Kulturproblem Mathias Döpfner

Tina Groll, Vorsitzende des dju-Bundesvorstandes in ver.di
Foto: Kay Herschelmann

Meinung

Die neuen Veröffentlichungen im Fall um den Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt und das Verhalten des Konzerns Axel Springer lassen tief blicken: Laut der britischen „Financial Times“ wusste die Konzernspitze bereits mehr und auch viel früher als bisher bekannt über die Vorwürfe gegen Reichelt Bescheid. Zudem soll der Konzern das Ergebnis der Compliance-Untersuchung bewusst einseitig dargestellt haben, um an dem damaligen Chefredakteur festzuhalten.

Die von Springer eingesetzte Kanzlei Freshfield habe in ihren Untersuchungen im Frühjahr 2021 ein schwerwiegendes Fehlverhalten von Reichelt festgestellt, berichtet die „FT“. Dennoch sagte Springer-Vorstand Mathias Döpfner noch im Oktober, als er in einer Videobotschaft an die Mitarbeitenden dann doch die Trennung von Reichelt  erklärte, das Compliance-Verfahren habe nur zu einem „zwiespältigen Untersuchungsergebnis” geführt. Den neuesten Enthüllungen zufolge hätte der Konzern sich jedoch schon im Frühjahr 2021 Konsequenzen ziehen und sich von Reichelt trennen müssen. Stattdessen bekam dieser zunächst eine zweite Chance und eine Co-Chefin an die Seite gestellt.

So kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, Springer sei eben doch ein Medienkonzern, der lieber toleriert, dass eine hochrangige Führungskraft wiederholt über Jahre seine Macht missbraucht, der so ein Fehlverhalten herunterspielt und verharmlost. Döpfner hatte in dem Fall stets betont, der Konzern habe kein Kulturproblem. Die nun bekannt gewordenen Recherchen zeigen aber das Gegenteil: Springer hat ein Kulturproblem – und zwar ganz oben. Es heißt Mathias Döpfner. Denn er ist als Vorstandsvorsitzender die Person, die den Skandal managen sollte – und die stattdessen offenbar alles tut, um eine vollständige Aufklärung und Veränderung zu verhindern.

Dazu gehört, dass erst im Herbst 2021 weitere Recherchen der „New York Times“ und des Investigativ-Teams der Ippen-Mediengruppe zur Trennung von Reichelt und Springer führten. Und dass Döpfner auch dann noch an dem Narrativ festhielt, dass Reichelt lediglich Opfer eigner privater Verfehlungen gewesen sei. Oder dass er Springer-Beschäftigte im Hintergrund die indirekte Schuld gab, “die erkennbar das Vorgehen organisierten”, so der Manager in seiner Videoansprache damals. Es sei darum gegangen, “Reichelt wegzubekommen, so Döpfner. “Es wurde ein drohender, teilweise erpresserischer Tonfall” angeschlagen.

Drohend, teilweise erpresserisch – das könnte auch auf Döpfners Handeln in dem Fall selbst zutreffen. Denn laut Recherchen der „FT“ soll Döpfner eine Kanzlei engagiert haben. Sie sollte gegen mehrere Personen ermitteln, die hinter den Vorwürfen gegen Reichelt standen. Der Ex-Bild-Chefredakteur soll sogar eine Namensliste der Personen erstellt haben, die von der Kanzlei ausgeforscht werden sollten. Wollte Döpfner mit einem Gegenangriff seinen umstrittenen Chefredakteur halten? Und überhaupt: Sofern dieser Vorwurf stimmt, legt dies – wieder einmal – ein äußert fragwürdiges Rechts- und Demokratieverständnis des Springer-Vorstands offen. Schon im Oktober hatte die bekannt gewordene SMS von Döpfner an den Literaten Benjamin von Stuckrad-Barre, in der Döpfner die Bundesrepublik wegen der Corona-Maßnahmen als „neuen DDR-Obrigkeitsstaat“ bezeichnete, erhebliche Irritationen ausgelöst.

Wenn es stimmt, dass Döpfner auch Mitarbeitende durch Kanzleien ausforschen ließ oder lassen wollte – wohlbemerkt Mitarbeitende, die auf Missstände hinwiesen, also Whistleblower sind – dann ist das ein weiteres Zeichen für ein verqueres Rechts- und Demokratieverständnis.

Und es wird noch absurder, denn laut den FT-Recherchen soll es nicht bei Springer-Beschäftigten geblieben sein: Auf der Namensliste sollen auch zwei Satiriker gestanden haben, die früh über die Vorwürfe gegen Reichelt öffentlich gesprochen hatten. Das wäre eine heftige Grenzüberschreitung.  – Apropos Grenzüberschreitung: Als solche bezeichnete Döpfner es, dass seine SMS an Stuckrad-Barre öffentlich wurde. Aber anders als der Auftrag, externe Dritte auszuspionieren, sind undemokratische Geschichtsvergleiche der aktuellen Politik mit einem autoritären Staat, wenn diese vom Vorsitzenden eines der größten Medienkonzerne gemacht werden, tatsächlich von öffentlichem Interesse. Unter anderem auch, weil Döpfner Vorsitzender des Bundesverbandes Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) ist und somit im Journalismus ein herausragendes Amt bekleidet.

„Das ist alles sehr schlimm”, sagte Mathias Döpfner in seiner Videobotschaft im Oktober noch. Nun zeigt sich, es ist sogar noch schlimmer. Denn als Vorstandsvorsitzender des Springer-Konzerns ist Mathias Döpfner spätestens durch die neuen Enthüllungen untragbar geworden. Sollten die Vorwürfe zutreffen, müsste das Medienunternehmen handeln. Und auch der BDZV sollte sich von Döpfner distanzieren.


Und weiter geht es am 10.2.2022: „FT“ benennt Zielpersonen der Springer „Gegen-Ermittlung“ | MEEDIA

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