Prof. Martin Löffelholz auf dem Journalistentag in Köln: „Die journalistische Recherche ist nicht tot, obgleich sie manchmal leblos erscheint.“
„Der deutsche Journalismus ist in der Defensive. Der Spielraum für einen aktiven, aufklärerischen und aufrechten Journalismus hat sich deutlich verringert.“ Mit dieser These begann Prof. Martin Löffelholz (Foto) von der TU Ilmenau, Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, auf dem Journalistentag in Köln seinen interessanten Vortrag über „Qualitätsstandards im Journalistenalltag“.
Der Journalismus sei keineswegs nur aufgrund der aktuellen ökonomischen Krise in die Defensive geraten. Die verschlechterte Kosten- und Erlösstruktur im deutschen Medienmarkt erweise sich vor allem deshalb als so gravierend, weil sie den Journalismus „in einem Prozess des schleichenden Identitätsverlustes trifft“. Die derzeitigen Stellenstreichungen und Entlassungen, die sinkenden Budgets für freie Mitarbeiter seien zwar drastisch, in manchen Fällen sogar dramatisch. Aber die Qualität journalistischer Produkte und die Qualitätsstandards des Journalismus seien vorher schon einer Erosion unterlegen. Den „aktuellen ökonomischen Schlingerkurs“ – nicht nur, aber vor allem bei Printmedien und privat-kommerziellen Rundfunksendern – führt Löffelholz auf eine generelle Kommerzialisierung der publizistischen Arbeit zurück. Diese führe dazu, dass journalistisches Handeln mehr von ökonomischen Kalkülen als von publizistischen Zielen geprägt werde. „Begriffe wie Marketingstrategie, Kostenkalkül und Verwertungschance gehören heute zum journalistischen Alltag. Journalistinnen und Journalisten balancieren immer mehr auf dem schmalen Grat zwischen Marktanpassung und publizistischer Verantwortung.“ Aufgrund des unzweifelhaft vorhandenen ökonomischen Drucks, schlittere der deutsche Journalismus in eine „Identitätskrise hinein, die es in dieser Form bisher nicht gegeben habe. Eine Ursache dafür seien die Beziehungen zwischen Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit. Journalistinnen und Journalisten müssten sich eingestehen, dass sich die Machtbalance zwischen Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit verschoben habe – zu Ungunsten des Journalismus. Die Öffentlichkeitsarbeit, die mit mindestens dem gleichen Recht auch als Geheimhaltungsarbeit bezeichnet werden könne, habe sich im letzten Jahrhundert „zu einem hochgradig differenzierten und (zum Teil) hochprofessionalisierten Berufsfeld mit anspruchsvollen Organisationsstrukturen, vielseitig erprobten Kommunikationsinstrumenten, einem deutlich verbesserten Ausbildungsstand der PR-Kommunikatoren entwickelt. „Auf der anderen Seite steht ein Journalismus, der sich mit normativen Ansprüchen schmückt, die ihre Wurzeln in der Aufklärung haben und sich nach wie vor für Sonntagsreden zur Relevanz des Journalismus in der Demokratie gut eignen“, so Löffelholz. An dem „faktischen Gehalt dieser normativen Ansprüche“ zweifelte der Professor jedoch. Als Beipiel wurde die Unabhängigkeit des Journalismus benannt, ein Anspruch, der den Journalismus in demokratischen Marktgesellschaften charakterisiere. Dabei könne und dürfe es eine absolute Unabhängigkeit des Journalismus im Sinne einer Autarkie nicht geben, auch nicht in einer demokratischen Gesellschaft. „Journalismus muss bezahlt werden, also gibt es ökonomische Einflüsse. Journalismus übernimmt Funktionen für das politische System – also gibt es politische Einflüsse. In beiden Bereichen braucht es Ausgleichssysteme, um die immer wieder – nicht nur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk – gerungen werden muss.“ Löffelholz ging es jedoch vor allem um solche Einflüsse, „die weder unvermeidbar noch selbstverständlich sind und heute auch in Deutschland so weit reichen, dass sie die Identität des Journalismus gefährden“ wie „die Auftragskommunikation im Mantel des Journalismus“.
