Keine Sonntagsrede

Kathrin Gerlof, freie Journalistin und Buchautorin in Berlin
Foto: privat

In Norwegen ist die Freiheit der Presse seit 1814 durch die Verfassung garantiert. Auf eine solch lange und gute Geschichte kann Deutschland nicht blicken. Natürlich nicht. Die Zäsur hin zum Besseren konnte erst mit der Verabschiedung des Grundgesetzes vor 70 Jahren eingeleitet werden. Und musste auf dem Boden vollständiger zivilisatorischer Zerstörung gründen.

„Eine Zensur findet nicht statt“ stand in der Weimarer Verfassung, aber diese erste deutsche Republik lag 1945 unter dem größten aller Verbrechen begraben. Und die neue Republik bestand zu einem großen Teil aus Menschen, die an der Totengräberei beteiligt gewesen waren. Umso gewaltiger scheint der auch aus heutiger Sicht radikale Schritt, Bedingungen für eine garantierte Presse- und Meinungsfreiheit zu schaffen, die möglichst alle Turbulenzen, politischen und parlamentarischen Veränderungen überstehen und überleben werden. Eine Ewigkeitsgarantie zu geben. Das war eine große Idee.

Artikel 5 erhob 1949 die Freiheit der Kunst und der Presse in Verfassungsrang. In der DDR war es der Artikel 27 der Verfassung, die Realität der dann folgenden 40 Jahre schrieb eine andere Geschichte.

Bleiben wir bei der Bundesrepublik Deutschland: Seit 1949 hatte und hat die Pressefreiheit ihre Stütze in der parlamentarischen Demokratie und auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der eine der großen Errungenschaften der zweiten deutschen Republik ist. Auch wenn dieses Rundfunk-System durchaus kritisch diskutiert wird, weil es darum gehen muss, ihn und seinen Bildungsauftrag weiterzuentwickeln. So bildet zum Beispiel die Besetzung der Rundfunkräte in einigen ARD-Anstalten die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Dynamik gesellschaftlicher Entwicklungen nicht in ausreichendem Maß ab. Verflachung und Kommerzialisierung vieler Inhalte mit Blick auf die Quote verwässern das Potenzial, das einem öffentlich-rechtlichen und von der Gesellschaft finanzierten Rundfunk innewohnt. Er ist ein hohes, vielleicht das höchste Gut einer sehr diversen Medienlandschaft.

Reporter ohne Grenzen erkundet für uns regelmäßig und aufwändig den Stand der Pressefreiheit und die Situation von Journalist*innen weltweit. Deutschland befindet sich aktuell auf Rang 13 und hat im Vergleich zum vergangenen Jahr zwei Plätze gutgemacht. Womit wir mitten im Thema sind. Denn die vollständige Information lautet: Deutschland rückt nach vorn, weil andere schlechter geworden sind und werden. Also nicht aus eigener Anstrengung, nicht, weil hier etwas besser wurde. Es geht aber nicht um einen Wettbewerb, sondern darum, ob auch jenseits schöner Reden die Meinungs- und Pressefreiheit weiterhin als eine der größten Errungenschaften einer Demokratie gilt. Und somit alle notwendigen Voraussetzungen bewahrt und geschaffen werden, um Pressefreiheit aus dem Reich der Akklamation in funktionierende gesellschaftliche Realität zu überführen.

Wir wissen, dass eine Demokratie noch lange als solche gelten kann, selbst wenn es gar nicht so gut bestellt ist um die Pressefreiheit – in der die ökonomische Freiheit, unabhängige Medien zu produzieren und deren Inhalte verbreiten zu können, enthalten sein muss: Sei es, wie in den USA, weil die Angriffe von ganz oben und die damit einhergehende Verächtlichmachung aller Bemühungen um sachliche Berichterstattung dazu führen können, dass die Bürger*innen zu der Meinung gelangen, sie bedürften dieser Medien gar nicht mehr. Es ist ein kleiner Schritt von dort bis zum Lügenpresse-Vorwurf und der wurde längst getan. Sei es, weil Regierungen, wie in Polen, ihre Kontrollmöglichkeiten mit Hilfe des Parlaments und Eingriffen in die Verfassungsgesetzgebung ausweiten. Sei es, weil kritische Medien unter ökonomischem Druck zusammenbrechen und Konzentrationsprozesse in der Medienlandschaft Vielfalt zerstören, stattdessen Monokultur als Vielfalt verkaufen. Sei es, weil eine nationalkonservative Wende die Gleichschaltung der Medien ermöglicht, Oligarchen sich ins Mediengeschäft einkaufen, die wirtschaftliche Grundlage für aufwändige Recherche, unabhängige Berichterstattung, kritische Kontrolle für viele Journalist*innen nicht mehr gegeben ist. Sei es, weil Gewerkschaften nicht stark genug sind, Löhne und Honorare zu verhandeln, die Festen und Freien eine Sicherung der Existenz und vor allem Unabhängigkeit im Denken und Tun ermöglichen. Sei es, weil die Gesetzgebung nicht ausreichend gute Bedingungen für freie Recherche und Berichterstattung schafft.

Ein gutes, bzw. nicht so gutes Beispiel hierfür ist die Haltung Deutschlands in Bezug auf den besseren Schutz von Whistleblowern, der sowohl den Ermittlungsbehörden als auch den Medien nützte. Obwohl es nun eine erträgliche, wenn auch nicht ideale EU-Regelung gibt, hatte sich Deutschland lange geweigert, die Möglichkeit einzuräumen, dass Whistleblower Verstöße in Unternehmen gleich den Behörden oder der Öffentlichkeit (den Medien) zur Kenntnis geben können. Stattdessen sollten sie, wäre es nach Deutschland gegangen, zuerst im Unternehmen, das die Verstöße begeht, vorsprechen. Eine Einschränkung der Pressefreiheit drohte auch durch den EU-Beschluss zum höheren Schutz von Geschäftsgeheimnissen, den die deutsche Regierung im ursprünglichen Entwurf forcierte und der erst nach zähem Ringen und heftigen Debatten dahingehend geändert wurde, dass die investigative Arbeit von Journalistinnen und Journalisten nicht Gefahr läuft, beeinträchtigt zu werden. Und von der Ausweitung staatlicher Überwachung, der Erweiterung der Befugnisse von Geheimdiensten in den vergangenen Jahren sind auch Medien betroffen.

Die Liste all dessen, was Pressefreiheit aushöhlen und einschränken kann, ist lang. Und man muss, um dies bedenklich zu finden, noch nicht einmal die Grundfrage diskutieren, wie umfassende Pressefreiheit gewährleistet sein kann in einem ökonomischen System, das bis auf die Ausnahme öffentlich-rechtlich und einige wenige, kleine genossenschaftliche Medienprojekte, privatwirtschaftlich und somit gewinnorientiert agiert. Und wie die Pressefreiheit als wesentlicher Stützpfeiler einer offenen, pluralen, demokratischen Gesellschaft auch in Zeiten von Filterblasen, Fake News, Kommerzialisierung des Internets nicht nur gewahrt bleiben, stattdessen ausgeweitet werden kann. Denn auch wenn sie im Grundgesetz steht und somit verbürgt ist: Sie kann, ihrer Möglichkeiten beraubt, ebenso einfach nur Gegenstand und Inhalt hübscher Sonntagsreden sein.

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