Gleich mehrere Initiativen wollen dafür sorgen, dass bei Dreharbeiten schonend mit der Umwelt umgegangen wird. Vorweg gehen dabei die regionalen Fördereinrichtungen.

Film Grüner Drehpass LogoDie Film Commission der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (FCHSH) hat 2011 einen „Grünen Drehpass“ entwickelt, der sich gezielt mit dem Umweltaspekt von Filmproduktionen befasst. Gemeinsam mit dem Umweltunternehmen N.serve Environmental Services, das langjährige Erfahrungen in der Entwicklung von Emissionsreduktionsprojekten besitzt, soll dieses Zertifikat für umweltfreundliche Dreharbeiten als führende Marke und als Standard für nachhaltiges Drehen etabliert werden. Premierenpreisträger war die Odeon-Tochter Novafilm: Die Serie „Der Landarzt“ wurde als „erste klimaneutrale Fernsehserie Europas“ ausgezeichnet. Um dieses Gütesiegel zu bekommen, muss eine Produktion nachweisen, dass sie in Bereichen wie Ausstattung, Catering, Produktionsbüro, Transport/Technik oder der Ökobilanz den Energieverbrauch gesenkt hat. Ergänzend dazu kann man sich in Kooperation mit n-serve an Projekten in Entwicklungsländern beteiligen, um den eigenen CO2-Fußabdruck zu reduzieren.

Müllvermeidung

Und das Beispiel macht Schule. Viele Produktionsfirmen eifern dem Vorbild nach, und auch bei Einrichtungen wie der MFG Baden-Württemberg oder der Film- und Medienstiftung NRW steht Grünes Drehen auf der Agenda ganz oben. Damit liegt die Branche voll im Trend, wie sich vor einigen Monaten bei der Cine-Regio-Konferenz in Heidelberg zeigte. „Das Thema ist hip und sexy, das Interesse quer durch alle Bereiche der Medienbranche in ganz Europa riesengroß“, bestätigt ein Teilnehmer. Die Delegierten von Cine Regio, einem 2005 gegründeten Zusammenschluss regionaler europäischer Einrichtungen zur Filmförderung, erstellten eine Liste von Maßnahmen, die bei Dreharbeiten ohne großen Aufwand und vor allem ohne höhere Kosten beherzigt werden können. Eine davon ist die Müllvermeidung. Am Set wird regelmäßig eine große Menge an Abfall produziert, der nicht selten ungetrennt entsorgt wird. Auch Ausstattungselemente landen oft auf der Müllkippe, obwohl sie „umgewidmet“ werden könnten. Ein Produzent räumt zwar ein, dass eine Wiederverwertung tatsächlich möglich sei, hat aber einen ganz praktischen Einwand: „Und wo lagert man den ganzen Mist?“
Ein weiterer Appell, die Umstellung von Studiobetrieben auf regenerative Energie, ist bereits umgesetzt worden: Als „vermutlich einziges Studio überhaupt“, so Bavaria-Geschäftsführer Achim Rohnke, arbeitet die Bavaria mit Erdwärme.

Die Bavaria Filmstadt in Geiselgasteig soll komplett klimaneutral werden. Seit Januar bezieht das Studio seinen Strom von einem Naturstromanbieter. Ökologische Aspekte haben laut Rohnke „als Standortfaktor stark an Bedeutung gewonnen.“ Er geht davon aus, „dass sich eine nachhaltige Produktionsweise wie in anderen Wirtschaftszweigen zu einem Qualitätsmerkmal entwickeln kann.“ Bei den Filmförderern ist man ohnehin überzeugt, Grünes Drehen werde wie der Tierschutz oder die Bestimmungen zum Arbeitsschutz eines Tages europaweiter Standard. In Südfrankreich bekomme man schon jetzt Vergünstigungen, wenn man ökologisch produziere, sagt Christiane Scholz. Sie leitet bei der Film Commission der FFHSH das Projekt „Grüner Drehpass“ und ist derzeit gerngesehener Gast auf Veranstaltungen in ganz Europa. „Unsere Aufgabe ist es, auf das Thema aufmerksam zu machen, Grundlagen zu schaffen und Überzeugungsarbeit zu leisten“, beschreibt sie ihre Arbeit. Gerade bei der Produktion langlaufender Serien könne man viel erreichen, „auch wenn es natürlich noch eine Zeit dauern wird, bis jedes einzelne Filmprojekt unter ökologischen Bedingungen entsteht.“ Uneins sind sich die Filmförderer noch in der Frage, ob man die Bewilligung von Fördergeldern mit der Einhaltung bestimmter ökologischer Standards verknüpfen könne; offenbar überwiegt die Haltung, die Einsicht solle durch Appelle entstehen, nicht durch Druckmittel. Überdies stehen sich die Filmstiftungen selbst im Weg: Einerseits wollen sie, dass auch abgelegene Regionen von Dreharbeiten profitieren, andererseits wissen sie, dass die damit verbundenen Transporte zwangsläufig zu großen CO2-Emissionen führen.

