Journalistinnenbund:  Wir bleiben am Ball!

Jubiläums-Diskussion im Frankfurter Römer: Moderatorin Helga Kirchner mit Diemut Roether, Tina Stadlmayer, Aviva Freudmann, Lida Rakušanová, Alexandra Föderl-Schmid und Monika Sieradzka mit Mikro (von links nach rechts). Foto: Christian Morgen

„Nichts ist für immer sicher – auch nicht die Gleichberechtigung“, so Gisela Brackert, Ehrenvorsitzende und Gründerin des Journalistinnenbundes (JB) auf der Jubiläumstagung des Berufsnetzwerks am Wochenende in Frankfurt/Main. Über 100 Teilnehmende feierten 30 Jahre Lobbyarbeit und diskutierten Perspektiven gemeinsamen Handelns angesichts der Bedrohung von Frauenrechten und Pressefreiheit durch populistische Entwicklungen weltweit.

„Wir müssen wachsam sein, es werden immer neue Grenzen überschritten“ so die EU-Parlamentarierin Viviane Reding zum Auftakt einer international besetzten Diskussionsrunde zu Gleichberechtigung und Pressefreiheit in Europa. So sei Donald Trumps Tweet, in dem er kürzlich die TV-Moderatorin Mika Brzezinski beleidigte, von vielen akzeptiert worden: „Das ist ja das Schlimmste!“ Frauenfeindlichkeit verbreite sich wie ein „Buschfeuer“ und da dürfe man „nicht den Mund halten“, sondern müsse sich wehren und zuweilen auch mit der Faust auf den Tisch hauen. Als EU-Kommissarin für Justiz- und Gleichstellungsfragen hatte Reding 2010 eine Frauenquote für Aufsichtsräte in börsennotierten Unternehmen gefordert. „Die Herren haben mir ins Gesicht gelacht“, erinnert sie sich, aber „auch ohne Gesetz ging es bergauf, denn die Diskussion sorgte dafür, dass die Grenzen in den Köpfen verändert wurden“. Journalistinnen könnten „die Revolution in den Köpfen ankurbeln!“

Medien und Gerichte im Visier

Journalismus solle „Räume öffnen“, so Bundesverfassungsrichterin und Professorin Susanne Baer. Ein Qualitätsjournalismus, der Perspektiven auf die ganze Welt zeige und Diversität anerkenne, sei eng verknüpft mit Gleichberechtigung und Pressefreiheit. Diese beiden grundlegenden Werte für den demokratischen Rechtsstaat gerieten weltweit unter Druck. In Ungarn, Polen und der Türkei kamen zuerst die Medien und Gerichte ins Visier der Machthaber.

Bundesverfassungsrichterin Susanne Baer warnte vor dem Angriff auf Medien und Justiz.
Foto: Christian Morgen

Es gibt „Basics wie die Menschenrechte und Rechte, die politisch verhandelbar sind“, so die Juristin. Nun aber werde das, was in der UN-Charta, in der EU-Verfassung oder im Grundgesetz festgeschrieben ist, in Frage gestellt: „Neuerdings muss ich wieder erklären, warum Vielfalt und Gleichberechtigung wichtig sind.“ Es irritiere sie, „wenn es heißt, Frauenförderung sei verfassungswidrig und wenn Artikel 3 Grundgesetz ignoriert wird“. Als „interessantes Argument“ kommentierte sie Statements, dass „Lohngerechtigkeit zu bürokratisch, Inklusion zu teuer“ sei. Solche Debatten beunruhigten sie.

Journalist_innen sollten Lohndiskriminierung nicht als „nervig“ abtun, sondern ihre Rechte einfordern wie jüngst die ZDF-Journalistin Birte Meier oder wie die 46 Journalistinnen, die in den 1970er Jahren ihren Arbeitgeber, das US-Nachrichtenmagazin „Newsweek“, wegen Geschlechterdiskriminierung verklagten. Die gemeinsame Mobilisierung von Rechtsansprüchen sei wirksamer als Einzelkämpfertum. Journalist_innen sollten zudem einer unreflektierten Rhetorik in der Berichterstattung entgegentreten. Titel wie „Luxemburger Richter schlagen zu“ untergrüben das Vertrauen in die Justiz. Wenn Gerichte und Medien demontiert würden, sei das ein „Angriff auf unsere Fundamentalrechte“.

Populisten auf anti-europäischem Kurs und Medien-Selbstzensur

Die aktuelle Situation in einzelnen europäischen Ländern beleuchteten Journalistinnen aus Deutschland, Polen, Tschechien und Österreich. Ob der Turn-Around geschafft sei, fragte Moderatorin Helga Kirchner, ehemalige WDR-Hörfunk-Chefredakteurin, zumal die Niederlande und Frankreich nach den jüngsten Wahlen einen pro-europäischem Kurs verfolgen. Nur Aviva Freudmann, amerikanische Journalistin und Wirtschaftsforscherin, zeigte sich optimistisch, dass der Rechtspopulismus weiter zurückgedrängt werde. „In Österreich ist der Rechtspopulismus schon lange salonfähig, seit Jörg Heider 1986 Vorsitzender der FPÖ wurde“, so Alexandra Föderl-Schmid, Chefredakteurin der Wiener Tageszeitung Der Standard. Jetzt gebe es drei Populisten – FPÖ-Chef Strache, Bundeskanzler Kern und Außenminister Kurz – auf anti-europäischem Kurs.

