Keine Alternative zur Selbstkontrolle

50 Jahre Deutscher Presserat: Kodex novelliert Ziffer zur Schleichwerbung schärfer gefasst

Exakt ein halbes Jahrhundert nach seiner Gründung feierte der Deutsche Presserat am 20. November 2006 im Berliner Museum für Kommunikation. Bundespräsident Horst Köhler sprach ein Grußwort und nahm die überarbeitete Fassung der Publizistischen Grundsätze entgegen. Die Arbeit des Selbstkontrollgremiums stand bei einer Podiumsdiskussion „Presse zwischen Freiheit und Kontrolle“ auf dem Prüfstand.

Publizistische Verantwortung, die der Deutsche Presserat als freiwilliges Selbstkontrollgremium von Verlegern und Journalisten seit 50 Jahren wahrnehme, äußere sich darin, „nicht alles, was das Recht erlaubt, auch ethisch als vertretbar“ anzusehen. So umriss Trägervereinsvorsitzender Hermann Neusser die Aufgabe des Gremiums, die Pressefreiheit und das Ansehen der Presse zu wahren. Als Indiz für den Erfolg von fünf Jahrzehnten Selbstkontrolle wertete er die „Zurückhaltung des Staates, Gesetze zu erlassen, die die Grenzen journalistischer Arbeit definieren.“
Bundespräsident Horst Köhler würdigte den Deutschen Presserat als „stark und anerkannt“. Der Rat folge in seiner Arbeit der Einsicht, dass „in der freien Presse niemand die Wahrheit für sich gepachtet hat“ und dass „jeder für eigene Fehler im Ernstfall auch öffentlich gerade stehen muss“. Insofern hätten sich Verleger und Journalisten freiwillig ein Sanktionssystem auferlegt, „das einzelne Mitglieder durchaus schmerzen kann, das aber zugleich den übergeordneten Interessen der Gemeinschaft nützlich ist“. Indem der Presserat die „Fehlbarkeit des Journalismus anerkennt und die Folgen zu begrenzen“ suche, mache er sich „zum Anwalt der offenen Gesellschaft“.
Die Bedingungen für journalistische Arbeit seien in den vergangenen Jahren nicht besser geworden. Aktuell stelle sich die Frage, „ob die Verlage infolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten, auf die sie mit Personalkürzungen reagieren, überhaupt noch die Rahmenbedingungen für Qualitätsjournalismus gewähren können“. Es gebe die Tendenz, dass Medien von ihren Managern als rein ökonomische Güter wie andere auch angesehen und ausschließlich am Ertragsinteresse ausgerichtet würden. Köhler sah die journalistische Unabhängigkeit durch Schleichwerbung bedroht und begrüßte es, dass in der neuen Fassung des Pressekodex die Trennung von Werbung und Redaktion „noch einmal schärfer gefasst“ worden sei. Auch angesichts der Entwicklung des Internets forderte Köhler die Journalisten auf: „Stiften Sie Ordnung unter all diesen Informationen. Geben sie Orientierung. Zeigen Sie den Unterschied zwischen Wichtigem und Unwichtigem… Klären Sie uns auf.“
In der Neufassung der Publizistischen Grundsätze des Deutschen Presserates ist nicht nur der Trennungsgrundsatz auf Veröffentlichungen über Eigenmarketing-Aktionen erweitert. Neu gefasst wurden auch die Ziffer 9 zum Schutz der Ehre und Ziffer 10 zur Religion, Weltanschauung, Sitte. Das Vorverurteilungsgebot geständiger Tatverdächtiger wurde konkretisiert und in Richtlinie 2.4 festgelegt, dass ein Interview nicht zwingend autorisiert werden muss, sofern es „das Gesagte richtig wiedergibt“. Der novellierte Pressekodex tritt am 1. Januar 2007 in Kraft (www.presserat.de). Die dju in ver.di hatte anlässlich des Jubiläums gefordert, den Kodex stärker bereits in der Journalistenausbildung zu verankern. Die Anwendung müsse als präventiver Schutz gegen Regelverstöße und zur Vermeidung von „Kunstfehlern“ zudem „trainiert“ werden.
In der Podiumsdiskussion, die Anja Reschke (NDR, Panorama) moderierte, sah Giovanni di Lorenzo, Zeit-Chefredakteur, in den deutschen Printmedien „eher ein Zuwenig an Kontrolle als ein Zuviel“. Bascha Mika, Chefredakteurin der taz, forderte den Deutschen Presserat auf, mehr in die Öffentlichkeit zu wirken und „Zeichen zu setzen“, indem das Gremium selbst Beschwerdeverfahren in Gang setze. Fried von Bismarck, Sprecher des Deutschen Presserates, erklärte im Rückblick, dass der Staat „manches nicht gemacht hat, was er mit Blick auf die Selbstkontrolle machen könnte“. Er wertete das als Zeichen, dass bestehende Verfahren „wirksam genug“ seien. WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach sah „keine Alternative zur Selbstkontrolle“. „Regulierte Selbstregulierung durch den Staat“ bezeichnete er als „absurd“. Die Öffentlichkeitswirkung der modernen Medien bedeute „wahnsinnig viel“, Glaubwürdigkeit werde als mediales Qualitätsmerkmal immer wichtiger. Udo di Fabio, Richter des Bundesverfassungsgerichts, forderte – auch im Vergleich mit im Ausland praktizierten anderen Kontrollmechanismen – den Deutschen Presserat auf, „sehr selbstbewusst“ zu sein und das traditionelle Modell der Selbstkontrolle zu verteidigen. Das Podium schien sich einig, dass diese Erfahrungen auch in eine künftige Debatte um freiwillige Internet-Regulierungen einfließen sollten.

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