Journalisten müssen dazu lernen, aber auch Aufgaben abgeben
Die Digitalisierung der Medienproduktion hat das journalistische Berufsbild grundlegend verändert. Neben die Produktion von Beiträgen für die klassischen Print- und elektronischen Medien tritt die Herstellung von Content für die Online-Medien. Diesen wachsenden Markt müssen sich Journalisten mit Vertretern von Berufen teilen, die weniger über publizistische als über Online-Kompetenzen im weitesten Sinne verfügen.
Dr. Lutz P. Michel, Inhaber des MMB-Instituts für Medien- und Kompetenzforschung Essen/ Berlin, hat im Auftrag des Bundesinstituts für Berufsbildung und des Bundesbildungsministeriums den „Strukturwandel in Medienberufen – Neue Profile in der Content-Produktion“ untersucht. Wichtige Ergebnisse der vor kurzem abgeschlossenen Studie stellte der Soziologe, Kommunikationswissenschaftler auf dem Journalistentag vor.
M | Was war der Anlass für die Untersuchung?
LUTZ MICHEL | Vor allem sollte ausgelotet werden, ob durch die Veränderungen in der Medientechnik und in den Abläufen neue Berufsrollen entstehen, die man entsprechend regeln müsste – sei es, dass man dafür ein neues Berufsbild schafft oder die Weiterbildung modifiziert. Auch wenn der Begriff „Regelung“ für viele zunächst abschreckend klingt: Im Kern geht es dabei um den Schutz der Beschäftigten. Sie gewinnen dadurch an Sicherheit, dass das, was sie gelernt haben und ausüben, auch offiziell zum Beruf wird – mit entsprechender Bezahlung und Einstufung im Falle der Arbeitslosigkeit.
M | Auf welche Untersuchungsinstrumente stützt sich die Studie?
MICHEL | Den Kern bildeten Fallstudien und Expertengespräche. Dabei hatten wir einen breiten Blick auf das gesamte Content-Geschäft. Der Journalismus war für uns ein Sonderfall, mit dem wir besonders sensibel umgegangen sind. Wir haben also an den verschiedensten Arbeitsplätzen mit Content-Produzenten gesprochen: was sie tun, an welcher Stelle sie im Prozess stehen, ob und wem gegenüber sie Weisungsbefugnis besitzen. Im Idealfall konnten wir den ganzen Prozess durchlaufen. Wir haben mit über 120 Akteuren in Unternehmen geredet, Betriebs- oder Personalräte kamen ebenfalls zu Wort, weil wir auch die Beschäftigtenseite erfassen wollten.
M | Worin unterscheiden sich Journalisten von Content-Produzenten?
MICHEL | Content-Produzenten definieren wir als Menschen, die professionell Inhalte herstellen, die für die massenmediale Verbreitung geeignet sind. Dabei ist es uns auf dieser Ebene egal, ob es um Öffentlichkeitsarbeit, um die interne Kommunikation eines Unternehmens oder um journalistisch-publizistische Aufgaben geht. Von unserem Ansatz her ist der Journalist ein spezieller Unterfall des Content-Produzenten. Seine Arbeit unterliegt besonderen – auch rechtlichen und ethischen – Auflagen, die Andere nicht erfüllen müssen.
M | Ist der klassische Journalist vom Aussterben bedroht?
MICHEL | Journalisten und sonstige Content-Produzenten werden beide ihre Spielfelder behalten. Nur sehen wir, dass der Journalist immer häufiger auch die Aufgaben der anderen Content-Produzenten übernehmen muss. Allerdings ist zu befürchten, dass die Spielerinnen und Spieler aus dem Feld der nicht journalistisch qualifizierten Content-Produzenten mehr und mehr auch auf das journalistische Spielfeld drängen. Sie besitzen wichtige technische, grafische und Web 2.0-Kompetenzen und erledigen journalistische Aufgaben einfach mit. Häufiger ist derzeit aber der umgekehrte Fall, Journalisten übernehmen die Aufgaben von Grafikern, Technikern und Kaufleuten.
M | Was bedeutet das für die Leute mit den journalistischen Kompetenzen?
MICHEL | Sie werden sich nur dann auf dem Markt behaupten können, wenn sie die anderen Kompetenzen mit dazu lernen. Natürlich wird es einige wenige Medien geben, in denen sie darauf verzichten können. Vielleicht können auch die Edelfedern noch bis zum Ende ihres Berufslebens wie bisher weiter machen. Aber das Gros der Menschen, die heute informieren, Nachrichten verfassen oder in Lokalzeitungen arbeiten, wird nicht daran vorbei kommen, sich hier fit zu machen.
M | Welche Zukunftsvisionen ergeben sich aus Ihrer Studie?
MICHEL | Wir haben drei Szenarien entwickelt. Bei dem ersten handelt es sich um „Journalismus ohne Journalisten“. In diesem Fall ist zu befürchten, dass hoch qualifizierte Leute, die gut bloggen können, die eine Community managen können, das Journalistische nebenbei mit übernehmen. In unserem zweiten Szenario „Journalisten ohne Journalismus“ kommen diese kaum noch dazu, ihr eigentliches Handwerk zu tun. Nämlich zu recherchieren, zu schreiben, zu redigieren. Das würde dazu führen, dass zwar weiterhin überall Journalisten sitzen, sie aber dort nur noch Content-Management betreiben. Im dritten Szenario erhalten Journalisten eine Assistenz, dafür verzichten sie auf ihren Allzuständigkeitsanspruch. Verständlicherweise wird das Manchem schwer fallen: Wer in der Lage ist und wem es nicht zuwider ist, zu bloggen oder ein schönes Video zu produzieren, gibt das vielleicht nur ungern ab. Aber wer den journalistischen Beruf ernsthaft ausüben will, wird Aufgaben abgeben müssen. Ich bevorzuge dieses dritte Szenario und hoffe, dass die Entwicklung dahin gehen wird.
M | Wie können sich Journalisten auf die neuen Anforderungen einstellen?
MICHEL | Ein Problem sehe ich in einer gewissen Weiterbildungsmüdigkeit, die in diesem Berufsstand verbreitet ist. Das müsste bearbeitet werden – etwa durch attraktive und bezahlbare Angebote im Bereich des Online-Journalismus. Auch müssten Journalisten die Bedürfnisse und Erwartungen ihrer Leser, Zuschauer und Hörer noch besser kennen lernen.