„Alles Böse kommt aus Europa, das traditionelle Werte bedroht“ beschrieb TV-Journalistin Monika Sieradzka das Meinungsklima im katholischen Polen, wo gegen Abtreibung und Homo-Ehe mobilisiert wird. Besonders die ärmere Bevölkerung auf dem Lande wähle zu 90 Prozent die nationalkonservative Partei PiS. Ihre soziale Vernachlässigung habe dazu geführt, dass Wähler_innen sich mit dem Kindergeld-Versprechen von den Populisten kaufen ließen. Diese wollten die Medien „repolonisieren“. Selbstzensur sei jetzt die größte Gefahr. Die Regierung habe liberalen Zeitungen durch Kündigung von Abos staatlicher Institutionen den Geldhahn zugedreht.

Moderatorin Helga Kirchner mit Diemut Roether (mit Mikro), Tina Stadlmayer, Aviva Freudmann, Lida Rakušanová, Alexandra Föderl-Schmid und Monika Sieradzka (von links nach rechts).
Foto: Christian Morgen

Die tschechische Journalistin Lída Rakušanová berichtete, auch in ihrem Land gebe es eine Spaltung zwischen „Prager Café“ genannten Intellektuellen und den „Aufrichtigen“ auf dem Land. Sie befürchtet bei den Wahlen im Herbst einen Sieg der ANO-Bewegung des Milliardärs Andrej Babiš, der mehrere Zeitungen aufgekauft habe und sie zur Verunglimpfung politischer Gegner nutze. Der letzte deutsche Zeitungsverlag mit 72 Regionalblättern sei inzwischen im Besitz eines tschechischen Oligarchen, der mit medialer Stimmungsmache eine Krankenhauskette aufkaufen wolle. Viele Redakteur_innen zögen sich zurück und seien „mit neuen Projekten ins Internet gegangen“.

Macht der Medien und Ermächtigung von Journalistinnen

Ein Beweis für die Macht der Medien sei der Brexit, der von britischen „Boulevardblättern herbeigeschrieben“ wurde, so die deutsche Medienfachredakteurin Diemut Roether. Diese hätten schon immer kritischer über Europa berichtet als die Presse in Deutschland oder Frankreich. Und Ängste geschürt, ergänzte die freie London-Korrespondentin Tina Stadlmayer. Es sei schwierig, mit Brexit-Befürworter_innen zu diskutieren, da man mit Argumenten nicht weiterkomme. Roether warnte davor, die Ängste nicht zu ernst zunehmen. Man müsse sie mit positiven Gegenerzählungen abbauen und versuchen, „Rationalität gegen Emotionen“ zu setzen.

Doch die journalistische Handlungsfreiheit wird in osteuropäischen Ländern wie Polen auf subtile Weise begrenzt. Monika Sieradzka war bis vor einem Jahr Redaktionsleiterin für Nachrichten und Reportage beim öffentlich-rechtlichen Sender TVP. Dann kamen politische Kommissare, so Sieradzka, die das Programm steuern wollten. Die setzten sie nicht als CvD ein, sondern ließen sie von vier bis acht Uhr morgens die Auslands-Presseschau zusammenstellen. Als der Sender dann verstaatlicht wurde, kündigte sie. Die meisten ihrer Kolleg_innen wurden mit Abfindungen gedrängt, selbst zu gehen. Im Februar 2017 gründeten Journalist_innen aus den vier Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn in Prag ein Netzwerk „Freiheit für die Medien“ – als Gegengewicht zu Regierungsorganisationen, so die streitbare polnische Journalistin: “ Wir brauchen aber Strukturen für unsere Diskussionsplattform!“

Auf die Frage nach Frauennetzwerken meinte Sieradzka, in Polen gebe es „so gut wie keine Frauensolidarität“. Und in Tschechien, wo Frauen stärker als Männer in den Redaktionen vertreten sind, stecke sie nach Auskunft von Lída Rakušanová „noch in den Kinderschuhen“. Standard-Chefin Alexandra Föderl-Schmid wolle ihre Kontakte nutzen, um die Visegrád-Gruppe zu unterstützen. Auch im eigenen Haus engagiert sie sich für Gleichberechtigung. Ohne Quote habe sie als Chefredakteurin den Frauenanteil am Personal auf 50 Prozent gesteigert. Und wenn ein Kollege Vater werde, frage sie ihn als erstes: “ Wann nimmst du Karenz(Eltern)zeit?“ Für jeden diskriminierenden Spruch müsse ein Euro in ein Sparschwein geworfen werden. Frauen sollten nicht lange überlegen, sondern zuschlagen, wenn sich ihnen eine Führungsposition mit Gestaltungsmöglichkeiten biete und junge Kolleginnen puschen!

