„Krasses Fehlurteil“ in Berufungsverhandlung „zurechtgerückt“
Der „Hinweis an den Haftrichter: Wiederholungsgefahr ist laut Strafprozessordnung (Paragraf 112 a) auch ein Haftgrund“ stellt keine Beleidigung im Sinne des Strafgesetzbuches dar. Mit dieser Entscheidung sprach jetzt das Landgericht Halle/Saale den Journalisten Thilo Scholtyseck vom Anklagevorwurf der Beleidigung frei. In erster Instanz war Scholtyseck im Mai vergangenen Jahres für diesen Satz zu einer Geldstrafe in Höhe von 1200 Mark verurteilt worden.
Als Polizeireporter der Lokalausgabe der „Bild-Zeitung“ in Halle/Saale hatte Scholtyseck über die Festnahme eines einschlägig polizeibekannten jungen Drogenabhängigen berichtet, dem der Diebstahl eines Autos sowie Tankbetrug vorgeworfen worden war. Der junge Mann war bereits zuvor mehrfach mit unterschiedlichen Delikten, hauptsächlich der so genannten Beschaffungskriminalität, auffällig geworden, kurz nach der erneuten Festnahme aber wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Seine Berichterstattung über die Freilassung des jungen Drogenabhängigen beendete Scholtyseck mit dem eingangs zitierten Satz, den der zuständige Haftrichter als Anspielung auf unzureichendes Fachwissen und damit als Beleidigung auffasste.
Der Jurist erstattete Strafanzeige gegen den Journalisten, die Staatsanwaltschaft erwirkte einen Strafbefehl über 1200 Mark, dessen Vollstreckung aber zur Bewährung ausgesetzt werden sollte. Scholtyseck wollte sich nicht bewähren und legte Widerspruch gegen den Strafbefehl ein. Und wurde in der Hauptverhandlung erneut zu 1200 Mark Strafe verurteilt, dieses Mal ohne Bewährung.
Noch im Gerichtssaal kündigte der Journalist Berufung an. „Eher gehe ich ins Gefängnis, als dass ich diese Geldstrafe bezahle“, sagte er. In der Berufungsverhandlung wurde er nun freigesprochen. „In der ersten Instanz ist etwas passiert, was nicht hätte passieren dürfen“, sagte der Vorsitzende Richter in der Urteilsbegründung. In dem angefochtenen Urteil sehe er zwar noch keinen unmittelbaren Eingriff in die Pressefreiheit. „Aber jeder müsse Sorge haben, dass das Schule macht.“
Mit Empörung hatten Berufsverbände und Journalistengewerkschaften auf das erstinstanzliche Urteil reagiert. Einhellig wurde die Verurteilung des Reporters als „krasses Fehlurteil“ bezeichnet. Der Protest fiel umso schärfer aus, als der nach eigener Einschätzung beleidigte Richter außer der Strafanzeige nichts unternommen hatte, um gegen den Zeitungsbeitrag presserechtlich vorzugehen. Sachsen-Anhalts Justizministerin Karin Schubert hatte das Urteil zunächst noch zurückhaltend aufgenommen. Es handele sich um einen einzelnen Richterspruch, den zu kommentieren ihr nicht zustehe, sagte sie. Als sich dann aber die Präsidentin des Amtsgerichts Halle/Saale, Eva Flume-Brühl, in einem Leserbrief ausdrücklich hinter das umstrittene Urteil stellte, war es auch mit der Zurückhaltung der Ministerin vorbei. „Es ist das Recht der Richterin, eigentümliche Leserbriefe zu schreiben“, erklärte sie. „Sie ist aber nicht dazu verpflichtet.“
Auch Sachsen-Anhalts Regierungssprecher Franz Stänner sprach von „Bunkermentalität und fehlendem Fingerspitzengefühl“ der Justiz in Halle und fand lediglich darin Trost, „dass ein erstinstanzliches Urteil ja noch nicht das Ende der Wahrheitsfindung vor Gericht darstellen muss“. Stänner zeigte sich im Anschluss an das Berufungsurteil über dessen Tenor zufrieden. „Es ist gut, dass das erstinstanzliche Urteil zurechtgerückt worden ist“, sagte er.
Dabei war zunächst gar nicht sicher, ob dieser Fall noch einmal vor Justitias Schranken verhandelt wird. Denn das Strafmaß für Scholtyseck aus erster Instanz lautete konkret auf 15 Tagessätze zu 80 Mark. Erst ab 16 Tagessätzen ist das Landgericht als Berufungsinstanz aber verpflichtet, eine Berufung auch wirklich anzunehmen, wenn sie begründet scheint. Alles darunter fällt in der Regel unter die Rubrik „Geringfügigkeit“ und ist nicht zwingend berufungspflichtig.