Aus dem ersten Kongress „Zukunft deutscher Film“ sind 2018 die „Frankfurter Positionen“ hervorgegangen. Sie lösten eine Debatte um den Stillstand und mögliche Neuerungen in der deutschen Filmpolitik und –kultur aus. Das „Lichter Filmfest“ in Frankfurt am Main versammelte die Branche vom 11. bis 13. Mai zum zweiten Kongress, diesmal mit Fokus auf europäische Perspektiven in der Filmförderung und Kinokultur. Ein von der „HessenFilm und Medien GmbH“ veranstaltetes Panel soll ein vernachlässigtes Thema ins Bewusstsein der Filmschaffenden rücken: „Klassismus in der deutschen Filmbranche“.
In seiner Einführung zum Panel formulierte Nenad Čupić, systemischer Coach für diversitätsorientierte Organisationsentwicklung, zehn Aussagen zur sozialen Herkunft und Position der Zuhörenden. Er bat sie aufzustehen, falls die Angaben für sie zuträfen. Bei „Ich habe Eigentum geerbt oder werde es erben“ und „Meine Eltern haben einen Fachhochschul- oder Universitätsabschluss“ lärmten die Klappsitze kräftig in dem prall gefüllten Saal. Auch weitere Aussagen zur Herkunft der anwesenden Filmschaffenden verdeutlichten, dass vor allem Privilegierte aus dem Bildungsbürgertum und der Mittelklasse Zugang zur Branche finden. Dass es an Diversität in der deutschen Filmlandschaft vor und hinter der Kamera mangelt, ist seit Jahren ein Dauerthema. Dank der Initiative „ProQuote Film“ und etwa der Berücksichtigung einer Diversity-Checklist geloben einige Filmförderungen Besserung. Die Diskriminierung von Kunst- und Kulturschaffenden aufgrund der sozialen Herkunft und der sozialen wie ökonomischen Position, Klassismus genannt, hat erstaunlicherweise kaum Einzug in den Diversitätsdebatte gehalten. Warum? Deutschland gibt sich gerne als ein Land, in dem die Klasse unsichtbar ist und die Chancen auf Bildung und Wohlstand für alle gleich sind. In Südeuropa, Frankreich und Großbritannien wird dagegen bis heute ein ausgeprägtes Klassenbewusstsein gepflegt. Eine Möglichkeit, um sichtbarer für das Menschenrecht auf Bildung, Arbeit und eine gerechte Bezahlung zu kämpfen.
Oft gleich mehrfach diskriminiert
Nun riefen die Teilnehmenden des Panels nicht unbedingt zum Klassenkampf auf. Es ging erst einmal darum, das Publikum beispielhaft aufzuklären, wie schwierig es ist, beruflich in der Filmbranche nachhaltig Fuß zu fassen. Die Zeiten scheinen vorbei zu sein, als man es vom aus prekären Verhältnissen stammenden Kabelträger bis zum Regisseur brachte. Dies musste auch Biene Pilavci erfahren: Die gelernte Einzelhandelskauffrau wollte unbedingt an die Filmhochschule, um Regisseurin zu werden. Auch wenn hierfür kein Abitur erforderlich ist, stieß sie bei ihren Bewerbungen auf Ablehnung und musste konstatieren, dass sie als Frau mit Migrationsgeschichte und aus der Armutsklasse stammend mehrfach diskriminiert wurde. Als sie nach diversen Praktika auf dem Filmset 2005 endlich einen Studienplatz an der DFFB ergatterte, stieß man sich an ihrem ganz und gar nicht bildungsbürgerlichen Habitus. „Frau Pilavci, Sie sind nicht besonders nett. Ich antwortete: Wenn ich nett gewesen wäre, hätte ich es nicht hierhin geschafft!“, berichtete die Filmemacherin. Auch wenn es ihr gelang, zwei lange Kino-Dokumentarfilme zu realisieren, wurde sie „vom Markt aussortiert“. Ihre Treatments fanden in den Redaktionen keinen Gefallen. Pilavci vermutete, das ihre sozioökonomische Herkunft dabei eine Rolle gespielt habe: „Die hat bestimmt eine traumatische Biographie und kann nicht mit dem Budget umgehen.“ Pilavci arbeitet heute vor allem als Editorin und Autorin.
Zu homogen besetzte Redaktionen
Dem Regisseur und Produzenten Çağdaş Eren Yüksel gelang es mit Webserien wie „RendezWho“ (2018, WDR), mehr als drei Millionen junge Zuschauer*innen mit Themen rund um Rassismus, Sexismus und Diskriminierung zu erreichen. Mit „Nuancen“ (2022) ist aktuell seine erste fiktionale Serie aus der Perspektive von Alltagsrassismus betroffener Menschen in Entwicklung. Er habe dank eines Mentors Glück gehabt mit seinen Themen, so Yüksel. Kolleg*innen mit ähnlichen Projekten stießen in den Redaktionen allerdings meist auf taube Ohren – mit dem Argument, hierfür gäbe es keine Zielgruppen. Dies liege vor allem daran, dass die Redaktionen immer noch zu homogen besetzt wären. Yüksel unterstrich, dass bei den Gatekeepern oft derjenige gewinnt, der immer noch Klischees über die diskriminierten Gruppen bediene.
„Ich bin aber mehr wert!“
Doch was kann man tun gegen den Klassismus in der deutschen Filmbranche? Biene Pilavci ist Teil des politischen Filmnetzwerks Neue Deutsche Filmemacher*innen und ruft dazu auf: „Bildet noch mehr Banden!“ Çağdaş Eren Yüksel meint, es sei zurzeit für Filmemacher*innen einfacher Forderungen zu stellen, denn in den Redaktionen würden sich immer mehr Türen öffnen. Und man sollte sich trauen, für erste Projekte über Crowdfunding Umwege zu gehen. Anja Willman von der ver.di FilmUnion betonte, dass es eine Kernaufgabe der Gewerkschaften sei, Menschen aus prekären Beschäftigungsverhältnissen herauszuholen. Umso mehr Filmschaffende sich gewerkschaftlich organisieren, desto stärker könne ver.di die Interessen von Kunst- und Kulturschaffenden vertreten. Es ginge nicht nur um höhere Gagen und bessere Arbeitsbedingungen. Willmann stellte fest, dass gerade von Klassismus Betroffene mit den bis zu 30seitigen Verträgen überfordert wären. Hier bietet ver.di Beratung an. Bei dem derzeitigen Fachkräftemangel wäre es außerdem wichtig, bei Vertragsabschlüssen fordernder aufzutreten und zu sagen: „Ich bin aber mehr wert!“