Die Neuen Deutschen Medienmacher (NdM) haben in Berlin ihr zehnjähriges Jubiläum gefeiert. Seit 2008 setzt sich der Verein für mehr Vielfalt in den Medien ein, in den Redaktionen, aber auch in der Berichterstattung. Erstmals wurde in diesem Jahr ein Medienpreis verliehen: Die „Goldene Kartoffel“ für unterirdische Berichterstattung. Preisträger Julian Reichelt war persönlich gekommen, um die Negativauszeichnung entgegenzunehmen – was er dann allerdings doch nicht tat. Die Begründung des Bild-Chefs war reichlich merkwürdig.
Die Neuen deutschen Medienmacher sind nicht nur ein eingetragener Verein, sondern auch ein Netzwerk, das inzwischen mehr als 1250 Leute – mit und ohne Einwanderungsgeschichte – umfasst. Sie haben in den vergangenen zehn Jahren vielfältige Initiativen und Projekte angestoßen, die eine ausgewogene Berichterstattung und eine stärkere Präsenz von Migrantinnen und Migranten in den Medien fördern sollen. Unter anderem mit ihrem Mentoringprogramm setzen die NdM zudem gezielt auf Nachwuchsförderung. Unterstützt und gefördert werden die Programme, Projekte, Workshops und Initiativen von zahlreichen Partnern, wie etwa der Rudolf Augstein Stiftung, dem Bayerischen Rundfunk, Zeit Online, der dju in ver.di, aber auch von verschiedenen Bundesministerien.
Letzteres veranlasste unlängst die AfD-Bundestagsfraktion zu einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung. Darin beanstandete man vor allem, dass die Bundesregierung einen Verein finanziell unterstütze, der „im Sinne der Regierungsparteien CDU und SPD parteipolitische Angriffe gegen die Oppositionspartei AfD durchführt“. Die NdM reagierten und informierten die Partei darüber, „wie weit sie daneben liegt“. Denn dass Vereine und Verbände öffentliche Fördermittel, auch aus Bundesministerien, erhalten, sei nun wirklich allgemein bekannt und ein sauber geregeltes, gut kontrolliertes und demokratisch legitimiertes Instrument für eine aktive Zivilgesellschaft. Die (auch gesetzlichen) Regelungen, nach denen solche Projektförderungen erfolgen, seien zudem, so die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Anfrage der AfD, transparent und nachvollziehbar, zum Beispiel im § 93 des Aufenthaltsgesetzes oder in den Handlungsaufträgen für die Bundesregierung, wie sie in den Koalitionsverträgen vereinbart worden seien.
Bessere Berichterstattung durch mehr Vielfalt?
Die Kleine Anfrage sowie die daraus – nach Ansicht der AfD – ans Licht beförderte Information, dass die NdM in den vergangenen zwei Jahren insgesamt fast 2 Millionen Euro Projektförderungen von verschiedenen Bundesministerien erhalten haben, war am 3. November zwar immer mal wieder Thema. Vor allem ging es aber in zwei Panels am Nachmittag darum, zu evaluieren, was mit der Durchführung dieser Projekte erreicht werden konnte. Kurz: „ob die Ideen der NdM aufgegangen sind“, so Marco Bertolaso, Leiter der Abteilung Zentrale Nachrichten beim Deutschlandfunk und Moderator des ersten Panels. Zwar konnte man sich darauf einigen, dass sich vieles verbessert habe, klar blieb am Ende des Nachmittags aber auch, dass noch vieles getan werden müsse. Eines der wichtigsten Hindernisse wurde im Problem ausgemacht, das junge Menschen mit Migrationsgeschichte im Gegensatz zu den Privilegierten damit haben, Netzwerke aufzubauen. Denn, so der Autor und Politikwissenschaftler Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani, weil immer mehr junge Menschen einen höheren Bildungsstand erreichen und sich das ‚Angebot‘ dadurch vergrößert, werde das berühmte Vitamin B, also die Beziehungen, immer wichtiger.
