Hacker und Journalisten vernetzen

Der indische Bauer Darshan Singh rupft Baumwolle von seinem verdorbenen Baumwollfeld in der Peripherie von Bathinda/Punjab Foto: REUTERS/Munish Sharma

Investigativer Journalismus braucht neue Recherchetechniken und muss sich gegen Überwachung wehren. Deshalb trafen sich in Berlin auf Einladung des Londoner Centre for Investigative Journalism (CIJ) weltbekannte Größen des Journalismus mit Netzaktivisten und Nerds. Unter dem Motto „Challenge Power“ berichteten sie auf dem Logan CIJ Symposium von den Hürden investigativer Berichterstattung und stellten neue methodische Ansätze vor.

Der indische Journalist Palagummi Sainath Foto: Uwe Sievers
Der indische Journalist Palagummi Sainath
Foto: Uwe Sievers

Im Schnitt alle halbe Stunde ein Selbstmord und das in einem Land, in dem Selbstmord unter Strafe steht. Die Verzweiflung unter den indischen Bauern sei groß, da sie immer weniger in der Lage seien, ihre Familien zu ernähren, berichtete der indische Journalist Palagummi Sainath. „Die Selbstmordrate ist bei dieser Bevölkerungsgruppe Indiens rund 50 Prozent höher als im Rest des Landes“, schilderte er beim Logan CIJ Symposium. Doch in der offiziellen Statistik würden sie nicht mehr auftauchen. Die Regierung habe das Erhebungsverfahren geändert, entrüstete er sich auf der von der Logan-Stiftung und dem Centre for Investigative Journalism, CIJ, organisierten Tagung. Die Veranstaltung diskutierte unter dem Motto „Challenge Power“, wie investigativer Journalismus den Mächtigen etwas entgegensetzen kann.

Das wollte auch Sainath: Um die Hintergründe der vielen Selbstmorde zu klären, reiste der indische Investigativjournalist durch das Land und recherchierte. „Was dort stattfindet, ist einer der größten Konzentrationsprozesse der Welt“, fand er heraus. Große Unternehmen eignen sich immer mehr Land an, internationale Lebensmittelkonzerne wie Monsanto verändern die Anbaubedingungen durch gentechnisch verändertes Saatgut und gleichzeitig wird die Wasserversorgung privatisiert. Für seine Enthüllungen gewann Sainath mehrere Preise. Er kritisiert: „Die Landbevölkerung kommt in den Medien nicht vor und die Mainstream-Medien übernehmen Statistiken unhinterfragt“. Deshalb seien Plattformen wie Wikileaks so wichtig. Sie enthüllten, was Mainstream-Medien ignorierten, betonte Sainath. Folgerichtig wurde Wikileaks-Gründer Juliane Assange live zugeschaltet und nutzte die Gelegenheit, vor der engen Verstrickung Googles mit den zivilen und militärischen Institutionen der US-Regierung zu warnen.

Die Konferenz sollte zur Vernetzung von Hackern, Aktivisten und Journalisten beitragen. Gegenüber M begründete Richard Logan, Namensgeber und Finanzier der Tagung, das Engagement seiner Familienstiftung aus Chicago: Er wolle „Menschen wach rütteln, aktiv die Gesellschaft zu verändern“ und dazu „mit Hilfe solcher Veranstaltungen verschiedene Communities zusammenbringen“. Investigativer Journalismus sei für ihn das Fundament einer starken freien Presse, so Logan weiter.

Seymour Hersh Foto: Uwe Sievers
Seymour Hersh
Foto: Uwe Sievers

Als Meister dieses Fachs gilt Seymour Hersh. Seine Berichte brachten regelmäßig US-Präsidenten ins Schwitzen. Hersh machte investigativen Journalismus populär, als er während des Vietnamkriegs Kriegsverbrechen der US-Armee aufdeckte und dadurch zu dessen Beendigung beitrug. Obwohl er sich damit viele Feinde im eigenen Land verschaffte, ließ er nie locker und deckte beispielsweise 2004 die Folterskandale der US-Armee im irakischen Gefängnis von Abu Ghraib auf. Hersh erinnerte sich, wie er einen ersten Hinweis auf Missstände erhielt: Ein hoher irakischer Offizier habe ihm bei einem klandestinen Treffen erzählt, dass „inhaftierte Frauen an ihre Väter geschrieben hätten, sie sollten kommen und sie umbringen, weil sie von US-Soldaten entehrt wurden“.

Hersh verfügt über ein umfangreiches Netz von Informanten. Für ihn haben Quellenschutz und sichere Kommunikation eine große Bedeutung. „Wir wussten immer, dass wir beobachtet werden“, berichtete er. Doch das wirkliche Ausmaß habe ihm erst Edward Snowden verdeutlicht, der ebenfalls per Video live hinzugeschaltet wurde. Snowden, der vor wenigen Tagen mit dem norwegischen Ossietzky-Preis für Meinungsfreiheit ausgezeichnet wurde, warnte davor, aus Bequemlichkeit auf Sicherheit zu verzichten: „Die Menschen haben sich daran gewöhnt, dass sie technische Lösungen angeboten bekommen, die kein Hintergrundwissen erfordern.“ Er appellierte an das Publikum: „Du kannst nicht sicher mit dem Internet umgehen, wenn du kein Verständnis von dessen Technik hast“.