Gewinn durch Digitalisierung

Die zunehmende Zahl von Initiativen belegt, dass ein Umdenken stattfindet; auch bei den Produzenten. Thomas Bretschneider, Gesamtherstellungsleiter bei der Produktionsfirma ndF, ist „der festen Überzeugung, dass es heutzutage selbstverständlich ist, Klimafreundlichkeit und Umweltschutz zu praktizieren.“ Bei den ndF-Produktionen gehörten viele der Cine-Regio-Aspekte längst zum Alltag. Den größten Gewinn für die Klimafreundlichkeit stelle jedoch die Digitalisierung dar: „Dank dieser Technik wird das schwer recyclebare Filmmaterial nicht mehr benötigt, und auch die aufwändigen Entwicklungsverfahren, bei denen viele Chemikalien zum Einsatz kamen, entfallen.“ Muster würden online zur Ansicht bereitgestellt, was den Einsatz von DVDs stark reduziert habe. Darüber hinaus seien bei Serien wie „Der Bergdoktor“, „Die Bergretter“ und „Forsthaus Falkenau“ Umwelt- und Klimaschutz nicht nur während der Produktion, sondern auch inhaltlich immer wieder ein Thema: „Die Zuschauer sollen ebenso sensibilisiert werden wie unser Team, das bei der Arbeit größte Umsicht im Umgang mit der Natur walten lässt.“ Bretschneider rügt in diesem Zusammenhang die Autovermieter: „Leider ist es heute noch nicht möglich, genügend Produktionsfahrzeuge mit alternativen Antriebsformen wie Erdgas, Elektro oder Hybrid zu bekommen.“
Auch wenn praktisch alle Produzenten den Appell zur Nachhaltigkeit unterschreiben würden: Oft befinde man sich in dieser Frage „in einer Zwickmühle“, sagt Oliver Berben, Geschäftsführer der Constantin Film Produktion. „Einerseits will man natürlich so umweltschonend wie möglich arbeiten, andererseits muss man mit einem immer größeren Kostendruck klar kommen; und Umweltschutz ist in vielen Fällen mit größeren Kosten verbunden.“ Außerdem komme es immer darauf an, welche Art Film man produziere, ergänzt Hermann Joha. Der Name action concept („Alarm für Cobra 11“) steht für Filme und Serien, in denen immer irgendwas in die Luft fliegt. „Fast alle unserer Mitarbeiter haben Familie, schon allein deshalb orientieren wir uns an der Maxime, dass wir die Welt von unseren Kindern nur geliehen haben“, versichert Joha, sagt aber auch: „Selbst Öko-Aktivisten schauen sich hin und wieder gern Feuerwerk an, und die Raketen sind auch nicht gerade umweltverträglich. Wenn eine Explosion gut aussehen soll, muss man nun mal ein paar hundert Liter Benzin hochjagen. Man darf dabei halt nichts verwenden, was bleibende Schäden hinterlässt. Und hinterher muss man alles wieder aufräumen.“

Ökologische Möglichkeiten bei Dreharbeiten

Ausstattung: Bei der Ausstattung den Elektromüll reduzieren. Die Ausstattung kann aus recyceltem Material erstellt werden. Ansonsten sind ökologisch leicht abbaubare Materialen zu bevorzugen.

Catering: Beim Catering regionale und saisonale Produkte verwenden. Plastikbecher und -flaschen können durch Mehrweggeschirr ersetzt werden. Mülltrennung sollte Standard sein.

Papier: In den Produktionsbüros umweltfreundliches Papier verwenden, das man zudem beidseitig bedrucken kann. Nicht jede Mail muss ausgedruckt werden. Drehbuchtexte lassen sich auch am iPad lernen.

Transport: Nach Möglichkeit Hybridautos verwenden, ansonsten sparsame Fahrzeuge buchen.

Technik: Die Technik am Set sollte energieeffizient sein. Für die Beleuchtung kann energiesparende Technik verwendet werden.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

„Das Problem mit der Leidenschaft“

Lena Hipp ist Professorin für Soziologie an der Universität Potsdam und leitet die Forschungsgruppe „Arbeit und Fürsorge“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Mit M sprach sie über „Gute Arbeit“, Stressoren im Journalismus und weshalb die Trennung von Arbeit und Privatleben für Medienschaffende so wichtig ist.
mehr »

Dreyeckland-Journalist wegen Link angeklagt

Am 18. April beginnt der Prozess gegen den Journalisten Fabian Kienert. Dem Mitarbeiter von Radio Dreyeckland in Freiburg wird die Unterstützung einer verbotenen Vereinigung vorgeworfen, weil er das Archiv eines Onlineportals in einem Artikel verlinkt hat. Das Portal mit Open-Posting-Prinzip war von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) 2017 als kriminelle Vereinigung verboten worden.
mehr »

Die Verantwortung der Redaktionen

Auf die mentale Gesundheit zu achten, ist keine individuelle Aufgabe. Auch Arbeitgeber*innen können und sollten etwas für psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter*innen tun. Wie funktioniert das in einer Branche, die so geprägt ist von Zeit und Leistungsdruck und belastenden Inhalten wie der Journalismus? Wir haben uns in zwei Redaktionen umgehört, die sich dazu Gedanken gemacht haben: das Magazin Neue Narrative und der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag (SHZ).
mehr »

Gewalterfahrung im Lokaljournalismus

In Deutschland hat sich die Zahl der gewalttätigen Übergriffe auf Journalist*innen deutlich erhöht. Viele der Übergriffe finden am Rande von Demonstrationen statt. Der Thüringer Journalist Fabian Klaus recherchiert zu Rechtsextremismus und wird deshalb bedroht. Mit M sprach er über zunehmende Bedrohungslagen im Lokaljournalismus und die Unterstützung aus den Redaktionen.
mehr »