Doch selbst wenn sich der Anteil von Migrantinnen und Migranten in den Redaktionen erhöht, wird dadurch die Berichterstattung auch automatisch vielfältiger und ausgewogener? Dr. Kefa Hamidi, Kommunikationswissenschaftler an der Uni Leipzig, stellte unterschiedliche Studienergebnisse zu diesem Themenfeld vor und zog das Fazit: Lediglich personelle Vielfalt reiche nicht aus, auch die Routinen in den Redaktionen, die Strukturen müssten sich ändern. Eine These, die mit dem Auftritt Julian Reichelts später am Abend noch ihre unfreiwillige Bestätigung finden sollte. Untermauert wurde sie allerdings auch an einem anderen Beispiel. So merkte NdM-Mentorin und Redakteurin in der RBB-Programmdirektion Sandra Niemann an, dass ja schließlich heute auch überwiegend Frauen in den Redaktionen säßen, der Journalistenberuf zunehmend weiblicher, die Berichterstattung über Frauenthemen dadurch jedoch nicht unbedingt ausgewogener werde.
Spaghetti statt Kartoffel?
Highlight des Abends war wohl die Verleihung der „Goldenen Kartoffel“ für unterirdische Berichterstattung an Bild-Chefredakteur Julian Reichelt. Vergeben werde der Preis, so Laudatorin und NdM-Vorsitzende Sheila Mysorekar, für eine missratene Berichterstattung, die „Probleme und Konflikte grob übertreibt“, „wo Diskriminierung der Leserbindung dient, wo die Rassismussirene im Dauerton heult und der Geigerzähler der Islamophobie weit nach rechts ausschlägt“. Für die Kartoffel habe man sich entschieden, so Mysorekar, weil sie als Erdgewächs die unterirdische Berichterstattung symbolisiere, weil sie als „durchaus liebevolle Bezeichnung für Mitbürger ohne Migrationshintergrund“ diene und weil sie mit ihrer eigenen Einwanderungsgeschichte von Südamerika über Spanien nach Deutschland die „Vielschichtigkeit kultureller und nationaler Identitäten“ verkörpere.
Anders als viele erwartet hatten, kam Julian Reichelt persönlich zur Preisverleihung, angenommen hat er die Negativauszeichnung jedoch nicht. Als Grund nannte er den Namen des Preises, der Spaltung vorantreibe, weil er auf deutschen Schulhöfen als Beschimpfung gegenüber deutschen Kindern verwendet werde. Reichelt: „Sie haben tatsächlich schwer danebengegriffen.“ Ob der Begriff nun „liebevoll“, wie Laudatorin Mysorekar sagte, oder „als Schimpfwort“, wie es Reichelt proklamiert, verwendet wird, steht nicht erst seit gestern in der Diskussion, sondern bereits seit mindestens zehn Jahren. Vor allem scheint es aber völlig unerheblich und als Begründung mehr als vorgeschoben.
Denn der Preis wird für eine Berichterstattung verliehen, die Diskriminierung Vorschub leistet, ebenso wie es die Bezeichnung „Kartoffel“ nach Ansicht einiger, darunter Julian Reichelt, gegenüber Bürgerinnen und Bürgern „biodeutscher“ Herkunft tut. Man könnte also meinen, dass der Name des Preises ziemlich treffend, zumindest aber nachvollziehbar gewählt wurde. Vielleicht hätten es die NdM besser mit goldenen Spaghettis versuchen sollen. Da hätte sich der Bild-Chef dann möglicherweise weniger beleidigt gezeigt.
Um zu beweisen, wie ungerechtfertigt die Verleihung der „Goldenen Kartoffel“ an seine Person sei, hat Reichelt übrigens einen der drei Flüchtlinge mitgebracht, die derzeit bei der Bild ein Volontariat absolvieren. Mohammad Rabie arbeitet in der Nachrichtenredaktion und hat es als Team zusammen mit Angelique Geray und Florian Gehm, ebenfalls von der Axel-Springer-Akademie, sogar in die Top 30 bis 30 des Medium Magazins geschafft. Über die „Auszeichnung“ seines Chefs, sagte Rabie, habe er sich sehr geärgert. Und: Viele der kritisierten Schlagzeilen, etwa zu Chemnitz oder Freiburg, seien von ihm selbst gewesen, denn „als Journalisten müssen wir darüber berichten, was ist, nicht darüber, was wir uns wünschen.“ Vielfältigere und ausgewogenere Berichterstattung durch mehr Migrantinnen und Migranten in den Redaktionen? Das ist offensichtlich kein Selbstläufer.