Nachbetrachtungen zur Akkreditierung beim NSU-Prozess in München
In meinem Büro gibt es eine kleine Ecke mit Erinnerungsstücken an journalistische Reisen und Einsätze. Darunter ist zum Beispiel in einem Gläschen ein Ölklumpen von der Ölpest im Golf von Mexiko 2012 oder eine blaue Sonnenbrille – ein Werbemittel der „Gewerkschaft der Studierenden mit Arbeiterhintergrund“ aus Madison / Wisconsin. Seit April 2013 sind zwei neue Kuriositäten zu dieser Sammlung hinzugekommen: Meine beiden offiziellen, dann hinfällig gewordenen Akkreditierungsausweise für den NSU-Prozess in München, der ursprünglich am 17. April beginnen sollte.
Einige Wochen lang stand mein Name in der Öffentlichkeit, denn viele Medien veröffentlichten die Liste derjenigen, die einen festen Sitzplatz im Gerichtssaal 101 im Justizgebäude an der Nymphenburger Straße 16 nach dem „Windhundverfahren“ erhalten hatten. Es gab Anrufe von Redaktionen. Die Berichterstattung zum Prozess war plötzlich selbst Gegenstand der Berichterstattung geworden. Zentraler Kritikpunkt war dabei die Tatsache, dass in diesem Prozess ausländische Medien, allen voran aus der Türkei, dem Ursprungsland der meisten Mordopfer, keinen Platz erhalten hatten. Bekanntlich revidierte das Münchner Oberlandesgericht nach einer Ermahnung des Bundesverfassungsgerichtes seine ursprüngliche Platzvergabe, verschob den Prozessauftakt und eröffnete ein neues Akkreditierungsverfahren, diesmal nach dem Lottoprinzip.
Diesmal war ich nicht unter den Gewinnern. Bei und nach der Prozesseröffnung (nun am 6. Mai) wogten die Wogen der Berichterstattung noch hoch – und brachen sich schließlich an den Gestaden der Strafprozessordnung. Anträge, Verfahrensfragen, immer wieder Unterbrechungen. Nein, es handelte sich nicht um die nachmittägliche Gerichtssendung von RTL, sondern um die Realität eines geordneten, rechtstaatlichen Verfahrens. Auch den medialen „Live-Tickern“ – die neue Königsdisziplin des engagierten Journalismus – ging dann irgendwann die inhaltliche Puste aus und sie meldeten am Mittwoch: „Beate Zschäpe, heute ganz in schwarz mit gelbem Poloshirt.“
Am Donnerstag war ich dann „drin“, ohne Probleme auch ohne festen Sitzplatz: Beate Zschäpe heute noch immer ganz in schwarz, aber mit fliederfarbener Bluse. Weder das Kontingent der Zuschauertribüne noch der Presseplätze waren kurz vor neun Uhr ausgeschöpft. Als hätte sich der Pulverdampf der medialen Schlacht gelegt, war plötzlich der Blick frei auf das Geschehen in und um den Gerichtssaal.
Erkennbar wurde unter anderem das mittlerweile eher seltsame Phänomen der Begrenzung in einer von Entgrenzung dominierten Zeit. Das Oberlandesgericht beharrte auf einen Gerichtssaal, der auch durch die Hinzuziehung von vielen Nebenklägern nur noch Platz für 50 Journalisten bot. Und noch immer ungeklärt und umstritten ist die von vielen geforderte Direktübertragung der Verhandlung in einen zusätzlichen Raum per Video. Das Ergebnis des erneuten, zweiten Akkreditierungsverfahrens war eher kurios: Zwar hatten durch festgelegte Kontingente nun türkische Medien einen Platz, dafür waren aber große meinungsbildende deutsche Zeitungen und auch die lokale Münchner Presse außen vor.
Überforderung
Höchst delikat, kommunikationswissenschaftlich interessant und vor allem höchst fragwürdig ist die vom Gericht vorgenommene Unterteilung der Medienlandschaft nach Kategorien wie „Gruppe 1: Nachrichtenagenturen“ mit der „Untergruppe Agenturen, die Nachrichten auch in deutscher Sprache im Inland verbreiten“ oder „Gruppe 2: Fremdsprachige Medien und deutschsprachige Medien mit Sitz im Ausland“, darunter unter anderem die „Untergruppe: Auf persisch publizierende Medien“. Das Gericht hat so genau das getan, wozu es sich vorher außerstande sah, nämlich eine relevante und repräsentative Abbildung der medialen Öffentlichkeit mittels Kategorien beziehungsweise Kontingenten zu leisten.
Damit konfrontiert war das Gericht aber durch sein Beharren auf den Gerichtsaal 101 und der dann erfolgten massiven medialen Kritik. Damit war das Gericht genauso überfordert wie zuvor bei der Beurteilung jenes Tatbestandes, dass Morde an türkischstämmigen Menschen in Deutschland durch Neonazis selbstverständlich auf das große Interesse ausländischer Medien stoßen. Allerdings ist auch die Frage interessant, was denn passiert wäre, wenn etwa zwei türkische Zeitungen bei der ersten Akkreditierung schneller gewesen wären und einen festen Platz ergattert hätten. Wäre dann bereits alles gut gewesen?
Jetzt ist im Gerichtssaal 101 erst mal wieder Pause bis zum 4. Juni. Zurück bleibt ein Nachdenken über eine mediale Aufgeregtheit, deren Struktur, Ursache, Wirkung und Legitimation sicherlich noch Gegenstand kommunikationswissenschaftlicher und juristischer Betrachtung sein wird und sein sollte. Und zurück bleiben natürlich auch die beiden historischen Ausweis-Trophäen in meinem Regal.