Lawfare gegen freie Journalisten

Am 7. März 2020 hielt die „Identitäre Bewegung“ eine Kundgebung vor der griechischen Botschaft in Wien ab, in deren Vorfeld es zu Auseinandersetzungen zwischen Identitären und antifaschistischen Gegendemonstrant*innen gekommen war
Bild: Michael Bonvalot

Der englischsprachige Begriff „lawfare“ ist ein Wortspiel aus „Recht“ und „Kriegsführung“. Gemeint ist eine Methode, um Journalist*innen mittels kostspieliger Strafverfahren mundtot zu machen. In Österreich ist der auf Entwicklungen in der rechtsextremen Szene spezialisierte Wiener Journalist Michael Bonvalot davon betroffen. Martin Sellner, Chef der neofaschistischen „Identitäre Bewegung“, droht nun, ihn zu verklagen. Das könnte ihn zehntausende Euro kosten. Deshalb setzt er auf die Solidarität seiner Leser*innen.

Michael Bonvalot ist im österreichischen Journalismus kein Unbekannter. Seine Arbeiten werden unter anderem vom ORF veröffentlicht. Angefangen haben Bonvalots aktuelle Probleme am 7. März 2020, als die „Identitäre Bewegung“ eine Kundgebung vor der griechischen Botschaft in Wien abhielt. Vor deren Beginn kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Identitären und antifaschistischen Gegendemonstrant*innen bei einer Veranstaltung der Sozialistischen Jugend (SJ). Dabei soll unter anderem ein Infotisch der SJ vom Anführer der Identitären, Martin Sellner, abgeräumt worden sein, wie Augenzeug*innen berichteten. Ein Anderer setzte am Rande der SJ-Kundgebung Pfefferspray ein. Zudem verhaftete die Polizei einen weiteren bekannten Aktivisten der neofaschistischen Gruppe, der ein Klappmesser mit sich führte.

Bonvalot berichtete live auf dem Kurznachrichtendienst Twitter über das Geschehen. Dabei sprach er zunächst von einem „Angriff“ der Identitären auf die linke Kundgebung. Später ergänzte Bonvalot dies in einem weiteren Tweet mit dem Zusatz, dass es zuvor eine Auseinandersetzung zwischen Identitären und Antifaschist*innen gegeben habe.

Identitären-Chef Sellner stößt sich nun an dem Begriff „Angriff“. Deshalb fordert er in einem an Bonvalot adressierten anwaltlichen Schreiben eine Widerrufserklärung sowie eine Spende von 2.000 Euro an einen zur „Identitären Bewegung“ gehörenden Verein. Dies würde er gegebenenfalls gerichtlich einklagen. „Andere Medien haben ähnlich berichtet wie ich“, sagt Bonvalot. „Er greift aber stellvertretend mich an. Im Gegensatz zu großen Medienunternehmen habe ich als freier Journalist keine Rechtsschutzversicherung. Ich kriege auch keine.“

Daneben geht der Identitären-Führer auch über soziale Netzwerke auf Bonvalot los: „Sellner hat parallel zur Klageandrohung ein Video über mich veröffentlicht, das allein über Telegram bereits zehntausende Views hat. Er unterstellt mir darin, dass meine Fotos dazu dienen würden, Personen zur Zielscheibe linksterroristischer Angriffe zu machen. Damit präsentiert er mich der rechten Meute. Und davon kann dann natürlich auch eine körperliche Gefahr ausgehen“, so der Journalist.

Bonvalot schätzt sich glücklich, mit Maria Windhager eine erfahrene und medienrechtlich versierte Anwältin an seiner Seite zu haben. „Mir ist aber bewusst, dass längst nicht alle Betroffenen so schnell auf gute anwaltliche Betreuung zurückgreifen können“, sagt er. Doch die finanzielle Belastung ist groß. Falls der Fall vor Gericht geht, könnten laut Bonvalot Kosten in Höhe von zehntausenden Euro entstehen. Dafür sammelt er nun Spenden: „Die Kampagne läuft gut, es gab bereits sehr viel Solidarität“. Was für Bonvalot klar ist: „Ein Vergleich, wo ich freiwillig an einen neofaschistischen Verein spende, kommt nicht in Frage. Da lasse ich es auf jeden Fall auf einen Prozess ankommen.“

Doch Bonvalot blickt auch über den eigenen Tellerrand hinaus: „Freie Journalist*innen brauchen dringend einen Rechtsschutz. Sehr wesentlich wäre, wenn es eine von den Gewerkschaften und den journalistischen Interessenorganisationen aufgebaute Rechtsschutzversicherung gäbe.“ Es müsse „möglich sein, über die als sehr klagfreudig bekannte extreme Rechte zu schreiben, ohne in der finanziellen Existenz bedroht zu sein. Denn sonst werden Journalist*innen sich zweimal überlegen, ob sie solche Recherchen weiter durchführen – und das wäre höchst problematisch.“ Tatsächlich bietet die Journalist*innen-Gewerkschaft GPA-djp freien Journalist*innen nur dann einen Rechtsschutz an, wenn es sich um Rechtsstreitigkeiten handelt, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausübung der Erwerbstätigkeit stehen. Das teilte die Gewerkschaft auf Nachfrage mit. Rechtliche Auseinandersetzungen mit politischem Hintergrund, wie hier beschrieben, fallen nicht darunter.

Dabei ist Michael Bonvalot kein Einzelfall. Anfang September sorgte in Österreich der Fall der unabhängigen feministischen Podcasterin Beatrice Frasl für Furore. Frasl hatte in einem Beitrag den mit der Wiener Sozialdemokratie eng verbundenen Sozialwissenschaftler Bernhard Heinzlmaier für dessen sexistische Aussagen kritisiert. Der drohte mit Klage und zwang Frasl so zur Veröffentlichung einer Widerrufserklärung auf Twitter. Auch für Frasl läuft derzeit eine Solidaritätskampagne, um juristische Kosten decken zu können.

Die österreichische Journalist*innen-Vereinigung „Presseclub Concordia“ beobachtet solche Fälle zunehmend. „Lawfare-Methoden nehmen auch in Österreich zu, wenn auch noch nicht in einem solchen Ausmaß wie in Deutschland“, sagt Vorstandsmitglied Daniela Kraus. „Vor allem freie Journalist*innen gehören viel besser geschützt. Wir sind derzeit an der Erarbeitung von Konzepten, etwa für einen Rechtshilfefonds. Das ist aber noch in der Entwicklungsphase.“


Kontodaten für Spenden an Michael Bonvalot: https://www.bonvalot.net/support/

Spendenkampagne für Beatrice Frasl: https://www.paypal.com/pools/c/8sbIJs2raK

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