Hochmodern und trimedial

Neues Radio-Bremen-Funkhaus: Großraumbüros wie „Legebatterien“

„Investieren, um zu sparen“ – nach diesem Motto hat Radio Bremen (RB) das „modernste Funkhaus Europas“ bauen lassen. Bisher leistete sich die kleinste ARD-Anstalt zwei getrennte Standorte für den Hörfunk und fürs Fernsehen. Die Zusammenlegung soll 3,5 Millionen Euro pro Jahr einsparen – Geld, das der Sender dringend braucht, nachdem der ARD-interne Finanzausgleich drastisch reduziert wurde.

Als besonders modern gilt der Neubau zum einen wegen der komplett fabrikneuen Digitaltechnik. „Das ist ein Quantensprung, nachdem jahrelang nichts mehr modernisiert worden war“, meint Monika Grüning, Betriebsratschefin der für die gesamte RB-Produktionstechnik zuständigen Tochterfirma „Bremedia“. Das Fernsehen arbeitet nicht mehr mit Video-, sondern nur noch mit Digitalkameras und Computerschnitt. Beim Hörfunk fahren die Moderatoren ihre Sendungen überwiegend allein – an drehbaren und höhenverstellbaren Pulten. Das eigentlich Besondere in Bremen ist die weitgehende trimediale Vernetzung von Hörfunk, TV und Internet – ein Vorbild womöglich für die ganze ARD (auch der Saarländische Rundfunk geht bereits diesen Weg Titelthema S. 12 und der NDR M 01–02/2007). Kommt eine Fernsehreporterin von einem Interview, stellt sie ihre O-Töne ins zentrale Redaktionssystem; während sie noch an ihrem Beitrag bastelt, kann die Online-Redaktion schon Ausschnitte ins Internet stellen, und die Nachrichtenredaktion macht daraus Kurzbeiträge für die jeweils unterschiedlichen Nachrichten der vier Hörfunkwellen. Praktischerweise gibt es für jede Welle eine eigene Sprecherkabine in der Nachrichtenredaktion.

Zentrale am Rande der City

„Einmal generieren, unterschiedlich distribuieren“ – so umschreibt Intendant Heinz Glässgen dieses System. Dass jeder Termin nur noch von einem Reporter wahrgenommen wird, plant er allerdings nicht. Zumindest bei größeren aktuellen Ereignissen rücken auch weiterhin mehrere Teams aus. Eine Zentrale am Rande der City statt zweier Standorte weit außerhalb – das hält nicht nur Personalratschef Bernd Graul für eine „äußerst gute Maßnahme“. Aber sie hat ihren Preis: Es ist eng im neuen Funkhaus, das seit August etappenweise bezogen wird und zum Jahreswechsel endgültig belegt sein soll. Es ist nur noch halb so viel Platz wie früher. In der Chefetage ist davon zwar nichts zu merken (hier können die Herren des Hauses sogar duschen), aber weiter unten sitzen die meisten Reporter und Redakteurinnen dicht an dicht in vollgestellten und teils stickigen Großraumbüros an auffällig kleinen Schreibtischen – in Beton gegossene Hierarchie. Die vorherrschende Farbe: Grau.

Bis zu 38 Menschen in einem Raum ohne Trennwände: wie soll man hier kreativ arbeiten und vertrauliche Telefonate führen? Personalrat Graul spricht von einem „Sprung zurück in die 70er Jahre“. Ein Bremer, der einen Reporter im Funkhaus auf dessen Handy anwählte, soll wegen der Hintergrundgeräusche zu ihm gesagt haben: „Ich rufe später noch mal an – du bist ja wohl gerade auf dem Bahnhof.“ Immerhin kann man sich für besonders schwierige Telefonate in einen verglasten Extraraum zurückziehen. Ein Redakteur meint denn auch: „Es ist nicht so schlimm, wie ich dachte.“ Aber andere klagen: „Das ist hier wie in einer Legebatterie oder einer thailändischen Nähstube.“ Der Personalrat hat längst Verbesserungsvorschläge gemacht, doch der Intendant hat sich darauf nicht eingelassen. Er will erst später über Korrekturen nachdenken.

