Kalt gestellt über Jahre

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WDR gibt erfahrenem Fachredakteur keine Arbeitsaufträge mehr

Es ist kaum vorstellbar und doch die aktuelle Situation eines lange Zeit im WDR anerkannten Reporters: Trotz voller Bezüge ist der fest angestellte Energie-Fachjournalist seit drei Jahren kaum auf Sendung. Seine Expertise wird nicht abgerufen. Fragwürdig – noch dazu in diesen Zeiten? Das will er nicht länger hinnehmen. Mit Hilfe des ver.di-Rechtsschutzes wurde beim Arbeitsgericht Köln Klage auf „Schadenersatz wegen Nichtbeschäftigung“ gegen den WDR eingereicht.

WDR-Redakteur Jürgen Döschner
Foto: WDR/Annika Fußwinkel

Noch 2019 wurde Jürgen Döschner von seinem Arbeitgeber als „programmprägender Journalist des WDR“ eingestuft. Das verwundert mit Blick auf seine Vita nicht. Der Redakteur arbeitet seit April 1984 beim Westdeutschen Rundfunk (WDR). Unter anderem war er von 1999 bis 2002 Korrespondent und Studioleiter im ARD-Hörfunkstudio Moskau. Danach kam er zurück in die Hörfunk-Wirtschaftsredaktion in Köln. Eines seiner Fachgebiete: Energie. Nach dem Reaktorunglück in Fukushima im März 2011 war er regelmäßiger Studiogast im ARD-Morgenmagazin. Bald galt er offiziell als „ARD-Energieexperte“. Im Zuge der russischen Militärinvasion in der Ostukraine in Kiew und in der Region Saporischschja 2014 recherchierte der Russlandkenner über die Sicherheit der dortigen Atomkraftwerke und berichtete bundesweit über die Risiken eines Krieges im Umfeld von Atomkraftanlagen. Dennoch ziehe es der WDR derzeit vor, die vorhandenen Ressourcen ungenutzt zu lassen und betreibe seit 2019 die „systematische Demontage“ Döschners, „der trotz seiner Fähigkeiten nicht mehr als Redakteur und Reporter eingesetzt wird und damit faktisch kaltgestellt ist“, so Rechtsanwalt Jasper Prigge.

Fertige Beiträge gecancelt

Es war eine latente Vorgehensweise des Senders, die ihren Ursprung offenbar bereits in kritischen Kommentaren und investigativen Recherchen über die Energie- und Agrarwirtschaft seit der Rückkehr Döschners aus Moskau hatte. Nach Berichten über die Proteste im Braunkohletagebau Garzweiler im August 2015 gab es Kritik aus Wirtschaft und Politik. Ein fertig produzierter Beitrag wurde aus dem Programm genommen. Im April 2019 wurde Döschners Redaktion „Story und Recherche“ aufgelöst. Ihm wurde, wie anderen auch, eine Versetzung in den Newsroom angeboten, was er nicht angenommen hat.

Auch ein Wechsel zum Politmagazin „Monitor“ kam nicht zustande. Gegenüber „correctiv“ hatte Redaktionsleiter Georg Restle erklärt, dass er einer Zusammenarbeit positiv gegenübergestanden hätte. Er habe Jürgen Döschner stets als „einen hoch professionellen und mutigen Kollegen kennengelernt, der sich traute, sich mit den Mächtigen im Lande anzulegen. Klar, dass das bei Bayer, RWE und der Landesregierung nicht immer gern gesehen wurde“, zitierte das Recherche-Netzwerk Restle. Auch zum Rechercheverbund von WDR, NDR und „Süddeutscher Zeitung“ wurde der investigative Energie-Journalist nicht gelassen.

