KI auch im Lokaljournalismus

Ausbildung im Studio 47: Volontärin Vanessa Wiebe beim Schneiden Ihres Interviews Foto: Studio 47

Einige, zumeist große Medienhäuser schaffen neue originäre KI-Jobs oder streichen Stellen unter dem Vorwand der Digitalisierung – andere, zumeist kleinere Verlage setzen KI oft pragmatisch ein, um ihre Redaktionen von Routinejobs zu entlasten. Besonders im Lokaljournalismus können sich durch den Einsatz neue Möglichkeiten ergeben, wenn auf die ethische Handhabe geachtet wird. Beim Lokalsender „Studio 47“ im Ruhrgebiet erstellt eine KI beispielweise Nachrichtenvideos. Dafür stellt der Sender neue Mitarbeiter*innen ein.

Wer dieser Tage die Jobbörsen durchstreift, auf der Suche nach KI-Jobs in den Medien, entdeckt überall neue exotische Job-Pflänzchen: etwa den KI Content Engineer oder den KI Circle Manager. Bei Ippen Digital gibt es einen Product Lead Natural Language Processing.

Liest man die entsprechenden Anforderungsprofile entsteht der Eindruck, dass hier ganz neuartige Fertig- und Fähigkeiten verlangt werden, auf die „traditionelle“ journalistische Ausbildungen kaum vorbereiten. Schnell wächst dann die Angst, dass jetzt eine Klasse von „Technokrat*innen“ in die Redaktionen einzieht, die den Maschinen zur Macht und den Kolleg*innen zum Jobverlust verhelfen.

„Die aktuellen neuen Jobprofile sind oft noch aus der Not heraus geboren. Da hat man oft schnell mal Funktionsbeschreibungen rausgehauen, von denen man vermutet, dass man sie jetzt gerade brauchen könnte“, urteilt Stephan Weichert. Der Journalist hat den gemeinnützigen Think Tank VOCER Institut für Digitale Resilienz gegründet und begleitet Unternehmen und Organisationen durch den digitalen Medienwandel.

KI-Einsatz im Lokal TV

Dass es auch anders geht, zeigt Studio 47, der letzte private lokale Fernsehsender in Nordrhein-Westfalen. Dort experimentiert Chefredakteur und Gesellschafter Sascha Devigne seit Jahren mit KI. Er nutzt die Künstliche Intelligenz zur Automatisierung von Routinejobs und verschafft seinen etwa 20 Kolleg*innen Freiräume für journalistische Aufgaben. „Die Kolleg*innen in den Redaktionen können jetzt inhaltlich viel dichter arbeiten, können mehr recherchieren, mehr drehen, längere Live-Strecken produzieren. Die abendliche Prime Time Sendung haben wir so um etwa 10 Minuten verlängern können. Bei uns führt KI-Einsatz nicht zu Entlassungen. Im Gegenteil, es wurde hier sogar eine zusätzliche Redaktionsstelle geschaffen“, sagt Devigne.

Dabei arbeitet Studio 47 selbst wie ein Systemhaus und entwickelt seine Software, gefördert von den Landesmedienanstalten (u.a. auch vom MIZ Babelsberg), selbst. Die eigenen Lösungen werden auch an andere (lokale) Medienhäuser weiter lizenziert.

Als Beispiel seiner Entwicklungsarbeit zeigt Devigne die KI BotCast. Die generiert aus Agenturmeldungen, Pressemitteilungen und den persönlichen Notizen der Redakteur*innen Texte für die kurzen NiF (Nachrichten im Film). Sie steuert das Einsprechen des Voice Over mithilfe der zuvor synthetisierten und gesampelten Station Voices und übernimmt den kompletten Videoschnitt. Dabei stellt sie passendes Archivmaterial oder tagesaktuelle Aufnahmen der Kameracrews zusammen und editiert die Beiträge. Auch die Text Inserts kommen von BotCast. Letztlich produziert die KI so komplette sendefähige Nachrichtenfilme die als solche gekennzeichnet sind.

Die zweite KI-Eigenkreation von Studio 47 heißt ClipSense. Sie analysiert, verschlagwortet und kennzeichnet vollautomatisch Videocontent und Bilder und macht sie so fertig für die Ablage und Nutzung in sogenannten MAM (Media Asset Management) Systemen.

