Für den mobilen Journalismus (#MoJo) gibt es in Afrika ein optimales Szenario, die neuen Möglichkeiten zu testen. Multimediale Berichterstattung mit dem Smartphone: Texten, Kommunizieren, Fotos, Videos und Audios, alles mit einem Gerät. Bei einem Workshop mit einem Dutzend lokaler Journalist_innen in der kenianischen Provinz Kakuma konnte sich das Konzept des all-in-one-Tools beweisen.
Wasser gibt es in dieser Halbwüste nicht. Soweit das Auge reicht, sind hier im äußersten Nord-Westen von Kenia keine Häuser zu sehen. Aber die Internetverbindung entlang der Wüstenstraße steht stabil. Häufig sogar eine schnelle UMTS-Verbindung. Die Fotos aus der Savanne sind in Sekundenbruchteilen in der ganzen Welt abrufbar.
Das mobile Internet ist also vorhanden, andere Infrastruktur um Journalismus zu machen dagegen eher nicht. Tageszeitungen sucht man hier in der Provinz vergeblich. Zu aufwändig ist es, so viel gedrucktes Papier täglich auszuliefern. Schon eine Recherchereise für einen Journalisten dauert aus der Hauptstadt Nairobi mindestens zwei Tage, da die Strecken weit, die Straßen schlecht und nachts voller Gefahren sind. An einem solchen Ort kann das Smartphone seine Stärken ausspielen.
Die Fotos aus der Wüste sollen später im Seminar „mobiler Journalismus“ noch als Beispiel für die Motivwahl und den passenden Ausschnitt dienen. Die drei Meter hohen Ameisenhügel liefern das Beispiel für den goldenen Schnitt in der Bildkomposition.
Informationen gegen Gerüchte
Alle Teilnehmer_innen stammen aus Kakuma, ein eigentlich kleines Dorf im Land des Turkana-Volks. Medien gibt es hier fast keine. Ein großer Teil der Bevölkerung lebt noch wie die Vorfahren in Rundhütten der Nomaden. Inzwischen gehört das Dorf aber zu den zehn größten Städten Kenias. 200.000 Flüchtlinge sind hier in den vergangenen 20 Jahren aus den Kriegsgebieten im Sudan, Äthiopien, Somalia und dem früheren Kongo gestrandet und leben in einem riesigen Zelt-Camp.
Seitdem Kenia 2014 und 2015 Ziel von zahlreichen grausamen Terroranschlägen islamistischer Aktivisten mit hunderten Toten wurde, werden die Fremden in den Flüchtlingscamps jedoch von der einheimischen Bevölkerung immer kritischer betrachtet. Einige der Attentäter sollen Bewohner der Camps gewesen sein. Doch ohne funktionierende Medien erfahren weder die Bewohner der Camps etwas über die Gesellschaft in Kenia, noch erhält die kenianische Bevölkerung zuverlässige Informationen darüber, was sich in den Camps abspielt und wer dort lebt und warum sie geflohen sind. In Zeiten ethnischer und religiöser Spannungen können so aus Gerüchten schnell Vorurteile wachsen.
Audio-Reportage mit dem Smartphone
Die technischen Möglichkeiten zur Verbreitung von Informationen sind jedoch gering. Ein Smartphone schien unter den gegebenen Umständen am einfachsten geeignet, hier Abhilfe zu schaffen. Vor diesem Hintergrund hatte die Deutsche Welle Akademie das Smartphone-Seminar geplant und mich mit der Kursleitung beauftragt. Ziel des Projekts war es, die Teilnehmer_innen innerhalb von fünf Kurstagen in die Lage zu versetzen, allein mit einem Smartphone eine Audio-Reportage für das Radio, eine Video-Reportage für das Internet und hochwertige Fotos eigenständig zu erstellen. Zudem sollten sie einen Überblick über die wichtigsten Social Media-Tools erhalten, jeweils einen eigenen Account bei Google, Twitter und YouTube einrichten und diese neuen Tools in dieser Zeit aktiv bedienen.
Während des Seminars entstand auch ein gemeinsamer Mini-Blog, in den jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer eigene multimediale Beiträge posten sollte. Am Schluss des Seminars wurde eine Video-Liveschalte unter freiem Himmel geübt:
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Gut die Hälfte der Teilnehmer_innen waren kenianische Mitarbeiter_innen der Radiostationen, die rund um Kakuma leben. Die andere Hälfte stammt aus dem Süd-Sudan. Sie sind als Kinder oder Jugendliche vor den jahrelangen Kämpfen geflohen. Die meisten von ihnen haben journalistische Erfahrungen bei einem amerikanischen Hilfsprojekt gesammelt, das ein vierteljährliches Magazin im Lager veröffentlicht.