EU-Parlamentarierin Viviane Reding hielt eine Mutmachrede.
Foto: Christian Morgen

Genau dafür engagiert sich der deutsche Journalistinnenbund mit seiner Lobbyarbeit für bessere Karrierechancen und gendersensiblere Darstellungen von Frauen in den Medien. „Beständig im Wandel“ lautet auch der programmatische Titel des Jubliäumsbuches. „Danke für 30 Jahre Nicht-den Mund-Halten“, gratulierte Viviane Reding und JB-Vorsitzende Rebecca Beerheide versprach: „Wir bleiben am Ball!“

 

 

 


Preisträgerinnen: Mutig und gendersensibel

Während einer feierlichen Gala hat der Journalistinnenbund drei Preise verliehen. Die Hedwig-Dohm-Urkunde erhielt die langjährige taz- und derzeitige FR-Chefredakteurin Bascha Mika für ihr Lebenswerk. „Streitlustig, mutig und voller Elan“ habe sie „eingefahrene Rollenbilder hinterfragt“ und sei so Vorbild für junge Journalistinnen. Sie ermutigte die 30-Jahre-JB-Feiernden: „Familie ist toll, der Beruf ist toll – beides geht zusammen! Auch wenn die Strukturen mistig sind.“

Für ihr Hörfunk-Feature „Nein heißt Nein“ über sexuellen Missbrauch wurde die Journalistin Christine Auerbach mit dem „Courage-Preis für aktuelle Berichterstattung“ ausgezeichnet, weil sie sich dem schwierigen Thema „behutsam, aber mit klarer Sprache“ nähert. Der von der langjährigen jb-Geschäftsführerin Marlies Hesse gestiftete Nachwuchspreis ging als Sonderpreis an die Journalistin und Online-Projektentwicklerin Franzi von Kempis „für ihre engagierte und vielschichtige und oft unkonventionelle Vermittlung und Verbreitung gesellschaftlich relevanter Inhalte im Netz“.


Wahl eines neuen Vorstands

Im Amt bestätigt wurde die 1. Vorsitzende, Rebecca Beerheide (35), die die Politische Redaktion des Deutschen Ärzteblatts in Berlin leitet. Zur Stellvertretenden Vorsitzenden wurde Sylvia Feil gewählt, die als freie Wissenschaftsredakteurin sowie an der Uni Hannover arbeitet. Bislang war sie Schriftführerin des Journalistinnenbundes. Neue Schriftführerin ist Frauke Langguth, die als Redaktionsleiterin ARD Text in Potsdam arbeitet. Als Schatzmeisterin neu in den Vorstand des jb gewählt wurde Christine Müller, Radio- und TV-Journalistin beim rbb. Angelika Lipp-Krüll, zuletzt beim SWR tätig, und Leonie Schulte, Autorin und Wissenschaftlerin aus Dortmund, komplettieren den jb-Vorstand als Beisitzerinnen. Der Vorstand dankte den bisherigen Mitgliedern Svenja Markert und Dana Savic für ihren langjährigen Einsatz.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Echte Menschen in Film und Fernsehen

Wie wird Künstliche Intelligenz das Filmgeschäft verändern? Und welche Auswirkungen hat die Technologie auf die Kreativen? Die Erwartungen an KI sind groß, die Befürchtungen aber auch. Denn Algorithmen können mit Hilfe von großen Datenmengen schon heute Stimmen oder Deepfakes erstellen. Auf der Fernseh- und Streaming - Messe MIPTV in Cannes beschäftigte das Thema die internationale Branche.
mehr »

Leipzig: Rechtswidrige Durchsuchung

Ein 19-jähriger Journalist hatte im Juni vergangenen Jahres Fotos einer Antifa-Demonstration im Internet veröffentlicht. Die Staatsanwaltschaft Leipzig durchsuchte daraufhin seine Wohnräume und beschlagnahmte mehrere Datenträger. Seine nachgewiesene journalistische Tätigkeit wurde dabei ignoriert. Das Landgericht Leipzig bezeichnet das Vorgehen nun als rechtswidrig.
mehr »

Fake oder Fiktion: Wer darf was?

Bei Fake News dreht es sich meist um Falschaussagen, Lügen, die als Journalismus getarnt sind oder Angriffe auf die Pressefreiheit. In der Literatur hat Wahrheit und Authentizität einen ganz anderen Stellenwert. Bei der Gesprächsrunde „Fake News oder Fiktion?“ auf der diesjährigen Buchmesse im Leipzig loteten die Teilnehmer*innen die Grenzen zwischen journalistischen und belletristischen Formaten aus.
mehr »

Die Stimmung ist pressefeindlich

In Deutschland hat sich in den letzten Jahren eine immer pressefeindlichere Stimmung ausgebreitet, das zeigt die jetzt veröffentlichte Nahaufnahme Deutschland von Reporter ohne Grenzen (RSF). Während der Pandemie schnellte die Zahl der Übergriffe auf Berichterstattende in die Höhe. Auch der Rückblick auf das vergangene Jahr zeigt: Diese Tendenz ist noch nicht vollständig zurückgegangen. Für 2023 konnte RSF 41 Übergriffe auf Medienschaffende verifizieren. Im Jahr 2022 waren es 103.
mehr »