„Keiner da?“

Rollentausch bei der „Westfälischen Rundschau“

Jeden Abend ab 20 Uhr schrillen die Telefone. Vier Männer wollen wissen, wann ihre Frauen endlich nach Hause kommen. Sie hätten bereits gekocht und den Tisch gedeckt, aber der Stuhl der Frauen gähne vor Leere. Die „vermissten“ Frauen sind Redakteurinnen bei der „Westfälischen Rundschau“ in Dortmund, Stadtredaktion Lünen. Unter den fünf Mitarbeitern dort ist lediglich ein Mann.

Ein Rollentausch par excellence. „Wir sind eine Vorzeigeredaktion“, sagt die Wirtschaftsreporterin Katja Neugebauer. Von den insgesamt 13 Journalisten des Lokalblattes, das zum WAZ-Konzern gehört, sind acht weiblich. Die Chefredaktion ist mit einer Frau besetzt, ebenso ihre Stellvertreterstelle.

Mehr im Verborgenen

Ein ungewöhnliches Bild im Printbereich. So selten, dass Katja Neugebauer nach ihrem Vorstellungsgespräch vor knapp einem halben Jahr befürchtete, die Stelle nicht zu bekommen. So viele Frauen bei einer Tageszeitung, das ist nicht normal, wunderte sich die 35-Jährige. Auch wenn der Frauenanteil bei den Printmedien in den vergangenen Jahren um wenige Prozentpunkte angestiegen ist, sind Redakteurinnen vor allem bei Anzeigenblättern sowie Magazinen zu finden. Das Tageszeitungs- und Nachrichtengeschäft ist noch immer männlich dominiert.

Die Westfälische Rundschau scheint eine Ausnahme in der Branche zu sein. Laut Medienanalyse „Global Media Monitoring Project“ (GMMP), die im Jahr 2000 in 71 Ländern durchgeführt worden ist, sind Frauen zwar bis zu 41 Prozent an der Produktion von Nachrichten beteiligt, wirken aber in der Regel im Verborgenen. Untersucht wurden alle Branchen: TV, Hörfunk, Print. In Deutschland beträgt der weibliche Anteil an der Medienproduktion etwa 40 Prozent, öffentlich vertreten sind jedoch nur rund 13 Prozent. Das hat sich bis heute nicht geändert. Im Gegenteil: 1995 waren es sogar 15 Prozent.

Ungewöhnlich hoch ist der Frauenanteil laut GMMP mit 56 Prozent bei den Fernsehanstalten. Jedoch arbeiten die Frauen meist als Producerinnen, Cutterinnen und Redaktionsassistentinnen. Auch wenn beispielsweise die Tagesschau eine „ungeschriebene“ Quote bei den Nachrichtensprecherinnen hat, die Kommentatoren der Tagesthemen sind in der Regel Männer. Auch das Durchschnittsalter der Fernsehfrauen ist laut GMMP auffällig: zwischen 20 und 34 Jahren. „Du bist nicht mehr ganz jung, hast Fältchen, du bist nicht sexy.“ Diesen Satz musste sich Beate Hopf mehrmals anhören. Ihren Namen kannte kaum jemand, ihr Gesicht schon. 14 Jahre lang war die blonde Frau mit dem Rundhaarschnitt die Assistentin von Wim Thoelke, der den „Großen Preis“ moderierte. Dass die „Zuträgerin“ ausnahmsweise keine Schönheit sein durfte, begründet Beate Hopf mit der Publikumsbindung: „Mich konnte ein Mann angucken, ohne dass seine Frau eifersüchtig wurde.“

Obwohl die Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking gefordert hatte, eine weltweite kritische Überprüfung des Frauenbildes in den Medien vorzunehmen, hat sich bislang nicht viel getan. Von 100 Personen, die zu Wort kommen oder namentlich genannt werden, sind nur 18 Frauen. Männer kommentieren, stehen im Zentrum des Geschehens oder werden als Experten gefragt.

Das kann Katja Neugebauer bestätigen. Auf ihrem Redaktionsschreibtisch steht ein Foto: zehn Männer, die in die Kamera lächeln. Das Bild entstand bei einem Treffen von Wirtschaftsfachleuten, über das Katja Neugebauer berichtete. „In den harten Ressorts tauchen Frauen höchstens als Sekretärinnen auf“, so die Journalistin. Auch bei Pressekonferenzen sei sie oft eine der wenigen weiblichen Interessenten.