Zu den gecancelten Arbeiten in der Folgezeit zählte unter anderem ein Bericht mit einer heimlich aufgenommenen Äußerung des damaligen NRW-Ministerpräsidenten zum Konflikt um den Hambacher Forst. „Armin Laschet wettert gegen Aktivisten im Hambacher Forst. Ein Hörfunkbeitrag darüber steht zweieinhalb Stunden in der ARD-Mediathek, dann verschwindet er. Warum?“, fragt der „Spiegel“. Die von Döschner wegen der Löschung des Beitrags angerufene Redakteursvertretung und der Schlichtungsausschuss kamen später zu dem Schluss, dass es für die Streichung keine journalistischen Gründe gegeben habe. Es wurde empfohlen, den Redakteur so redaktionell einzubinden, damit er seine Expertise einbringen könne. Dem wurde nicht gefolgt, stattdessen eine Abfindung für den vorzeitigen Ruhestand angeboten. Dazu war Döschner nicht bereit.

Auch nach seiner unfreiwilligen Versetzung zu COSMO wurden nahezu sämtliche Themenvorschläge abgelehnt, blieben Aufträge, etwa durch den Newsroom des WDR, aus. Er habe nicht einmal Antworten auf seine Beitrags-Angebote zu Energiethemen oder zur Ukraine und Russland erhalten. Das zog sich bis zum Februar 2022. Döschner arbeitet nur noch höchstens fünf Stunden im Monat.

Für Rechtsanwalt Jasper Prigge spreche all das dafür, dass es sich nicht nur um eine „passive“ Nichtbeschäftigung handele, sondern um aktives Handeln der führenden Personen. Das könne auch mit Machtmissbrauch charakterisiert werden. Im März 2022 sprach der Personalrat des WDR von einem „Annahmeverzug der Arbeitsleistung“ Döschners durch den WDR – quasi einer fortlaufenden Nichtbeschäftigung. ver.di, an die sich der Redakteur gewandt hatte, forderte den WDR im April 2022 zur Zahlung einer Geldentschädigung auf. Denn ver.di sieht in der „faktischen Nichtbeschäftigung eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts“ des Journalisten. Auch das wurde vom WDR zurückgewiesen und es gab keinerlei Anstrengungen, etwas zu ändern.

Für den Redakteur kein hinnehmbarer Zustand. Es blieb der Weg zum Gericht. Diese Verletzung des Persönlichkeitsrechts werde „als schwerwiegend eingeschätzt“ und deshalb ein Schandensersatz von 75.000 Euro vom WDR, vertreten durch den Intendanten Tom Buhrow, eingefordert, erklärt Anwalt Prigge.

Personalrat stärkt den Rücken

Den WDR-Fall Jürgen Döschner haben der „Kölner Stadt-Anzeiger“ und das Recherche-Portal „correctiv“ am 27. Oktober mit ausführlichen Berichten in die Öffentlichkeit getragen. Das rief den Widerspruch des WDR hervor. Beide Medien hätten „tendenziös und in Teilen fehlerhaft über die Beschäftigung des WDR-Redakteurs Jürgen Döschner“ berichtet, heißt es in einer öffentlichen Stellungnahme der WDR Kommunikation am 28. Oktober. Der Klage sei „eine sehr lange und kleinteilige Auseinandersetzung zwischen dem Mitarbeiter und vielen Stellen im Sender vorausgegangen. „Dabei hat der WDR bis zuletzt versucht, den Konflikt konstruktiv und fair zu lösen“, wird betont. Es wurde auf persönliche Gespräche Bezug genommen, in denen Döschner unter anderem unterstellt wird, er habe „im Hinblick auf seine Tätigkeiten eine Sonderrolle gefordert“. Zudem seien Beitragsangebote des Redakteurs, beispielsweis dem Newsroom gegenüber, nicht an „inhaltlichen Positionen“ gescheitert, sondern „an der Tatsache, dass er sich nicht an verabredete Workflows hielt“.