Keine persönlichen Nischen

Wer in einem der Großraumbüros sitzt, hat nicht mal einen eigenen Schreibtisch, sondern muss sich jeden Tag einen anderen suchen. Das einzig Persönliche ist ein eigener Rollcontainer, in dem jeder seine Unterlagen verstauen kann. „Es gibt keine persönlichen Nischen mehr, es ist heimatlos geworden“, so ein Mitarbeiter.
Viel dramatischer sind allerdings die Tücken der modernen Technik. Dass ein Fernsehbeitrag mal ohne Ton läuft oder die Moderatorin wegen rausgesprungener Sicherung im Dunkeln steht, kann bei neuen Anlagen immer mal passieren. Grundlegender scheinen die Probleme beim trimedialen Redaktionssystem: „Es gibt immer wieder Ausfälle und Abstürze“, wie „Bremedia“-Betriebsrätin Grüning sagt. Ein RB-Mitarbeiter drückt es noch deutlicher aus: „Das ist ein technisches Desaster. Permanent hat man mit Unberechenbarkeiten zu tun. Alles, was funktioniert, funktioniert nur unter unglaublichem Kraftaufwand. Die Leute arbeiten am Limit und sind total frustriert. Dieses Funkhaus funktioniert auf dem Rücken der Leute.“ „Es gab zu wenig Zeit für Probebetrieb“, meint auch Personalratschef Graul. Er kennt Beschäftigte mit Hörsturz und Nervenzusammenbruch.
Das Fernsehen war bereits im September auf die Noch-Baustelle gezogen und durfte als Pionier die Segnungen der neuen Technik ausprobieren. Nach diesen leidvollen Erfahrungen wurde der Umzug des Hörfunks um Wochen verschoben. Trotzdem ging auch in den ersten Radiosendungen einiges drunter und drüber. Sogar Intendant Glässgen räumt ein: „Wir sind ein bisschen Versuchskaninchen. Manches funktioniert noch nicht so wie erhofft und wie die Firmen es versprochen haben“. Aber er sieht darin lediglich „Kinderkrankheiten“. Die Kritik an den Arbeitsbedingungen tut er mit den Worten ab: „Veränderungen sind bei Menschen nicht beliebt.“
Veränderungen – die gab es reichlich in den vergangenen Jahren. Der Funkhaus-Neubau ist nur der vorerst letzte Schritt auf einem mühseligen Weg, den Glässgen als die „tiefgreifendsten Reformen“ der Geschichte von Radio Bremen bezeichnet. Nötig wurden sie durch den viel kritisierten Beschluss der Ministerpräsidenten, ab 2001 den ARD-internen Finanzausgleich nach und nach abzusenken. Die kleinste Anstalt verlor dadurch bis 2006 ein Drittel ihrer Einnahmen und musste drastisch umstrukturieren:

  • Als erstes fusionierte Glässgen zwei der vier Hörfunkwellen mit anderen ARD-Sendern (NDR und WDR).
  • Nach und nach wurde die Belegschaft sozialverträglich um etwa 40 Prozent verkleinert. Von einst 700 Festangestellten arbeiten nur noch 400 im Sender oder in den ausgegliederten Tochterfirmen. Hinzu kommen etwa 150 freie Mitarbeiter.
  • Seit April 2006 ist die gesamte Produktionstechnik ausgegliedert – das bisher weitestgehende Outsourcing in der ARD. Die Gerätschaften gehören der RB-Tochter „Radio Bremen Media GmbH“, und das Personal wechselte zur neuen „Bremedia Produktion GmbH“, die zu 51 Prozent Bavaria-Film und zu 49 Prozent RB gehört.

