Illegale Liste mit Journalistendaten

Aktivisten des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) prtestieren am 6. Juni 2016 vor der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin gegen die Verlängerung des Glyphosat-Einsatzes in der EU.
Foto: Jörg Farys/BUND

Die berühmt-berüchtigte Chemikalienproduzentin Monsanto nahm über 90 französische Presseleute in eine Liste auf, die zur Beeinflussung wichtiger politischer Akteure angelegt wurde und persönliche Daten enthielt, die nichts mit der beruflichen Tätigkeit zu tun haben. Das haben französische Medien bereits am 9. Mai bekanntgemacht. Ihnen liegt die Datensammlung von 2016 vor. Die Empörung ist groß, denn so etwas ist in Frankreich illegal.

Mehreren französischen Medien liegen Dokumente von 2016 vor, die für Aufsehen sorgen. Damals kämpfte Monsanto für die Verlängerung der EU-Lizenz für Glyphosat, dem angeblich weltweit am weitesten verbreiteten Pflanzenvernichtungsmittel. Glyphosat wird für den Schwund der Artenvielfalt mitverantwortlich gemacht. Es soll sogar krebserregend sein. Um seine Wiederzulassung 2017 tobte ein langer Streit.

Deshalb engagierte Monsanto die große Brüsseler Kommunikationsagentur Fleishmanhillard. Die von ihr angelegte Datensammlung sorgt nun für Kritik, denn darin sollen sich Einträge zu rund 200 Personen finden, darunter laut „Le Parisien“ 91 Journalist*innen. Die Zielpersonen werden demzufolge nach ihren Ansichten zu agrarpolitischen Themen, ihrem Einfluss, ihrer Glaubwürdigkeit und ihrer Haltung zu Monsanto bewertet. Die persönlichen Daten in dieser Liste waren dem Fernsehsender „France 2“ zufolge nicht alle öffentlich zugänglich.

Ein zweites Dokument von Fleishmanhillard listet laut „Le Parisien“ 74 Personen auf, die „prioritäre Zielscheiben im Rahmen von Monsantos Kampagne“ waren. Auch darunter befinden sich Presseleute. Die Gelisteten sollen mit Farben in vier Kategorien eingeteilt worden sein: Verbündete und potenzielle Verbündete, sowie „zu erziehende/bildende“ und „zu überwachende“ Akteure. In letztere Kategorie fielen demzufolge zwei Handvoll Angehörige des Staatsapparates, unter den „zu Erziehenden“ waren aber auch 16 Journalist*innen. In einer Notiz aus dem Januar 2017 soll Fleishmanhillard empfehlen, sich über Hobbys der Zielpersonen zu informieren.

Die Zeitungsgruppe „Le Parisien/Aujourd’hui en France“ fand drei ihrer Journalist*innen in den Listen und schaltet nun die staatliche Datenschutzkommission ein. Bei der Agentur AFP sind es vier Personen. „Radio France“ meldet sechs Betroffene und kündigt juristische Schritte an. „France Télévisions“ tut das wegen einer betroffenen Person. Die „Vereinigung der wissenschaftlichen Pressejournalist*innen“ AJSPI sieht „mehrere ihrer journalistischen Mitglieder, vor allem ihren Vorsitzenden Yves Sciama“ betroffen und prüft, ob sie sich den bereits eingereichten Klagen anschließt.

„Le Monde“ hat schon am 26. April Klage für ihre fünf Betroffenen eingereicht. Dabei gehe es um Unerlaubte Datenerhebung und -verarbeitung, informationstechnische Speicherung von politischen und philosophischen Ansichten einer Person ohne deren Zustimmung, sowie, da die Dokumente auf Englisch sind, Datentransfer an ein Nicht-EU-Land. Auf jedes dieser vier Delikte stehen bis zu fünf Jahre Haft und bis zu 300.000 Euro Geldstrafe. „Le Monde“ verweist darauf, dass ihr Journalist Stéphane Foucart nicht nur als großer Glyphosat-Gegner, sondern sogar als „Aktivist“ geführt und auf einem Foto zusammen mit zwei Abgeordneten der Grünen gezeigt werde.

Auch mehrere betroffene Politiker*innen und Organisationen haben Klagen gegen die Datenbank angekündigt. Die Pariser Staatsanwaltschaft hat eine laufende Vorermittlung bestätigt. Der ehemalige Lobbyist Bruno Gosselin, der am Europäischen Lobbyismus-Institut in Paris unterrichtet, nannte Fleishmanhillards Vorgehen im Interview mit France Info eine „Barbouzerie“, was mit Geheimdienstschnüffelei übersetzt werden kann.

Monsanto wurde im vergangenen Jahr von der deutschen Bayer AG gekauft. Die veröffentlichte nun am 12. Mai  eine Monsanto-kritische Erklärung zum Stakeholder-Mapping-Projekt ihres Tochterunternehmens und gab die Beauftragung einer Anwaltskanzlei bekannt, die die Vorgänge untersuchen soll. Matthias Berninger, der bei Bayer die Aufklärung leitet, sagte am 13. Mai in einer telefonischen Pressekonferenz, dass solche Personenlisten „sehr wahrscheinlich“ auch in anderen Ländern für Monsanto angelegt wurden, da es sich um einen EU-bezogenen Auftrag gehandelt habe.

 

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

Trump: Angriff auf kritische Medien

Donald Trump hat schon im Wahlkampf angekündigt, US-Medien, von denen er sich kritisiert und angegriffen sieht, auszuschalten, sollte er gewählt werden. Von welchen Möglichkeiten er dabei unter anderem Gebrauch machen kann, hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in einem Beitrag aufgeführt. Es zeigt sich: Trumps Drohungen sind alles andere als unrealistisch. Und sein Vorbild für diese sitzt in Europa.
mehr »

Öffentlichkeit ohne Journalismus

Schwindende Titel, schrumpfende Redaktionen, immer geringere Abonnentenzahlen – dass gerade der Lokaljournalismus vielerorts unter Druck steht, ist nicht neu. Doch was bedeutet das für die lokale Öffentlichkeit, die inzwischen von vielen selbstbewussten Medien-Akteuren mitgestaltet wird? Eine aktuelle Studie der Otto-Brenner-Stiftung beschäftigt sich mit genau dieser Frage.
mehr »