Das Risiko Kind

Dass Frauen in den Medien vielfach noch immer vor allem die „weichen Ressorts“ und Themen besetzen – Kinder und Familie, Schule und Lebensart – kennt Katja Neugebauer noch aus ihrer Zeit beim Hamburger Abendblatt, wo sie vor ihrer Übersiedlung nach Lünen drei Jahre gearbeitet hat. Laut GMMP tummeln sich Frauen zu 35 Prozent in den Bereichen Kunst und Unterhaltung und sind nur zu 26 Prozent in den Nachrichtenressorts und in der Politik mit 12 Prozent vertreten. Beim Hamburger Abendblatt war Katja Neugebauer Polizeireporterin: „Eine ‚Männerdomäne‘, aber Frauen werden für solche Jobs immer mal wieder gern genommen, weil sie sich auf andere Weise Verbrechen, Opfern und Tätern nähern sollen und können: mit Gefühl.“ Frauen haben für Tränen und den emotionalen Faktor zu sorgen.

Da ist nicht nur der Aspekt der Produktion von Nachrichten, sondern auch jener der Darstellung. Unzählig die sogenannten A & T-Blätter: „Arsch- und Tittenmagazine“, wie sie von den Machern selbst bezeichnet werden. Im Fernsehen, insbesondere der Privatanstalten, müssen Frauen vor allem die sexuelle Schiene bedienen. Redakteurinnen des TV-Senders Sat 1 monieren regelmäßig Sex-Beiträge und Filme, in denen Frauen auf ihre äußeren weiblichen Attribute bzw. die Rolle als Hausfrau und Geliebte reduziert werden. Dann müssten sie, erzählt eine langjährige Mitarbeiterin des Privatfernsehsenders Sat 1, die ihren Namen nicht nennen will, mit Reaktionen rechnen wie: „Bist wohl neidisch, dass du nicht solche Titten hast.“ Werden Frauen als Experten für Gesprächsrunden vorgeschlagen, komme von mindestens einem Mann prompt die Frage: „Und – sieht sie sexy aus?“

Die 37-jährige leidet, wie sie sagt, unter diesem „Herrschaftsgebaren“. „Doch ich bin nicht mehr die Jüngste, dazu seit Jahren bei dem Sender und rechne mir nicht all zu große Chancen bei anderen Anstalten aus.“ Vielmehr jedoch plage sie ein anderes Problem: Sie wünsche sich nichts mehr als ein Kind. Aber aus Angst vor dem Verlust ihrer Stelle vergräbt sie ihre Sehnsucht im letzten Winkel ihrer Seele. Der Privatsender ist vollgepfropft mit Mitarbeitern, jede frei gewordene Stelle wird nicht wieder besetzt.

Da will sie kein Risiko eingehen. Und ist vermutlich ihr Leben lang unglücklich.

Kinder und Karriere, oder besser Kinder und Job – für die meisten Journalistinnen ein großes Problem. Unabhängig vom Stress- und Zeitfaktor, den Kinder zwangsweise mit sich bringen, ändert sich oft der Status von Müttern, wenn sie nach dem Erziehungsurlaub in den Beruf zurückkehren. Meist wird die Stelle mit einer Schwangerschaftsvertretung besetzt, nicht selten bleibt die „Aushilfe“ auf dem Platz. Nur wer vorher genau vereinbart, was mit seiner Stelle geschieht, kann nach einer überschaubaren Babypause die Chance auf einen glücklichen Wiedereinstieg nutzen. Oder die „Auszeit“ gestaltet sich so kurz wie die von Tita von Hardenberg, der Macherin und Moderatorin von „Polylux“. Nur wenige Wochen nach der Geburt ihres Sohnes will sie wieder in die Redaktion zurückkehren.

Alt mit 48?

Auf andere Weise, und dennoch besonders schwierig haben es ältere Frauen. Auch wenn sie sich auf Stellen bewerben, die weit unter ihrer Qualifikation liegen. So wurde eine ehemalige Redakteurin der einstigen ostdeutschen CDU-Blockpartei-Zeitung „Neue Zeit“ nach deren Einstellung im Juli 1994 bei einem Vorstellungsgespräch gefragt, ob sie sich die neue Arbeit überhaupt zutraue. „Bei Ihrem Alter?“ Die Frau war damals 48 und hatte sich als Sachbearbeiterin beworben.

Doch die Journalistin ließ sich nicht beirren und wurde freie Autorin für die „Berliner Morgenpost“ und „Die Welt“. Für etwa 2400 DM Brutto hetzte sie von einem Lokaltermin zur nächsten Pressekonferenz. Bis „Die Welt“ ihr als Blattmacherin ein Fixum anbot. Noch im Frühsommer 2001 wurde ihr ein fester Vertrag zugesichert. Als im Spätsommer die Gerüchteküche um die Zusammenlegung von „Welt“ und „Mopo“ brodelte, drang die „Journalistin mittlerer Klasse“, wie sie sich selbst beschreibt, auf den zugesagten Vertrag. Von der Vereinbarung jedoch war nun keine Rede mehr, die einzige Alternative, die ihr angeboten wurde, war die sofortige Kündigung. Daraufhin zog sie vor Gericht und ertrotzte eine gütliche Einigung. Allerdings mit dem Nachsatz, dass sie über diesen Vorgang Stillschweigen zu bewahren habe. „Jetzt bin ich 56 und arbeitslos und weiß nicht, wie ich bis zur Rente kommen soll“.

