Hate Speech: Kontern statt schweigen!

Hollywood-Schauspieler Morgan Freemann https://www.no-hate-speech.de

„Viele Menschen sind entsetzt über Hass und üble Beschimpfungen im Netz, doch das wird nicht wahrgenommen, weil viel zu viele schweigen.Wir wollen die Betroffenen mit dieser Kampagne empowern!“ So Konstantina Vassilliou-Enz von den Neuen deutschen Medienmachern (NdM), die seit Februar das No Hate Speech Movement des Europarats in Deutschland koordinieren. Am 22. Juli starteten sie die Kampagnen-Website „No Hate Speech“ mit einem Online-Flashmob. Ihr #NoHateSpeech-Tweet wurde von Unterstützer_innen zeitversetzt an fast 650.000 Menschen geschickt und sie jubelten: „Wir trenden auf Twitter, die Timelines sind voll – ihr seid großartig!“

Die Website vernetzt Organisationen, die sich in Deutschland gegen Hetze im Internet engagieren und versammelt Ideen, wie Betroffene auf Hasskommentare kontern können. „Zeig den Hater_innen, dass sie sich nicht im rechtsfreien Raum befinden, und den Betroffenen, dass sie nicht alleine sind!“ werden Besucher_innen der Website unter „Mitmachen“ aufgefordert. Doch wer weiß, dass er Hasspostings unter online-strafanzeige.de oder jugendschutz.net melden kann? Wer weiß, wie er wirkungsvoll kontert? Viel zu wenige, ergab eine Forsa-Umfrage im Juni 2016, die von der Landesmedienanstalt NRW in Auftrag gegeben wurde. Nach den Befunden kennt fast jeder Hetze im Netz: etwa zwei Drittel der Deutschen waren bereits mit Hasskommentaren konfrontiert, bei den 14- bis 24-Jährigen sogar 92 Prozent. In dieser Altersgruppe reagieren immerhin 70 Prozent auf die Hate-Postings. Bezogen auf alle Nutzer_innen, ignoriert allerdings die Hälfte von ihnen die Hetze im Netz.

Die meisten Leute kontern Hasskommentare nicht, weil ihnen die Zeit dazu fehle oder „mangels Wissen, weil ihnen keine Argumente einfallen“, so Vassilliou-Enz. Aber Hass sei „eine emotionale Geschichte. Da reichen Argumente nicht. Deshalb muss man auch emotional antworten – mit Humor.“ Dafür gibt es eine Counter-Speech-Rubrik auf der Website, die von den Medienmachern zusammengestellt wurde. Hier finden User allerhand Material für die Gegenrede, das sie downloaden und posten können, z. B. Textbausteine und Sprüche wie „Wer andere ausgrenzt, grenzt sich selber ein“ oder „Hass kann zu Durchblutungsstörungen führen und verursacht Impotenz“. Hier gibt es auch Bilder und Videoclips wie etwa die Comedy-Serie „Bundestrollamt für gegen digitalen Hass“, die eigens für die Kampagne produziert wurde, um verschiedene Diskriminierungen zu thematisieren. Jeden Clip beendet die für Hate-Speech-Abschaltung beauftragte Verwaltungsfachwirtin des Amtes mit:„Hass ist keine Meinung. Nicht mal im Internet. Sagen Sie das auch laut und freundlich!“

Die Sammlung ist inhaltlich sortiert – etwa nach Hate Speech gegen Geflüchtete oder Menschen mit Behinderungen, nach Sexismus, Antisemitismus, Antiziganismus oder Rechtsextremismus. Die Konter und Verhaltenstipps stammen von Initiativen und Institutionen, die sich bereits gegen Hate Speech engagieren und „tolle Instrumente anbieten“, so Vassilliou-Enz. So habe das medienpädagogische Projekt „Klicksafe eine App für Leute entwickelt, die von Cybermobbing betroffen sind“.

Die Website bietet nicht nur individuell nutzbare Tools gegen Hasskommentare, sondern versteht sich auch als „online-Knotenpunkt“ eines breiten zivilgesellschaftlichen und politischen Netzwerks gegen Internethetze, das im Newsroom Informationen austauscht. Über 40 Unterstützer_innen von der „Amadeu Antonio Stiftung“ bis zur „Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e. V.“
gehören bereits zum Netzwerk. Außerdem gibt es einen Aktionskalender, der sich schnell füllt: „Fast jeden Tag läuft in Deutschland etwas“, sagt Vassillio-Enz. So gebe es im Herbst eine offline-Veranstaltung zur Vernetzung von Aktivist_innen gegen Hate Speech.

Die Website-Macher_innen wollen auch selbst im Netz aktiv werden – vielleicht eine Kampagnen wie zum Start der Website initiieren, wenn etwa wieder eine Gruppe unter Generalverdacht gerät („z.B. Geflüchtete bei Belästigungen im Schwimmbad“). Im Moment könnten sie das mangels Personal nicht leisten. Außer der NdM-Geschäftsführerin Vassilliou-Enz mit einer halben Stelle arbeitet Sami David Rauscher im Vollzeitjob für No-Hate-Speech. Bis 2017 wird das Projekt vom Bundesfamilienministerium aus dem Programm „Demokratie leben!“ finanziert. Kampagnen könnten mit Unterstützung aus dem Netzwerk organisiert werden – etwa mit dem Projekt Leidmedien der Sozialhelden, wenn es darum geht, Diskriminierungen von Menschen mit Behinderungen zu kontern.

Nächstes Jahr soll der Fokus auf Medien liegen, die als „Lügenpresse“ beschimpft, ständig mit dem Vorwurf konfrontiert sind, Informationen zu verschweigen. „Ich beobachte, dass es für Redaktionen immer schwieriger wird, mit dem ganzen Hass fertig zu werden und Journalist_innen zweimal überlegen, wie bzw. was sie schreiben.“ Insbesondere die Antidiskriminierungsrichtlinie 12.1 im Pressekodex (Herkunftsnennung von Straftätern nur bei begründetem Sachbezug) sorgt für Verunsicherung. So will die Sächsische Zeitung nach einer Leserumfrage diese Richtlinie nun ignorieren. „Wir dürfen uns nicht nach den Hatern richten und müssen die Kollegen und Kolleginnen in den Redaktionen stärken, sagt Vassillio-Enz. Deshalb sei ein „Help-Desk“ speziell für Redaktionen geplant.

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