Journalisten als Freiwild im öffentlichen Raum

Was mit dem Wort „Lügenpresse“ seinen Anfang nahm, entlädt sich zunehmend in Gewalt gegenüber Journalisten, Fotoreportern oder Kameraleuten. Über diese besorgniserregende Entwicklung wurde in Schwerin auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) unter dem Titel „Berichten über Rechtsextreme – Lebensgefahr für einen engagierten Journalismus?“diskutiert.

Jemand, der das seit langem wahrnimmt, ist NDR-Reporter Matthes Klemme. Seit Jahren begleitet er die Aktivitäten der rechten Szene in Mecklenburg-Vorpommern, vornehmlich der NPD. „Ich begebe mich nicht mehr alleine zu rechtsgerichteten Demonstrationen; wir bewegen uns dort nur in Gruppen“, schildert er eine Maßnahme zur eigenen Absicherung. Selbst im Beisein von Polizei und Passanten muss man inzwischen Attacken fürchten, so die Beobachtungen und Erfahrungen. Nach seinen Worten werde intern das Tragen von Schutzwesten diskutiert. Der Messerangriff auf Kölns gerade gewählte neue Oberbürgermeisterin Henriette Reker zeigt Wirkung.
Berufskollegen berichten von regelrechten Hetzjagden auf Medienvertreter am Rande von Pegida- oder AfD-Kundgebungen. Rangeleien und Handgreiflichkeiten gehören leider inzwischen zum Alltag. Polizeibeamte verhalten sich nicht selten passiv oder weisen die beruflich dort aktiven Medienvertreter darauf hin, dass man bei einem Aufenthalt zu nahe am Demonstrationsgeschehen nicht mehr für ihre Sicherheit garantieren könne. Genau das bringt bei der FES-Diskussion den SPD-Landtagsabgeordneten Julian Barlen auf die Palme. Er nimmt Polizei und Ordnungsbehörden in die Pflicht: „Wenn Journalisten von Polizeibeamten bei rechtsgerichteten Demonstrationen gesagt bekommen, man könne bei einem Aufenthalt in der Nähe des Geschehens nicht mehr für ihre Sicherheit garantieren, dann gehören auch rechtlich solche Demos aufgelöst, weil der Zustand der Sicherheit und Ordnung nicht mehr gewährleistet ist.“
Neben diesen unsäglichen Taten werden zunehmend auch Verlage, Zeitungshäuser und neuerdings Anzeigenkunden zur Zielscheibe von rechtsgerichteten Kreisen. Im Vormonat wurde beispielsweise auf zwei Zustellfahrzeuge des „Nordkurier“ (Neubrandenburg) von Unbekannten ein Buttersäure-Anschlag verübt, bei dem die Vermutung nahe liegt, dass es sich um Täter der rechten Szene handelt. Aktuell bekannt geworden ist ein Fall aus Hamburg, bei dem Anzeigenkunden des „Wilhelmsburger InselRundblick“ bedroht worden sind, nachdem in dem Stadtteilblatt über Flüchtlingsarbeit berichtet wurde. Per E-Mail wurden Geschäfte und Firmen aufgefordert, keine Werbeannoncen mehr zu schalten.
Es ging bei dem FES-Talk ebenso um die im öffentlichen Meinungsbild schwindende Glaubwürdigkeit von Medien und das fallende Vertrauen in die repräsentative Demokratie als Staatsform. Dass vor diesem Hintergrund eine personelle Ausdünnung in Redaktionsstuben und speziell in der Lokal- und Regionalberichterstattung nicht der richtige Weg sein kann, war eine der Botschaften des Abends. Populistische Meinungshoheit in sozialen Netzwerken vielfach in Form von Gerüchten, Behauptungen, Verschwörungen oder kruden Thesen lässt sich nach Ansicht von Jürgen Hingst, dem beim NDR tätigen Vorsitzenden der Landespressekonferenz in Mecklenburg-Vorpommern, vor allem durch Qualitätsjournalismus begegnen.
Im nächsten Jahr sind Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern. Da dürfte der Ton der öffentlichen Auseinandersetzung nach Auffassung von Julian Barlen, einem der anfänglichen „Macher“ des aufklärenden Internetportals „Endstation Rechts“, vergleichsweise noch schärfer werden, was wiederum auch für die Medien eine Herausforderung darstelle. „Die Wahl um den Verbleib in einem letzten Landesparlament wird für die verfassungsfeindliche NPD womöglich zu einem Existenzkampf“, blickt Barlen nach vorn. Für Matthes Klemme, Gewinner des Medienpreises Mecklenburg-Vorpommern, steht indes fest, er werde sich nicht einschüchtern lassen! „Wichtig ist mir dabei aber das Gefühl, kein Einzelkämpfer zu sein, sondern die Unterstützung der Kollegen zu bekommen“, sagt er im Wissen um den Rückhalt durch seine Redaktion und seinen Sender.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Buchtipp: Das Prinzip Trotzdem

Wie könnte ein selbstbewusster Journalismus aussehen, der sich gegen die aktuelle Medienkrise zu behaupten weiß und sich auf seine zentrale Rolle für funktionierende demokratischen Gesellschaften besinnt? Roger de Weck war Zeit-Chefredakteur, Generaldirektor des Schweizer Radios und Fernsehens sowie Mitglied des Zukunftsrats für Reformen des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks in Deutschland. In seinem jüngst erschienenen Essay „Das Prinzip Trotzdem. Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen“ beschäftigt er sich mit genau diesen Fragen.
mehr »

„PR-Puppen“ proben den Aufstand 

Kreative, die der Tech-Konzern OpenAI (ChatGPT, DALL-E) zu einem geschlossenen Produkttest eingeladen hatte, leakten den Testzugang kürzlich und griffen OpenAI in einem Protestschreiben öffentlich an. Sie warfen dem Unternehmen u.a. vor, sie für Marketing und PR zu missbrauchen und Art Washing zu betreiben.Eine teilnehmende Person schildert M , wie es zu dem Leak kam und was Techkonzerne künftig bei der Zusammenarbeit mit Kreativen besser machen können.
mehr »

Studienergebnisse: Worlds of Journalism

Was bedeutet es heute, Journalist*in zu sein? Welche Dynamiken und Entwicklungen lassen sich im Berufsfeld wahrnehmen? Was brauchen wir, um gute und professionelle Arbeit machen zu können? Zu diesen Fragen führt das Langzeitforschungsprojekt „Worlds of Journalism“ seit 2007 weltweit Befragungen durch. Von 2021 bis 2023 ging die Studie in die dritte Runde. Unterstützt von UNESCO und der International Federation of Journalists, fokussiert die aktuelle Umfrage auf den Themenkomplex Risiken und Ungewissheiten. Ein Blick in die Schweiz.
mehr »

Presseversorgung: Bestens versichert

Die Vertreterversammlung der Versicherten der Presseversorgung hat beschlossen, die aktuelle Gesamtverzinsung im kommenden Jahr beizubehalten. In 2025 erhalten Kunden für das Vorsorgekonzept Perspektive eine Gesamtverzinsung von 4,3 Prozent. Diese ergibt sich aus einer laufenden Verzinsung von 3,0 Prozent und einer Schlusszahlung von 1,3 Prozent. Beim Produktkonzept InvestFlex wird der sichere Teil ebenfalls mit 4,3 Prozent verzinst.
mehr »