„Ältere Kolleginnen sind zu teuer und werden fast nie eingestellt“, bestätigt Christiane Seitz, Nachrichtenredakteurin beim WDR-Hörfunk in Köln. Von den 22 Mitarbeitern der News-Redaktion sind acht Frauen, im Alter zwischen 30 und 55. Die meisten „Älteren“ sind seit vielen Jahren dabei. Kommen heute (jüngere) Frauen dazu, haben sie es – unabhängig vom ihrem Können und ihrer Qualifikation – auch dem Frauenförderplan des WDR zu verdanken, der eine Soll-Vorschrift ist und fordert, dass in den Bereichen, die noch nicht zur Hälfte weiblich besetzt sind, bei gleicher Qualifikation bevorzugt Frauen eingestellt werden müssen. „Fällt die Wahl trotzdem auf einen Mann, muss der Personalrat seine Entscheidung sehr genau begründen“, sagt Christiane Seitz. Eine Gleichstellungsbeauftragte sorgt für den Geschlechterausgleich.

„Sie ist ebenso für Probleme von Männern da“, so die 43-Jährige. Seit die Frauenbeauftragten vor wenigen Jahren in Gleichstellungsbeauftragte umbenannt wurden, kritisieren viele Frauenrechtlerinnen, dass dadurch der Feminismus und der Kampf um gleiche Rechte verraten worden seien: Gender Mainstreaming sei die Manifestierung von Männerrechten durch die Hintertür.

Christiane Seitz beobachtet einen „neuen Trend“: Verstärkt streben junge Frauen in die Nachrichtenredaktionen. Im letzten Jahr hätten sich sogar mehr Frauen als Männer für ein Volontariat beim WDR beworben. Ein Zeichen dafür, dass sich die Medien allmählich wandeln? „Die politische Entwicklung ist ein langer, ein langsamer Prozess“, sagt GMMP-Direktorin Teresita Hermano. „Und er wird vor allem durch kontinuierliche Lobby-Arbeit fortgesetzt.“ Stoßen junge Frauen in einstige Männerdomänen vor, ändert sich oft das Klima in den Büros. Einer Studie aus dem Jahre 1996 an der Freien Universität Berlin unter Leitung des Politikwissenschaftlers Peter Grottian zufolge tragen Frauen zu einer besseren Kommunikation bei, treffen schneller Entscheidungen und arbeiten zielorientierter. Ihnen fehlt laut Grottian auch der „männliche Präsenzdrang“: Nicht wenige Männer definieren sich über ihre Anwesenheit am Arbeitsplatz, nach dem Motto „Wer da ist, arbeitet viel“.

Krücke Quote

Das Berliner Korrespondentenbüro des MDR ist von einem jungen Team besetzt. Die sieben Mitarbeiter (drei Frauen, vier Männer) duzen sich, es herrscht ein familiäres Klima. Wenn die Redakteurin Silke Hasselmann wegen ihres fast 15-jährigen Sohnes ausnahmsweise mal etwas eher nach Hause muss, kann sie früher gehen. „Das regeln wir unter uns und gleichen an anderer Stelle aus“, so die 36-jährige Alleinerziehende. „Mein Chef hat Verständnis für die Situation von Müttern und Vätern.“ In Hauptstadtstudios anderer Sender sieht das anders aus: Die Mitarbeiter wahren strengen Abstand zueinander und funktionieren oft nach traditionellen Mustern. Im Pressehaus gibt es keine Büroleiterin und keine leitende Frau im Technik-Bereich.

Als das Berliner und das Bonner Korrespondentenbüro des MDR fusionierten und die Stelle in Berlin besetzt werden musste, fiel der Zuschlag auf die Ostdeutsche Silke Hasselmann. Mit dem Posten liebäugelten auch zwei (West)Männer. Wenn Silke Hasselmann heute hört, sie habe die Stelle nur wegen der Frauenquote bekommen, auf die der MDR-Intendant in Leipzig großen Wert lege, reagiert sie schon mal zerknirscht: „Dann wird mein Können nicht anerkannt.“ Die „Krücke Quote“ als falsches Alibi.

Aus der Stadtredaktion in Lünen wird gern folgende Anekdote erzählt: Ein Leser stolpert ins Büro, erblickt nur Frauen an ihren Computern, dreht sich verunsichert im Raum hin und her und fragt: „Keiner da?“

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