Einige hatten ein eigenes Smartphone mitgebracht. Das waren überwiegend sehr einfache Geräte aus chinesischer Produktion mit veralteten Android-Betriebssystemen. Für die übrigen Teilnehmer_innen waren neue Smartphones von Samsung angeschafft worden. Auch bei den verwendeten Apps mussten Abstriche gemacht werden: Sie durften kein Geld kosten, da dies von den Teilnehmer_innen hätte aufgebracht werden müssen.
Kostenlose, aber effektive Tricks gefragt
Auch weiteres Equipment war nur zum Testen eingeplant. Denn künftig müssen alle ohne Zubehör auskommen. Daher waren einfache und kostenlose, aber effektive Tricks gefragt. Zur Aufhellung von Schattenpartien im Gesicht oder dunklen Augenhöhlen beim Interview kann ein aufgespanntes Papier als Reflektor dienen. Zur Fokussierung des Mikrofons kann die richtige Griffhaltung (Muschelgriff) beitragen, die auch zur Stabilisierung dient. Und der günstige Selfie-Stick kann weit mehr, als nur die eigene Nase ablichten:
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Von Anfang an überzeugten die Ergebnisse des Workshops in allen Mediengattungen. Schon am ersten Tag schoss der südsudanesische Journalist Ukech Daniel ein sehr überzeugendes Porträt-Foto mit dem Smartphone. Für die Tonaufnahme gibt es zahlreiche gute Apps. Als besonders schwierig erwies sich dann aber der Radioschnitt, da es nur sehr wenige kostenlose Apps gibt, die ein präzises Versäubern eines Versprechers oder „Ähs“ innerhalb eines Clips ermöglichen. Auch das Montieren von vorgeschnittenen Clips und O-Tönen gelingt nur mit Tricks. Am Ende klappte es aber mit den Android-Apps Tapemachine und WavePad, auch wenn der Workflow gewöhnungsbedürftig ist:
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Video vertonen über Umwege
Die Produktion eines klassischen TV-Beitrages auf dem Smartphone bereitet noch größere Probleme, wenn keine Kaufsoftware zur Verfügung steht. Da es an Apps fehlt, musste es erneut mit einem Trick gehen: Nachträglich wurde der Audio-Kommentar unter die Schnittbilder und O-Töne gemischt. Dafür verwendeten wir eine Abwandlung der von mir entwickelten #Oneshot-Produktionstechnik. Dabei wird das Thema zunächst komplett recherchiert, der Beitrag konzipiert, O-Töne werden aufgenommen und gegebenenfalls wird der Reporter-Sprechertext noch vor Aufnahme der Schnittbilder aufgeschrieben. Mit einem festen Konzept der Schnittbildauswahl wird der Kommentar parallel beim Filmen zusammen mit den Umgebungsgeräuschen aufgenommen. Diese Clips und O-Töne können dann mit Bordmitteln im Smartphone versäubert (getrimmt) und in der richtigen Reihenfolge montiert werden. Dazu diente die App AndroVid mit ihrer gewöhnungsbedürftigen Benutzeroberfläche.
Das Ergebnis dieser simplen Methode war verblüffend. Die ersten zwei Reporter hatten in nur zwei Stunden ihren ersten vollwertigen TV-Kurzbeitrag auf dem Smartphone erstellt:
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Dafür, dass das gesamte genutzte Equipment, das Smartphone, nur etwa 150 Euro kostet, ist das ein gewaltiger Produktivitätssprung.
Fazit: Mit einem fokussierten Training können Medienbeiträge erstellt werden, die professionellen Anforderungen genügen. Durch die gute Mobilfunkabdeckung in Kenia sind daher alle Bedingungen für eine verbesserte Medienberichterstattung gegeben.
Die Kommentare der Teilnehmer_innen am Ende des Seminars waren dann auch begeistert: „The training has been very fantastic“, schrieb einer. Ein anderer merkte an: „Ich war zuvor bei wichtigen Ereignissen dabei und habe nie daran gedacht, das Smartphone als Produktionstool zu benutzen.“ Trotz täglicher 10-Stunden Einheiten hätten die meisten gern eine zweite Woche weiter gemacht und forderten zusätzliche Kurse. Berührend, was ein anderer Teilnehmer schrieb: „The training has become my opener to greater heights.“