„Sind Computerzeitschriften eigentlich journalistische Organisationen? Was ist der Unterschied zwischen der Zeitschrift, die von der Telekom herausgegeben wird, und der Telekommunikationszeitschrift, die in einem traditionellen Verlagshaus erscheint? Wie journalistisch ist ein Reise-, Motor- oder Auslandsjournalismus, den es nur deshalb gibt, weil Organisationen mit Partialinteressen diesen finanziell ermöglichen? Darf eine Wirtschaftssendung, die von einer PR-Agentur produziert wird und in einem privaten Nachrichtensender ausgestrahlt wird, als Journalismus bezeichnet werden?“ Diese Fragen verdeutlichten, so der Professor, „dass der Journalismus aufgrund einer partiellen Kolonialisierung durch Auftragskommunikation gefährdet ist“. Eine denkbare Gegenbewegung sei strukturell kaum verankert. Mit einem Blick auf die Website „Journalismus.com“, auf der sich alles findet, was Journalisten brauchen, untermauerte Löffelholz seine Ansicht. Die Zahl der Einträge im Diskussionsforum „Presserabatte“ übersteigt die Zahl der Einträge zum Forum „Recherche“ gravierend. Wo lassen sich welche Rabatte in welcher Höhe bekommen? Verbilligte Flüge, Preisnachlässe bei Autos, kostenlose Recherchereisen – das alles gehöre seit langem zum Journalistenalltag. Das entspäche auch den Erklärungen, die Journalisten geben würden, wenn sie zu diesem Thema befragt werden: „Na klar, ich fahre nach Italien und zahle nichts dafür. Aber meinen Artikel über das Schneeparadies in Südtirol beeinflusst das doch nicht.“ Übersehen dabei werde, dass von einem unabhängigen Journalismus auch dann keine Rede sein kann, wenn ein kausaler Zusammenhang zwischen Vorteilsnahme und Berichterstattung nicht nachweisbar ist. Wenn kostenlose Journalistenreisen oder Presserabatte die Identität des Journalismus scheinbar nicht gefährdeten, dann habe das nichts damit zu tun, dass diese Regelverletzungen unbedeutend wären. Sie gerieten nur nicht in hinreichendem Maße in den Beobachtungsbereich des Publikums. Sie blieben (zu) häufig in einer Grauzone, über die man ungern spreche.
Prinzipielle Unabhängigkeit und Identität
„In der Bewertung durch das Publikum sichert nicht der Verlautbarungsjournalismus die Identität des Journalismus in demokratischen Gesellschaften, sondern der Recherchejournalismus und der Überprüfungsjournalismus“, schlug Löffelholz den Bogen zum Thema des Journalistentages. „Vor allem der Recherchejournalismus, der sich nicht von den Angeboten der Auftragskommunikation abhängig macht, sichert die prinzipielle Unabhängigkeit journalistischer Auswahlentscheidungen und erhält damit Glaubwürdigkeit als zentrales Kriterium für eine positive Bewertung durch das Publikum. Das ist das zentrale Argument, warum in demokratischen Gesellschaften Recherche für den Journalismus (über-)lebenswichtig ist. Wenn der Journalismus seine Identität bewahren will, muss der Recherche- und Überprüfungsjournalismus deshalb nicht nur erhalten bleiben, ja sogar (wieder) ausgebaut werden. Zugleich müssen journalistische Vorteilsnahmen als klare Regelverletzungen abgelehnt werden. Das sind die nicht hintergehbaren Antworten auf die Frage: Wozu noch Recherche?“ Allerdings würden diese Ziele zur Aufrechterhaltung eines unabhängigen Journalismus offenbar immer mehr zu Visionen verkommen. Der aktive, aufklärerische und aufrechte Journalismus bewege sich immer mehr in Richtung einer Marginalisierung.
Als zweiten Bereich, der im Hinblick auf die Identität des Journalismus seit einiger Zeit intensiver diskutiert werde, führte Löffelholz den so genannten Online-Journalismus an. Nach den Ergebnissen eines kürzlich abgeschlossenen Forschungsprojektes, welches die deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert hat [1], müsse Online-Journalismus primär als âRedigierjournalismus‘ beschrieben werden. „Nachrichten werden online-spezifisch aufgearbeitet und zeitnah verteilt, während Recherchen, die über den Vergleich von Agentur-Meldungen hinausgehen, Ausnahmen darstellen. Ökonomischer Druck, mangelnde redaktionelle Ressourcen und Zeitnot zwingen dazu, in hohem Maß auf Agenturmaterial zurückzugreifen.“ Der oft propagierte Multimedia-Journalist, der in Personalunion eine Vielzahl technischer, gestalterischer und redaktioneller Tätigkeiten übernimmt, sei eher selten anzutreffen. Wenn allerdings Spezialisten fehlten, weil keine entsprechenden personellen und finanziellen Mittel zur Verfügung stünden, müssten Online- Redakteure Arbeiten übernehmen, die nicht zum Kernbereich des Journalismus gehörten. „Die derzeitigen engen ökonomischen Rahmenbedingungen sind ein klarer Hemmschuh für die Entwicklung eines eigenständigen Online-Journalismus“, schlussfolgert Löffelholz. Es gäbe viele Rezepte für die Refinanzierung, ohne das freilich ein wirklich erfolgreicher Weg schon gefunden wäre. So würden die Engagements im Online-Journalismus derzeit wieder zurückgefahren, Tochterfirmen wieder in das Mutterhaus überführt und reine Online-Ventures als Verkaufsobjekte abgestoßen. Dadurch werde der publizistische Spielraum des Online-Journalismus in den meisten Fällen noch enger als er bisher schon war.
