Journalismus in Corona-Zeiten

Das „Podium“: Cornelia Berger, Ines Pohl, Daniel Bouhs, Henrik Müller und Johannes Endres (v.l.n.r.)

Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf die Medienbranche? Darüber debattierte am 29. April der Mediensalon, eine Veranstaltungsreihe unter Beteiligung der dju in ver.di und dem DJV. Ganz neu in diesen Zeiten: das digitale Format. Ursprünglich sollte der Mediensalon ganz analog im Basecamp in Berlin Mitte stattfinden, daraus wurde nun ein Basecamp on Air.

Moderatorin Tina Groll, Wirtschafts- und Politikredakteurin bei „Zeit Online“ und dju-Bundesvorsitzende, begrüßte ihre Gäste aus dem heimischen Berliner Arbeitszimmer, auch die 5 Referent*innen – im Video zu sehen – und 200 Zuschauende schalteten sich zu. „Viele Redaktionen sind in Kurzarbeit oder haben sie angekündigt. Das ist absurd, denn noch nie war das Interesse an Qualitätsjournalismus so groß wie heute“, leitete Groll ein. Parallel verbreite sich im Internet eine wahre „Infodemie“ von oftmals widersprüchlichen Informationen und Pseudoinformationen. Wie gut machen Journalist*innen in dieser Situation ihren Job?

Man müsse genau schauen, von welchen Medien und von welchen Märkten man spricht, so die Chefredakteurin der Deutschen Welle Ines Pohl. Bei der Deutschen Welle, die ein internationales Medienangebot in 30 Sprachen sende, zeige sich, dass es vor allem in den zensierten Märkten gar nicht genug unabhängige Information geben könne. „Das Interesse an Deutschland ist immens, wenn wir berichten, wie die Bundesregierung und andere Einrichtungen mit der Corona-Pandemie umgehen.“

Pauschale Medienschelte ungerechtfertigt

„In einer ersten Phase waren viele Journalist*innen überrascht von der Heftigkeit der beschlossenen Maßnahmen.“ Da sei es durchaus kritikwürdig gewesen, dass Journalist*innen lediglich als Transporteure der Regierungsbeschlüsse fungierten, so Medienjournalist Daniel Bouhs. Er habe es zunächst auch kritisch gesehen, dass die Kolleg*innen von NDR Info dem Virologen Christian Drosten eine solche Bühne bieten. Inzwischen gebe es aber auch andere Formate mit anderen Wissenschaftlern. Über den zeitlichen Verlauf hinweg finde sich seit einigen Wochen eine kritische Politik-Begleitung, die auch hinterfragt, ob all die Maßnahmen sinnvoll und gerechtfertigt seien. Wenn man nur auf einzelne Momente oder Redaktionen schaut, kann man durchaus Kritik üben. „Aber alles in allem ist das derzeit recht ausgeglichen.“

Auch Prof. Dr. Henrik Müller vom Journalismus-Institut der Universität Dortmund hält pauschale Medienschelte für nicht gerechtfertigt. „Wir haben inzwischen eine sehr breite Debatte“. Wenn eine völlig neue Situation entsteht, sei es normal, dass die Berichterstattung erst einmal ziemlich gleichgerichtet ist und sich erst im Laufe der Zeit ausdifferenziert. Inzwischen sei die Expertise in den Redaktionen gewachsen, die Berichterstattung vielfältiger und kritischer geworden.

Johannes Endres, designierter Sprecher des Deutschen Presserates, betonte, dass „Medien in der momentanen Situation noch stärker so handeln, wie sie es sowieso tun. Medien, die für den nächsten Klick alles geben und stark auf emotionale Betroffenheit setzen, steigern sich darin. Medien, die auf eine saubere Berichterstattung setzen, verstärken ihr Engagement.“ Eine große Verschlimmerung oder Verbesserung sei nicht zu beobachten.

Viruskrise als Katalysator

„Die Situation der vergangenen Wochen war beispiellos, man konnte nicht auf Erfahrungen aus der Vergangenheit zurückgreifen“, so Cornelia Berger, Bundesgeschäftsführerin der dju in ver.di. Unter Bedingungen, wo Redaktionskonferenzen im Wohnzimmer stattfinden und vieles drunter und drüber geht, hätten die Kolleg*innen einen großartigen Job gemacht. „Sie haben sich in die neue Situation reingefuchst“. Man erlebe derzeit eine Beschleunigung von Entwicklungen, die seit Jahren zu beobachten sind. „Corona wirkt wie ein Katalysator und bringt Probleme auf den Punkt. Die Herausforderung für die Politik besteht darin, zu überlegen, wie eine vielfältige, auch regionale Berichterstattung erhalten werden kann.“

„In der Corona-Krise fragen die Bürger*innen wieder verstärkt Traditionsjournalismus nach – Abrufzahlen, digitale Verkäufe, aber auch Abonnements regionaler und überregionaler Tageszeitungen gehen in die Höhe, öffentlich-rechtliche Berichterstattung wird geschätzt. Das ist doch eine Chance“, fragt Groll in die Runde. Dass der Wert von Qualitätsjournalismus nach den Lügenpresseanwürfen der letzten Jahre wieder gesehen werde, sei eine tolle Sache und eine Chance, so Müller. „Gleichzeitig brechen gerade Geschäftsmodelle von Medienunternehmen weg. Wir hören von Zeitungsverlagen, dass zeitweise 80 Prozent ihrer Werbeeinnahmen weggefallen sind.“ Auch wenn es jetzt durch die Öffnung der Läden etc. wieder ein wenig aufwärts gehe, seien für Regionalzeitungen und regionale Radiosender „existenzielle Probleme entstanden, die sich kaum zurückdrehen lassen“. Er habe die Sorge, dass die andauernde schleichende Krise der Presse durch die coronabedingte Rezession verschärft werde. „Wir befürchten, dass die journalistische Qualität und die Medienvielfalt in Deutschland darunter leiden. Neue Finanzierungswege müssten gefunden werden, gerade für die Qualitätsmedien. Ansätze etwa zu einer Stiftungsfinanzierung seien gut, sie reichten aber nicht aus, um das Mediensystem und die breite Medienlandschaft zu retten“, sagte Müller.