Zu wenig Platz für Bremedia

Im verwinkelten neuen Funkhauskomplex, der aus drei mit verglasten Übergängen verbundenen Einzelgebäuden besteht, residiert auch die „Bremedia“. Allerdings nicht komplett, denn dafür war nicht genug Platz. Der Bremer Senat hatte darauf gedrungen, auch externe Betriebe aufzunehmen. So sollte ein „Medienkompetenzzentrum“ entstehen, das den abgewirtschafteten Stadtteil „Faulenquartier“ (heute lieber „Stephaniviertel“ genannt) aufwerten sollte. Im ursprünglich geplanten Umfang wurde daraus zwar nichts, aber der eine oder andere Mieter fand sich durchaus, etwa das ZDF-Studio Bremen oder ein Trainingszentrum der Potsdamer „Electronic Media School“.
Möglich wurde das 80-Millionen-Projekt nur mit Hilfe der ARD: Sie übernahm fast 65 Millionen Euro der Kosten und sicherte damit das Überleben des Senders. Aber die Zukunft ist weiter gefährdet. Die nächste Rundfunkgebühren-Erhöhung gleicht nicht mal die Inflation aus. Deshalb verweigert Glässgen vorläufig auch alle Gehaltserhöhungen – zum Ärger der Gewerkschaften und der Beschäftigten.

Klassik ade

Radio Bremen finanziert seinen Neubau auch durch den Verkauf seiner bisherigen Standorte. Die neuen Eigner wollen die Gebäude abreißen – so auch den legendären Sendesaal von 1952. Wegen der damals revolutionären Bauweise „Haus im Haus“ verfügt er über eine hervorragende Akustik. Internationale Künstler und andere Engagierte wollen den zeitweilig sogar denkmalgeschützten Bau retten. Aber weder RB noch der Bremer Senat unterstützen die Initiative, die den Saal zum Kern eines Musikerdorfs machen möchte.
Der einzige Ersatz für den Sendesaal, das „Event-Studio“ im neuen Funkhaus, eignet sich zwar gut für Jazz- und Rockkonzerte, aber bei ersten Versuchen mit Klassikmusik versagte die Akustik kläglich.

„Freund-Feind-Schema“

Den Umzug ins neue Funkhaus feierte RB Ende November bei einem Festakt mit den ARD-Intendanten und Lokalprominenz, aber ohne Presse. Belegschaftsvertreter wie der Personalrat oder die Frauenbeauftragte erhielten eine Einladung – aber die klang eher nach Ausladung. Intendant Heinz Glässgen (63) schrieb ihnen: „Aus Sicht einiger wäre es nicht nachvollziehbar, diejenigen einzuladen, die die tief greifenden Reformen grundsätzlich und planvoll ablehnten und teilweise sogar bekämpften.“ Er könne diese Bedenken zwar „nachvollziehen“, wolle es aber den Personalvertretern selber überlassen, „wie Sie mit diesem Tag umgehen, ob Sie also den Festakt als Dokumentation des Scheiterns verstehen wollen oder als Beweis dafür, dass manchmal die Leitung eines Hauses etwas halbwegs Vorzeigbares sogar trotz erheblichen Widerstandes zustande bringt.“
Der Personalrat nahm, wie auch die anderen Angegriffenen, die Einladung zwar an, schrieb dem Doktor der katholischen Theologie aber zurück, seine „Schwarz-Weiß-Kategorisierung in bedingungslose Befürworter und grundsätzliche Blockierer“ sei falsch. Die Personalvertreter hätten lediglich sachliche Kritik an bestimmten Entscheidungen geübt. Glässgens „Freund-Feind-Schema“ betreffe auch Beschäftigte außerhalb des Personalrats. „Es macht sie mundtot. Es erzeugt Angst, Kritik zu üben.“
Sogar der Bremer CDU-Landeschef und Kulturstaatsminister Bernd Neumann spießte Glässgens Führungsstil auf. In seiner Festakt-Rede riet er dem Intendanten: „Nehmen Sie die Mitarbeiter durchaus mit. Das kann nicht schaden.“

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