Lediglich ein Sekundärthema

Schattenexistenz von Migranten in den Medien wenig beachtet und stigmatisiert

Vor der Frankfurter Paulskirche, dem Ort, an dem 1848 demokratische Bürgerrechte proklamiert wurden, kletterten Demonstranten auf eine Leiter. Sie beklebten großflächig die Tür mit jenen blaurotkarierten Billigtaschen, in denen Migranten ohne Zuhause häufig ihre ganze Habe mit sich herumtragen. Ein Pulk von Menschen hatte sich um diese symbolische Besetzung der Paulskirche versammelt.

Unter der buntbeklebten Vorderfront des ehrwürdigen Gebäudes beschrieb ein illegalisiert in Frankfurt lebender Mann seinen Alltag. Immer mal wieder sei er kurzzeitig festgenommen worden. Und immer mal wieder habe er sich auf Suche nach einem jener mies bezahlten Jobs begeben, die sich für Menschen anderer Nationalität ohnehin bisweilen kompliziert gestalten. Ohne Papiere – erst recht. Nicht nur mit rassistischen Vorurteilen sei zu rechnen, sondern mit zunehmenden Kontrollen. Zudem schilderte er seine stets erneuten langwierigen Versuche, das Aufenthaltsrecht zu ergattern.

Anschließend fuhr ein mit weißem Tüll und Blumen geschmückter Wagen langsam auf dem Platz herum: „ein Hochzeitskorso“. Die Performance hatte die Initiative „Gesellschaft für Legalisierung“ inszeniert, ein Netzwerk, das sich aus verschiedenen Gruppierungen wie „Initiative gegen Abschiebung“, „Kein Mensch ist illegal“, „Dona Carmen“ und Kanak attak“ zusammensetzt. Den politischen Aktivisten geht es darum, aufzuzeigen, dass die Heirat mit einer / einem Deutschem für Migranten, die über keinen rechtlich anerkannten Aufenthaltstitel verfügen, nahezu die einzige Chance darstellt, eine menschenwürdige Lebenssituation zu erhalten. So können sich Flüchtlinge elementare demokratische und soziale Grundrechte sichern, die ihnen ansonsten versagt bleiben. Anlässlich des „Europäischen Aktionstages für die Rechte der Migrantinnen ohne Papiere“, am 30. Januar, fand diese außergewöhnliche Kundgebung in der Frankfurter Innenstadt statt. Presseinformationen hatte die „Gesellschaft für Legalisierung“ im Vorfeld breit gestreut.

Eine Performance, die auf gesellschaftspolitische Missstände hinweist und öffentlich diskutiert gehört, sollte man meinen! Doch im Frankfurter Blätterwald herrschte tags drauf weitgehend Schweigen. Eine 30-Zeilen-Meldung in der „Frankfurter Rundschau“ – das war es. Stattdessen konnte man dieser Tage liebevoll ausgeschmückt jeden auch nur halbwegs gelungenen Kalauer in der Karnevalsbütt, sowie Details über sexy Waden von Gardemädchen nachlesen. Was ist bloß mit den Journalisten los, dass sie auf diese Weise dem Folklorismus und der Spaßgesellschaft frönen? Warum sind die laut offiziellen Schätzungen über eine Million in der Republik lebenden Migranten ohne Papiere, gezwungen, in einer Schattenexistenz ohne Krankenversicherung, Recht auf Arbeit und Menschenwürde zu leben, nur als Sekundärthema interessant? Hat dies mit dem Fakt zu tun, dass sozial eingestellte Menschen, die Migranten ohne Papiere helfen, sich nach dem Ausländergesetz strafbar machen? Oder damit, dass Flüchtlingsinitiativen ihre konkrete Hilfe für illegalisierte Menschen nicht mehr öffentlich thematisieren, weil sie befürchten müssen, dass ihre Solidarität und Unterstützung unter staatliche Repression gestellt wird?

Amtsjargon übernommen

In Deutschland herrsche ein Debattenstand, der anderen Ländern (Frankreich, Spanien oder Italien) rund 20 Jahre hinterherhinke, konstatiert die promovierte Kulturanthropologin Sabine Hess (Kanak attak). Statt den offensiven Umgang mit Migrationschancen zu schärfen, das Recht der Flüchtlinge auf ein Leben gemäß den in der Verfassung garantierten Grundrechten politisch zu vertreten, sei „Unsichtbarmachen und bewusste Unterrepräsentation“ angesagt. Berichteten deutsche Medien aber, so geschehe dies oft nach Mustern, die einen gefährlichen Diskurs der Klassenunterschiede vorantrieben. Folgende Stigmatisierungen haben Ula Sener und Vassilis Tsianos (Gesellschaft für Legalisierung) ausgemacht: Zunächst gebe es den „Kriminalisierungsdiskurs“. „Gefährliche Fremde“ ließen Moderatoren „ins Land strömen“, kulturelle Diskrepanzen würden verfestigt, statt hinterfragt. Ein Beispiel hierfür ist die Berichterstattung des „Report München“. In aufgeregtem Tonfall wurde der Personalmangel beim Bundesgrenzschutz moniert. Am Münchner Flughafen müsse „Kontrollverzicht“ geübt werden, wurde der Amtsjargon übernommen. Kriminellen sei Tür und Tor geöffnet, so der katastrophendüstere Tenor. Stoiber und Schily wurden befragt, wie denn so etwas im bayerischen Ländle vorkommen könne. Und die andere Seite? Nicht der Rede wert?

Diskreditierend sei jedoch auch der vermeintlich wohlmeinende Tonfall, der Migranten als „unserer Hilfe bedürftige Opfer“ stigmatisiere. Die Sprecherfunktion übernähmen Journalisten sogleich stellvertretend. Den als hilflos hingestellten Subjekten trauten sie offenbar nicht zu, sich selbst zu artikulieren, analysieren die Sozialwissenschaftler Ula Sener und Vassilis Tsianos. Zu kritisieren sei auch jene selektive Menschenfreundlichkeit, die Bleiberecht für einige Auserwählte erreichen will. Es sei schwerlich zu begründen, warum jene 300.000 bisher mit einer „Duldung“ hier lebenden Flüchtlinge sowie einige „Altfälle“ Amnestie erhalten, andere aber weiterhin in ihrer Mobilität eingeschränkt werden sollten. Oder warum Flüchtlinge, die von Folter bedroht sind, Asyl erwarten können, nicht aber diejenigen, die der Armut entkommen wollen.

Problematisch ist vor allem der oft geübte Verzicht auf die Kontrolle staatlicher Behörden, eine der wichtigsten Aufgaben der Presse. Eine in diesem Zusammenhang interessante Frage: Wann wurde im Lokalteil der Zeitung oder im Regionalfunk etwa die letzte kritische Berichterstattung über das Ausländeramt veröffentlicht? Und zwar eine, die mehr Inhalt transportiert, als dass die Beamten ihr Bestes tun und die Klientel auf den Fluren halt nicht gut genug deutsch spricht, weshalb es bisweilen zu Missverständnissen komme. Wenn der Amtsjargon mit Vokabeln wie „Kontrollverzicht des Bundesgrenzschutzes“ oder „Gewährung des Bleiberechts“ kritiklos übernommen wird, spricht dies bereits für erhebliche Demokratiedefizite in den Medien.

 

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