Das neueste Eigengewächs der Duisburger*innen, NewsHub, ist noch in der Entwicklung und soll die kompletten, etwa 10minütigen, stündlich wiederholten Nachrichtensendungen des Senders automatisch produzieren. Dann werden alle einzelnen Bestandteile dieses Formats KI-gestützt hergestellt und miteinander kombiniert, von der Aufmacher-MAZ, über die kurzen NiF (Nachrichten im Film bis zur Insertierung von Bauchbinden und Titeln. Das Journalismus Lab der Landesmedienanstalt NRW hat die Lösung finanziell gefördert. Eine Vorform des Formats kann man auf Youtube besichtigen.

Die Kontrolle der KI-Produktion durch den Menschen ist, bei den Studio 47 Tools mitgedacht. Die selbstentwickelte Software habe immer einen eingebauten „roten Knopf“, sagt Sascha Devigne. Den sollen die Journalist*innen nutzen, falls es inhaltlich fragwürdig wird und die KI zu „halluzinieren“ beginne. „Letztlich kontrollieren und kuratieren bei uns Journalist*innen alles, was auf Sendung geht. Und wir zeichnen den KI-Einsatz auch klar aus, mit einem dauernd eingeblendeten Insert am Bildschirmrand – Erstellt mit KI-Unterstützung -“, erklärt der Chefredakteur.

Arbeitshilfe oder Jobfresser?

Werden bei komplett von der KI produzierten Studio-Nachrichtensendungen nicht zumindest Moderator*innen und technische Studiocrews freigestellt? Chefredakteur Devigne verneint das. „Dazu muss man wissen, dass unsere Redaktion sowohl für die Produktion als auch für die Präsentation im Studio zuständig ist. Moderiert wird bei uns also immer von Kolleg*innen aus der Nachrichtenredaktion. Eigene Moderator*innen gibt es nicht und die Kameraleute im Studio haben wir schon lange durch PTZ-Kameras ersetzt. Die KI ersetzt bei uns im Studio also weder Moderator*innen, noch technische Stellen“, sagt er. Normalerweise müsse ein Team von sechs bis acht Kolleg*innen etwa eine Stunde lang bereitstehen, um eine 10minütige Show zu produzieren.

Devigne betont, dass der KI-Einsatz bei Studio 47 nicht dem Einsparen von Personal diene. „Das könnten wir uns angesichts der Arbeitsbelastung auch gar nicht leisten. Es geht uns – weil wir aus wirtschaftlichen Gründen nicht wachsen können – um die sinnvolle Neuorganisation der Arbeit hochqualifizierter Kolleg*innen“, sagt er.

Wie steht die Belegschaft zum KI-Einsatz?

„Wir haben keinen Betriebsrat, aber die KI-Einführung findet in enger Abstimmung mit dem Team statt. Wir sind ja gezwungenermaßen auf die Mitarbeit und den inhaltlichen Input der Kolleg*innen bei der Entwicklung und der Weiterentwicklung der KI angewiesen“, berichtet Devigne, der selbst verdi-Mitglied ist. Auch sei die KI ein wiederkehrendes Thema beim wöchentlichen Jour Fixe mit den Kolleg*innen aus Redaktion und Produktion. „Da fliegen auch mal die Fetzen. Dann aber wegen der Ergonomie der Software. Die grundsätzliche Frage ob KI oder nicht, stellen die Kolleg*innen nicht mehr, denn sie haben den Mehrwert für ihre Arbeit erkannt“, ist sich Chefredakteur Devigne sicher.

Natürlich könne er nicht abschätzen, ob die lizensierenden Medienhäuser nicht doch mit BotCast, ClipSense und NewsHub Stellen wegrationalisieren werden, doch gehe es in der Lokal TV-Szene generell gerade weniger um Stellenabbau und stattdessen eher darum die Teams beisammen zu halten oder sogar aufzustocken, Lizenzauflagen zu erfüllen und Fachkräftemangel und wirtschaftlichen Druck abzufangen.

Als Beispiel nennt er den Lokal-Sender ems TV, der gerade verzweifelt Personal sucht und nicht bekommt. „Ich vermute eher, dass KI für kleine Medienhäuser eine Art ultima ratio und letzter Strohhalm werden kann,“ sagt Devigne.

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