Pohl lobt Stiftungsmodelle: Aktionen wie „taz zahl ich“ würden wichtiger. „Wir müssen Menschen dazu bringen, sich mit ihrer Zeitung, ihrem Sender so zu identifizieren, dass sie ihn finanziell unterstützen.“ Den momentanen Glaubwürdigkeitsgewinn – nicht nur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sondern ganz allgemein – dürfe man nicht verspielen.

Sinn von Kurzarbeit in Redaktionen fraglich

Berger bemängelt den Versuch vieler Medienunternehmen, sich in die Kurzarbeit zu retten: „Die gesetzlichen Voraussetzungen für Kurzarbeitergeld sind unverändert. Sie sehen vor, dass zum Erhalt von Arbeitsplätzen dieser Weg einer verkürzten Arbeitszeit bei einer entsprechenden Lohnkürzung gegangen werden kann. Voraussetzung ist aber, dass eine existenzielle Notsituation vorliegt. Wenn man sieht, dass aus den Redaktionen eigentlich mehr berichtet wird als zuvor, erschließt sich der Sinn von Kurzarbeit in den Redaktionen nicht. Am Ende des Tages rödeln die Kolleg*innen mehr als sonst und nehmen noch weniger Geld mit nach Hause.“ Über Kurzarbeit wollten sich Unternehmen Liquidität sichern, was nicht im Sinne des Gesetzes sei. „Um Liquiditätsengpässe durch fehlende Werbeeinnahmen zu überbrücken, hat die Bundesregierung andere Wege geebnet.“ – etwa durch günstige Kredite.

Wenn durch Arbeitszeitverkürzungen weniger Zeit für Recherche vorhanden sei, leide die Qualität, es werde nicht mehr korrekt und sauber informiert, so Endres. „Viele Medien haben eigene Kompetenzen abgeschafft: Am Beispiel des Podcast von Christian Drosten kann man sich fragen, welche Funktion die Medien dabei noch haben. Drosten macht Seine Sache wunderbar, er erzählt spannend und informativ. Nur: Die Journalist*innen beschränken sich häufig darauf, ihm nicht ins Wort zu fallen!“

Müller kann sich vorstellen, dass lokale Redaktionen mit öffentlich-rechtlichen Systemen kooperieren, um die Vielfalt zu erhalten – auch in Abgrenzung zu den großen Plattformen wie Google oder Facebook, bei denen inzwischen ein Großteil der Werbeerlöse ankomme. „Die öffentlich-rechtlichen Systeme und Staatsfinanzierung insgesamt müssen in Zukunft eine größere Rolle spielen. Wichtig ist dabei, die Unabhängigkeit der Medien zu erhalten.“

Ein Vorbild könne die britische BBC sein, die mit regionalen Tageszeitungen kooperiere, ergänzt Bouhs. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk stelle dort seine Infrastruktur medialen Privatanbietern zur Verfügung, in der Schweiz gebe es ähnliche Beispiele. Auch in Deutschland habe man das Modell einer „Supermediathek“ schon diskutiert, bei dem der private, der öffentlich-rechtliche Rundfunk und Verlage ihre Inhalte auf eine gemeinsame Plattform stellen, um den wahren Feinden – Google, Facebook und Co – etwas entgegenzusetzen. „Damals war der Leidensdruck noch nicht groß genug, heute ist er es. Die Zukunft einer starken Medienlandschaft liegt in einer größeren Verzahnung.“

Stärken und Kreativität offenbart

Zum Schluss der Debatte, die von einem lebendigen Chat der Teilnehmenden begleitet wurde – zu verfolgen am Rande des Videofensters, forderte die Moderatorin noch kurz etwas „Positives“ ein: „Wir erleben jetzt, wie wichtig unser Beruf ist, die große Nachfrage gibt mir Kraft“, so Ines Pohl. Und Henrik Müller lobt, dass die Gesellschaft gelernt hat, wozu sie fähig ist: „In einem großen Akt der Solidarität mit Schwächeren und Älteren sind neue Werte entstanden. Praktisch haben wir gelernt, wie gut Videoformate funktionieren.“ Enders freut sich, dass die Medien die Stärken von gut gemachtem Journalismus gezeigt haben: „Saubere Darstellung, korrekte Vermittlung, interessante Inhalte, gute Aufbereitung: Diesen bewiesenen Wert kann man in neue, kreative Modelle umsetzen.“ Auch Bouhs ist überzeugt, „dass die Krise viel Kreativität freisetzt“ – etwa wenn das „Mindener Tageblatt“ an ihre Leser*innen auch Waren ausliefere oder die „Thüringer Allgemeine“ Essen. „Das Logistiknetz von Zeitungen kann sehr nützlich sein.“ Eher Chancen als Risiken sieht Berger in der Corona-Krise. „Sie zeigt uns den Handlungsbedarf und die Handlungsmöglichkeiten gleichermaßen.“

Die Aufzeichnung des Mediensalons: https://www.crowdcast.io/e/medien-in-der-corona

 

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