Wäre der Axel-Springer-Konzern ein Mensch, dann hätte das Unternehmen nun seine Verwandlung in einen Cyborg angekündigt. Anders kann man die bekannt gegebene globale Partnerschaft mit OpenAI eigentlich kaum beschreiben. Das Medienhaus vollzieht mit der Zusammenarbeit den nächsten konsequenten Schritt hin zu einem Digitalkonzern, bei dem menschlich und künstlich erzeugte Inhalte untrennbar miteinander verschmelzen mit dem Ziel, Rendite zu machen und zu vergrößern.
Meinung
Konkret heißt das: ChatGPT-Nutzenden sollen weltweit Zusammenfassungen ausgewählter Nachrichteninhalte von Axel Springers Medienmarken erhalten, zum Beispiel von Politico, Business Insider, aber auch Bild und Welt. Mal davon abgesehen, dass “Nutzungserlebnis” wie ein billiger Werbetext für ein günstiges Wellnessprodukt klingt, dürften viele andere Medienhäuser wahrscheinlich neidisch werden, denn angesichts der explodierenden Nutzerzahlen von ChatGPT könnte dieser Deal die Reichweite der Springer-Titel stark steigern. Bemerkenswert ist aber noch ein weiterer Satz aus der Pressemitteilung: “Außerdem vergütet die Partnerschaft die Rolle Axel Springers bei der Mitwirkung an den Produkten von OpenAI. Dies stellt einen bedeutenden Schritt im Engagement beider Unternehmen dar, KI zur Verbesserung von Content-Angeboten zu nutzen und neue finanzielle Möglichkeiten für eine nachhaltige Zukunft des Journalismus zu schaffen.”
Trainingsdaten kommen von Springer
Lesen wir das richtig – “vergütet”? Die Pläne sehen tatsächlich auch die Nutzung von Inhalten der Medienmarken von Axel Springer vor, um das Training von OpenAIs Sprachmodellen voranzutreiben. Und das offensichtlich nicht kostenfrei oder gegen Klicks, sondern auch gegen Zahlung von Geld.
Seit vielen Monaten verhandeln Verleger mit KI-Unternehmen darüber, zu welchen Konditionen eine solche Nutzung erfolgen darf. Dass nun ein Deal steht, ist bemerkenswert. Erst recht, wenn man die vergangenen Kämpfe um das sogenannte Leistungsschutzrecht betrachtet: Mit Google hatten die Verlegerverbände jahrelang erbittert darüber gestritten, wie umfangreich kostenlose Suchmaschinen-Auszüge sein dürfen. Die jetzige Kooperation mit OpenAI ist daher so etwas wie eine neue Stufe der Evolution. Und der Deal zwischen dem Springer-Konzern und dem ChatGPT-Betreiber soll laut Süddeutscher Zeitung auch kostenpflichtige Inhalte einbeziehen. Man darf gespannt sein, wie sich dann der Zugriff auf Abo-Inhalte bei ChatGPT darstellt. Springer hat hier Vorteile. Einige Teile seiner Publikationen sind frei verfügbar. Das ist ein Wettbewerbsvorteil, und sogar einer, der angesichts des Deals mittelfristig dazu führen könnte, dass wieder mehr Verlage in Sachen Bezahlschranke unter Druck geraten. Wenn man doch journalistische Inhalte, die sonst Geld kosten, mit dem Umweg über ChatGPT gratis oder zum Abopreis der KI bekommt.
Wer profitiert?
Andererseits hat die EU mit dem AI-Act kostenlosem Data-Mininig gerade einen Riegel vorgeschoben. KI-Entwickler müssen daher neue Wege finden, ihre Anwendungen mit Content zu füttern. Dass sie bereit sind, dies mit Verlagen zu tun und dafür Geld zu zahlen, ist im Grunde eine gute Nachricht. Allerdings kommt es nun darauf an, dass alle Rechteinhaber beteiligt werden – also auch die Autorinnen und Autoren. Hier werden auch wir Gewerkschaften gefordert sein.
Mit Blick auf die letzten Entwicklungen im Hause Springer sind wir das aber ohnehin. Denn in den vergangenen Monaten hatte der Konzern ohne wirtschaftliche Not nicht nur seinen Druckstandort in Ahrensburg bei Hamburg geschlossen, gut 100 Mitarbeitende waren betroffen, auch in einigen Redaktionen wurden Stellen gestrichen, darunter auch bei BILD.
Ver.di hatte diese Maßnahmen zu Recht kritisiert. Und weil das Management zuletzt immer wieder auf Kahlschlag und Abriss eines qualitativ hochwertigen Journalismus gesetzt hatte, nur wegen hoher Gewinnerwartungen, ist der Open-AI-Deal letztlich mit Sorge zu beobachten. Axel Springer soll ein rein digitales Medienhaus werden, heißt es vom Konzern. So weit okay. Dass Konzernlenker Mathias Döpfner aber ankündigt, “die Möglichkeiten des durch KI gestärkten Journalismus ausloten – um Qualität, gesellschaftliche Relevanz und das Geschäftsmodell für Journalismus auf die nächste Stufe zu heben” klingt eher wie eine Drohung als ein Versprechen. Hatte ja zuletzt der Weg hin zu von Döpfner so genannten “Journalismus-Kreation” vor allem Stellenabbau und Kürzungen bedeutet.
Es braucht daher ein klares Bekenntnis zu journalistischen Werten und im Grunde für das KI-Zeitalter ein ethisches Kontrollgremium. Vielleicht ist das der Presserat, der immerhin vor wenigen Tagen ein Medienhaus erstmals wegen eines ethischen Verstoß bei der Nutzung von KI gerügt hat.