Gavin MacFadyen Foto: Uwe Sievers
Gavin MacFadyen
Foto: Uwe Sievers

Deshalb setzt Kongressorganisator Gavin MacFadyen auf eine Symbiose zwischen Hackern und Journalisten: „Die einen wissen, wie Computer funktionieren und die anderen kennen das Mediengeschäft“. MacFadyen, der sich seit vielen Jahren gewerkschaftlich engagiert, hat eine ungewöhnliche Karriere vorzuweisen: Der einstiege LKW-Fahrer drehte später nicht nur Filme in Hollywood, sondern erarbeitete sich eine Professur am Institut für Medien und Kommunikation der University of London, wo er das Centre for Investigative Journalism, CIJ, gründete. Früher habe er bei der BBC Enthüllungsreportagen gemacht, heute unterrichte er unter anderem deren Mitarbeiter, wie man aus Datenbergen Informationen herausfiltert, erzählte MacFadyen der M. Inzwischen schult das CIJ auch Gewerkschafter: „Wir erklären den Gewerkschaften, dass Arbeitgeber ehemalige MI5-Mitarbeiter einstellen, um Gewerkschaftsaktivitäten zu überwachen“, erklärte er. Sie brauchten neue Gegenmaßnahmen: Von Hackern könne man nicht nur sichere Kommunikation, sondern auch Formen der Informationsbeschaffung erlernen, zeigte sich MacFadyen überzeugt. Dazu zählt das auf der Tagung vorgestellte Transparency Toolkit.
Das von M. C. McGrath entwickelte ungewöhnliche Rechercheinstrument bietet Zugriff auf über 70.000 Lebensläufe von Geheimdienstmitarbeitern, die diese in soziale Netzwerke wie LinkedIn eingestellt haben. Eigentlich für die Stellensuche gedacht, geht daraus oft auch hervor, an welchen Projekten sie gearbeitet haben. „Diese Informationen verknüpften wir mit den Snowden-Dokumenten“, berichtete McGrath. „So entsteht ein detailliertes Bild der geheimen Überwachungsprogramme“.


Das Centre for Investigative Journalism (CIJ), mit dem auch die dju in ver.di kooperiert, ist eine gemeinnützige Organisation zur Aus- und Weiterbildung von Journalistinnen und Journalisten für Recherche und die Verteidigung der Meinungs- und Pressefreiheit. Das CIJ wendet sich mit seinen Veranstaltungen und Fortbildungen aber auch an Absolventen und Nicht-Regierungsorganisationen, die Faktengenauigkeit, Fairness, Ethik und Professionalität in der Berichterstattung auf ihre Fahnen geschrieben haben. Außerdem will das CIJ besonders alle diese Gruppen unterstützen, die in Ländern gefährdeter Pressefreiheit, zum Teil sogar unter Lebensgefahr, arbeiten.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Die Zukunft der Filmförderung

In der morgigen Plenarsitzung des Bundestages wird über die Zukunft der deutschen Filmwirtschaft entschieden, der vom Bundestagsausschuss für Kultur und Medien beschlossene Gesetzentwurf zum Filmfördergesetz (FFG) steht zur Abstimmung auf der Tagesordnung. ver.di begrüßt eine Reform der Filmförderung, denn in Zukunft müssen Filmproduktionen Tarif- und Urheber-Vergütungen verbindlich einhalten.
mehr »

Audiodeskription: Die KI liest vor

Die Hälfte der öffentlich-rechtlichen Sender verwendet inzwischen auch synthetische oder mit Künstlicher Intelligenz (KI) generierte Stimmen, um für Fernsehformate Audiodeskriptionen zu erstellen. Das ergibt sich aus Nachfragen von M bei den neun ARD-Landesrundfunkanstalten und beim ZDF. Neben professionellen Sprecher*innen setzen der MDR, WDR, NDR, Radio Bremen und das ZDF auch auf synthetische oder KI-Stimmen für die akustische Bildbeschreibung.
mehr »

Gendergerechtigkeit per KI überprüfen

Ein Gender-Analyse-Tool der Technischen Universität München zeigt, wie Frauen medial ausgeklammert werden. Das Ziel vom  Gender Equality Tech Tool – GETT  ist es, die Sichtbarkeit von Frauen in der Berichterstattung bewusst zu fördern. Mit GETT kann über eine Kombination aus klassischen Algorithmen und Open-Source-KI-Modellen nachgeprüft werden, wie oft Frauen im Vergleich zu Männern in den Medien genannt und wie sie dargestellt werden.
mehr »

Gewalt an Frauen bleibt Leerstelle

Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland alltäglich. Und nicht nur in Politik und Justiz besteht großer Nachholbedarf im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt: Auch die journalistische Praxis zeigt deutliche Schwächen und erhebliche Leerstellen. Der aktuelle Trendreport der Otto Brenner Stiftung nimmt die Jahre 2020 bis 2022 in den Blick und stellt fest: Gewalt gegen Frauen wird isoliert dargestellt, ohne strukturelle Ursachen und Präventionsmöglichkeiten zu thematisieren. Das betrifft besonders deutsche Täter. Die Perspektive der Opfer bleibt unterbelichtet.
mehr »