Journalisten Teil des Feindbildes

Mindestens 29 Journalisten sind 2015 in Deutschland von Teilnehmern „rechtspopulistischer Veranstaltungen“ wie Pegida, AfD … gewaltsam angegriffen worden. Dutzende weitere seien bedroht und bedrängt worden, zeigt eine im Dezember 2015 veröffentlichte Studie des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit.

„Lügenpresse“ ist die Kurzformel des Feindbildes aus herrschender Politik und weltoffener Gesellschaft, das ein wachsender Anteil der Bevölkerung aufgebaut hat. Journalist_innen sind ein Teil davon.
Man darf annehmen, dass die tatsächliche Anzahl der Übergriffe weitaus höher war, denn allein in Sachsen liegt die Zahl der bekannt gewordenen Fälle bei 25. Fast täglich werden Kolleg _innen angegriffen, bepöbelt, bedroht und bei ihrer Arbeit behindert. Die meisten der Geschädigten nehmen das hin und schweigen, oftmals aus Angst vor weiteren Bedrohungen und noch Schlimmerem. Davor schützen sollte sie eigentlich die Polizei. Doch unter anderem bei den Demonstrationen der so genannten Legida in Leipzig geschah das Gegenteil: Es gab völlig unbegründete und unverhältnismäßige Übergriffe von Polizisten auf Journalisten. Dagegen protestierten die Mitglieder des dju-Vorstandes von Sachsen/Sachsen-Anhalt/Thüringen im Februar 2015 in einem offenen Brief an den Polizeipräsidenten der Stadt Leipzig. Was darauf folgte, war eine freundliche Einladung zu einem Gespräch und das Beteuern, dass es sich um Missverständnisse gehandelt habe und man zukünftig die Polizeikräfte besser schulen wolle.
Was in Leipzig und anderswo in Deutschland passiert, ist vergleichsweise harmlos zu dem, was weltweit täglich geschieht. Die Veröffentlichungen von Reporter ohne Grenzen lassen erahnen, in welchem Meer aus Gewalt Journalist_innen mittlerweile paddeln und versuchen, die Köpfe oben zu behalten. Unabhängige Berichterstattung wird angesichts der Bedrohungen von allen politischen Fronten immer schwieriger. Hut ab vor den Kolleg_innen, die mit ihrer Arbeit die Presse- und Meinungsfreiheit verteidigen. Ganz gleich, ob sie aus Kriegsgebieten berichten oder hier in Deutschland tätig sind. So wie die Redakteur_innen des „Weser-Kurier“, die die Terrororganisation IS/ISIS nur noch mit dem Wort „Daesch“ bezeichnen – einem Begriff, der im arabischen Sprachraum als abwertend gilt. Die Bremer Zeitung folgt damit dem Vorbild einiger ausländischer Medien. Hier könnten wir eine Diskussion über die „Neutralität“ der journalistischen Berichterstattung beginnen. Aber wäre eine Diskussion über Haltung im Beruf nicht viel notwendiger? Was wir jedenfalls alle brauchen, ist mehr Mut.

Weitere Informationen

Andi Szabo: Über 25 Übergriffe auf Journalisten in Sachsen

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Mehr Mut, mehr Haltung, mehr erreichen

Weiter denken, Lösungen aufzeigen, Tiefe dahinter finden – das ist, was konstruktiver Journalismus liefern kann. Diese Herangehensweise bietet damit einen Mehrwert, den die Gesellschaft, die Medien selbst und die Demokratie dringend benötigen. Eine klare Empfehlung und ein zentraler Auftrag geht damit vom ver.di-Journalismustag 2023 aus.
mehr »

Dreyeckland geht gegen Durchsuchung vor

Gemeinsam mit Radio Dreyeckland (RDL) hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) heute eine Beschwerdebegründung beim Landgericht Karlsruhe gegen die im Januar erfolgten Durchsuchungen und die Beschlagnahmung von Laptops eingereicht. RDL hatte in einem Artikel die Archivseite der verbotenen Internetplattform linksunten.indymedia verlinkt. M berichtete darüber. Den Link wertete die Staatsschutzabteilung der Karlsruher Staatsanwaltschaft als strafbare Unterstützung einer verbotenen Vereinigung.
mehr »

Mehr Straftaten gegen Medienschaffende

Journalist*innen werden bedroht, bespuckt und aktiv an ihrer Arbeit gehindert. In Deutschland ist im vergangenen Jahr der höchste Wert an Straftaten gegen Medienschaffende seit Aufzeichnungsbeginn 2016 erfasst worden. Der kriminalpolizeiliche Meldedienst notierte 320 Straftaten gegen Medienschaffende, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linkspartei im Bundestag hervorgeht. Das Dokument liegt M vor.
mehr »

KI im Journalismus richtig nutzen

Einerseits kann Künstliche Intelligenz (KI) im Journalismus die Arbeit erleichtern, wenn Beiträge automatisch erstellt werden und KI-Systeme große Datenmengen auswerten. Andererseits besteht die Gefahr, von großen Tech-Unternehmen abhängig zu werden und Diskriminierungen Vorschub zu leisten. Im neuen „Whitepaper aus der Plattform lernende Systeme“ wird ausgelotet, wie KI zu einem zeitgemäßen Journalismus beitragen kann, der Medienschaffenden mehr Zeit für kreative und investigative Arbeit verschafft.
mehr »