Der Personalrat des WDR stellt sich klar hinter Jürgen Döschner. Er sieht die öffentliche Stellungnahme der WDR Kommunikation als geeignet an, „dem Ansehen von Jürgen Döschner erheblich zu schaden“. Er werde in dem Schreiben persönlich angegriffen und „an den Pranger gestellt“. Davon distanzierten sich die Personalrätinnen und Personalräte „ausdrücklich“ und ebenso „von der Art des Vorgehens“, heißt es in einer Mail an alle Beschäftigten. Es würden offenbar Inhalte aus vertraulichen Personalgesprächen verwendet. „Dagegen protestieren wir ausdrücklich”, heißt es weiter. Der Personalrat vertrete Jürgen Döschner seit Frühjahr 2019 und sei folglich seit mehr als drei Jahren in die Vorgänge eng eingebunden. Man könne die Aussagen über Döschner nicht teilen. Der WDR hatte in der Stellungnahme behauptet, bis zuletzt um eine konstruktive und faire Lösung des Konflikts bemüht gewesen zu sein. „Das sehen wir anders”, betont der Personalrat. Man stehe hinter Jürgen Döschner und werde ihn auch weiterhin vertreten.

Für die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, Monique Hofmann, gehe der „Fall Döschner“ weit über den individuellen Konflikt hinaus. Man müsse sich erneut fragen, „wie es im WDR inzwischen eigentlich um den Umgang mit Machtmissbrauch bestellt ist? In einem Sender, der es sich auf die Fahne geschrieben hat, mit besonderem Vorbild in Sachen Machtmissbrauch voranzugehen, stößt der unangemessene Umgang mit einem renommierten Journalisten doppelt auf“, wird Hofmann im „Kölner Stadt-Anzeiger“ und bei correktiv.org zitiert. „Mit Blick auf Vorfälle in anderen Landesrundfunkanstalten“ sei der Fall Döschner aber auch deshalb „von höchster Aktualität und Brisanz, weil er ein Schlaglicht wirft auf die Frage, wie gut Journalistinnen und Journalisten in den öffentlich-rechtlichen Sendern eigentlich in ihrer Berichterstattungsfreiheit geschützt sind“, so Hofmann.

Indes hatten sich 100 feste und freie Mitarbeiter*innen des WDR-Newsrooms in einem Leserbrief an den „Kölner Stadt-Anzeiger und an „correctiv“ über die Berichte beschwert. Sie zeichneten ein „falsches Bild unserer Arbeitsatmosphäre“, heißt es darin.

Widerspruch

Offenbar wurde sich vor allem auf diesen Absatz im „Kölner Stadt-Anzeiger“ bezogen: „Wer sich im WDR umhört, und zwar auf unterschiedlichen Hierarchie-Ebenen, erhält eindeutige Antworten. Von ‚mafia-ähnlichen Strukturen‘ ist da mitunter die Rede, von einem ‚totalen Klimawandel‘ in einem einst streitlustigen Sender. Wer in Führungspositionen wolle, müsse immer loyal alles abnicken, wer auch mal widerspreche, gelte schnell als Querulant und werde ins Aus befördert. Vergleiche man den Sender mit einem Staat, sei die Gewaltenteilung nicht gegeben.“

„Wir widersprechen für unsere redaktionelle Heimat, den WDR-Newsroom, Ihrer Darstellung“, schreiben dazu die WDR-Kolleg*innen. „Und auch über den Newsroom hinaus ist das nicht unser Eindruck von der Arbeitsatmosphäre im WDR insgesamt.“ „Auch der Vorwurf, dass wir nicht kritisch über RWE berichten könnten, ist für uns nicht nachvollziehbar. Wir sind angesichts solcher Aussagen erschüttert und fassungslos. Zudem habe die Autorin „uns dazu nicht befragt“.

Es bleibt spannend abzuwarten, wie das Arbeitsgericht die Gemengelage um den Journalisten, der bereit ist, für sein Geld zu arbeiten und es nicht darf, einschätzt. Einen ersten Gerichtstermin gibt es noch nicht.

 

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