Klar verfassungswidrig

Für das Sozialgericht Koblenz ist die rück­wirkende Abschaffung der freiwilligen Arbeitslosenversicherung für langjährig Selbständige klar verfassungswidrig. Sein Beschluss vom Januar, das Thema dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, ist ein wichtiger Etappensieg. Er kürzt einen langen Instanzenweg ab: Je später in der Sache entschieden wird, desto höher ist das Risiko, eine Beitragspflicht ohne Ansprüche bei Arbeits­losigkeit zu erstreiten. Schließlich ist die Versicherungsmöglichkeit bis zum Jahr 2010 befristet.


Freuen können sich über den Koblenzer Beschluss vor allem jene Selbstständige, die 2006 die Versicherung beantragten und dem Ablehnungsbescheid widersprachen. Ihnen bleibt die Chance auf den Versicherungsbeitritt. Freuen können sich aber auch alle, die sich zwar nicht gegen Erwerbslosigkeit versichern wollen oder können, aber eine Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik nach Tageslage kritisch sehen. Im Gerichtsbeschluss wird nicht nur die ver.di-Haltung in der Sache bestätigt, sondern auch das Lavieren der Politik deutlich kritisiert. Die Selbstständigen dürften darauf vertrauen, dass der Gesetzgeber seine Konzepte durchdacht hat und eigene Gesetze ernst nimmt, zitieren die Richter bisherige Urteile des Verfassungsgerichts und stellen fest: „Vom Gesetzgeber war eindeutig die Anwendung der Vorschrift auch für diesen Personenkreis gewollt.“
Diese klare Feststellung verweist auf das eigentliche Problem: Gewollt hat der Gesetzgeber die Versicherungsmöglichkeit Ende 2003, als er sie mit „Hartz III“ eröffnete, gewollt hat er sie noch im Februar 2006, als sie in Kraft trat – um nur vier Monate später in Panik auszubrechen. Die daraus geborenen absurden Argumente, weshalb das Gesetz im Geheimverfahren und rück­wirkend umzuschreiben sei, kommentiert das Gericht erfrischend eindeutig: „Unfreiwillig komisch oder bewusst verschleiernd formuliert. In Wirklichkeit ging es darum, die Möglichkeit zu nehmen, von dem Angebot Gebrauch zu machen. Dies hat mit Rechtssicherheit nichts zu tun.“ Eine tragfähige Argumentation sei der Gesetzesbegründung „nicht ansatzweise“ zu entnehmen.
Die Politik der Koalitionäre legt daher die Erkenntnis nahe: Sie schrecken selbst vor Verfassungsbruch nicht zurück, wenn sie trotz erdrückender parlamentarischer Mehrheit weder den Mut noch Konzepte finden, auf den Wandel der Arbeitswelt sowie verschärfte soziale und ökonomische Konflikte verantwortlich zu reagieren. Statt, wie ver.di-Vize Frank Werneke fordert, „Veränderungen durch den Ausbau sozialer Sicherung insbesondere für allein arbeitende Selbstständige zu flankieren“, wird laviert und gemurkst. – Das Thema wird ein Schwerpunkt der ver.di-Selbstständigenarbeit bleiben müssen. Etappensiege helfen, hierbei die Hoffnung nicht zu verlieren.

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