Kritische Quelle

Die „Financial Times Deutschland“ bezeichnete Whistleblowing erst kürzlich in einer Titelzeile als „Petzen“. Einen positiv besetzten Begriff gibt es in der deutschen Sprache nicht – Menschen mit Zivilcourage sind Nestbeschmutzer, Verräter, Verleumder, Denunzianten, Dissidenten oder Deserteure.

Dabei sind Whistleblower, wie Studien feststellten, meist besonders loyale Mitarbeiter. Sie sind Menschen, die Alarm schlagen. Ohne sie wüssten wir weniger über Vetternwirtschaft bei der Weltbank, über den Folterskandal in Abu Ghraib, Korruption in der EU-Komission, über Gammelfleisch, BSE oder Risiken der Gentechnik.
Oft nehmen Whistleblower hohe persönliche Risiken auf sich, zum Beispiel den Verlust des Arbeitsplatzes. Der Gang an die Öffentlichkeit ist für sie der letzte Ausweg, oftmals sogar die letzte Eskalationsstufe. Meist haben sie lange Zeit intern versucht, einen Missstand anzusprechen. Erst wenn sie den Eindruck haben, dass ihre Vorgesetzten an der Aufklärung kein Interesse haben, wagen sie den Schritt nach draußen. Sie wenden sich an Journalisten, werden zur notwendigen Quelle für eine kritische Berichterstattung. Mit Petzen hat das wenig zu tun. Im Gegenteil! Beide verfolgen das gleiche Ziel: Die Öffentlichkeit über Missstände zu informieren. Allerdings müssen Journalisten ihre Quellen absichern – Whistleblower wollen das persönliche Risiko minimieren. Für Journalisten oftmals eine Gratwanderung zwischen Informationsgewinnung und Informantenschutz. Sie brauchen daher eine Art Werkzeugkasten mit Rechten, Pflichten und technischen Datenschutzmöglichkeiten.
Journalisten sind nicht generell verpflichtet, ihre Informanten zu schützen, entscheiden sich aber in der Regel dafür. Das ist zweifellos vertrauensbildend. Sie bietet aber nicht immer den erwünschten Schutz, weil Whistleblower oftmals wegen ihrer Kritik intern bereits bekannt sind. Ideal wäre es, wenn ein Whistleblower den ersten Anstoß gibt und der Journalist mit weiteren Recherchen den Sachverhalt so gut absichert, dass er den Whistleblower als Kronzeuge nicht mehr benötigt. Whistleblower können Versuche von Journalisten, ihre Glaubwürdigkeit zu überprüfen, auch als Vertrauensmissbrauch deuten. Für Vertrauen sorgt dagegen, mit Whistleblowern klare und sichere Kommunikationsregeln zu vereinbaren. Letztlich muss ein kultureller Wandel Whistleblowing in der Gesellschaft zu mehr Akzeptanz verhelfen. Journalisten als Vermittler von Öffentlichkeit sind daher in einer besonderen Verantwortung.

Weitere aktuelle Beiträge

„Das Arbeitsklima ist extrem hart“

In der Nahaufnahme für das Jahr 2025 beschäftigt sich Reporter ohne Grenzen (RSF) unter anderem mit der deutschen Berichterstattung zum Gaza-Krieg nach dem Überfall der Hamas auf Israel. Von der Organisation befragte Journalist*innen sprechen über massiven Druck, Selbstzensur und erodierende journalistische Standards. Ein Interview mit Katharina Weiß, Referentin bei Reporter ohne Grenzen Deutschland.
mehr »

Weniger Demokratie wagen

Mit dem Slogan „Medienvielfalt stärken – Meinungsfreiheit sichern“ ist die Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD angetreten.  Keine Koalitionsvereinbarung ohne Bekenntnis zur „flächendeckenden Versorgung mit journalistischen Angeboten“. Aber halt: Hieß es nicht bei der Ampel (und der letzten Merkel-Regierung!) noch „flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen“?
mehr »

AfD-Einstufung zwingt Rundfunkgremien zum Handeln

Das zunächst unter Verschluss gehaltene Gutachten des Verfassungsschutzes, welches zur Einstufung der Partei Alternative für Deutschland (AfD) als „gesichert rechtsextremistische Partei“ führte, wurde nunmehr durch Medien veröffentlicht. Innenminister Dobrindt ließ zunächst offen, inwiefern juristische Schritte gegen die Veröffentlichung geplant seien. Christoph Schmitz-Dethlefsen, für Medien zuständiges Mitglied im Bundesvorstand von ver.di, begrüßt, dass nun öffentlich über das Zustandekommen der Einstufung diskutiert werden kann.
mehr »

Journalismus unter populistischem Druck

Journalismus steht unter Druck. Das machte auch die Würdigung von Maria Kalesnikawa mit dem „Günter-Wallraff-Preis für Pressefreiheit und Menschenrechte“ deutlich. Dieser wurde im Rahmen des „Kölner Forum für Journalismuskritik“ an sie verliehen. Klar wird auch hier: die Branche hadert generell mit ihrer Identität.
mehr »