Internet – neue Seifenblase?
Journalistinnen und Journalisten in traditionellen Medien sollten jedoch nicht glauben, dass sich die noch vor kurzem geradezu bedrohlich erscheinende Konkurrenz aus dem Internet als eine Seifenblase erweise, die jeden Moment drohe, zu zerplatzen. Der Online-Journalismus werde sich mittel- und langfristig neben dem traditionellen Journalismus als starke Alternative etablieren, ist Löffelholz überzeugt. Die Digitalisierung der Produktionstechnologien, der Netze und der Endgeräte betreffe außerdem alle journalistischen Arbeitsfelder. In diesem Sinne stelle der Online-Journalismus gewissermaßen eine Zukunftswerkstatt des Journalismus dar, deren aktuelle Verfassung freilich alles andere als ermutigend sei – gerade im Hinblick auf journalistische Qualitätsstandards. „Wenn sich der Online-Journalismus in seiner heutigen Primärform als Redigierjournalismus langfristig als marktfähig erweisen sollte, wird dies den Rechtfertigungsdruck für den Recherchierjournalismus der klassischen Massenmedien weiter erhöhen – und damit den Spielraum für aktiven, aufklärerischen und aufrechten Journalismus weiter verengen.“
Recherche gehört zum Alltag
„Dennoch ist die journalistische Recherche selbstverständlich nicht tot, obgleich sie manchmal leblos erscheint“, so Löffelholz. Nach den (mittlerweile schon älteren) Befunden einer repräsentativen Journalistenbefragung, an der Löffelholz beteiligt war, gehöre das Recherchieren für rund 90 Prozent aller Journalisten nach wie vor zu den täglichen Aufgaben. Nahezu drei Viertel aller Journalisten (72 Prozent) recherchieren täglich immerhin mehr als eine Stunde. Allerdings seien mit Recherche alle informationssammelnden Tätigkeiten gemeint, also zum Beispiel auch die Überprüfung einer Information, die originär von einer PR-Agentur stammt. „Und âdenÔ Journalismus gibt es nicht. Der Journalismus zerfällt auch weiterhin in verschiedene Teilsegmente, die von den beschriebenen Gefährdungen unterschiedlich stark betroffen sind. Der viel beschworene investigative Journalismus, der aktiv, aufklärerisch und mit hohem Zeitaufwand ein Gegengewicht zur Macht von Staat und Wirtschaft herstellen möchte, existiert auch heute noch. Das Segment ist allerdings klein – und es scheint aufgrund der skizzierten Entwicklungen noch kleiner zu werden.“
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und von
kontext
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45138 Essen
Buchtipps:
Martin Löffelholz (Hg.): Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch, Westd. Verlag 2000
Klaus-Dieter Altmeppen / Hans-Jürgen Bucher / Martin Löffelholz (Hg.): Online-Journalismus, Westd. Verlag 2000
Andreas Hepp / Martin Löffelholz (Hg.): Grundlagentexte zur transkulturellen Kommunikation, UTB (UVK) 2002 (erscheint zur Buchmesse)
Kontakt
Prof. Dr. Martin Löffelholz
Technische Universität Ilmenau, Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft
98694 Ilmenau
Tel.: (036 77) 69 47 03
E-mail: martin.loeffelholz@tu-ilmenau.de
Der vollständige Vortrag wird in der Broschüre zum Journalistentag der dju und der RFAV 2002 abgedruckt.
[1] Vgl. Martin Löffelholz / Thorsten Quandt:
Online-Journalismus: Die Transformation aktueller Medienkommunikation. Theoretische und empirische Eingrenzung eines Medienbereichs im Wandel. Unveröffentlichter Abschlussbericht für die Deutsche Forschungsgemeinschaft, Ilmenau 2002.
Zusammengefasst von Karin Wenk