Lohnender Blick

Selbstständige in ver.di debattierten in München

Nach Berlin und Köln trafen sich Solo-Selbstständige beim 3. bundesweiten ver.di-Selbstständigentag zum Erfahrungsaustausch in München. Dabei warfen sie auch einen Blick über den Zaun in die Nachbarstaaten Österreich und Niederlande.

„ver.di – warum eigentlich?“ war der Titel eines der 13 workshops in München, an dem auch Heinz Wraneschitz teilnahm. Für den freien Journalisten aus Franken hat sich die Fahrt zum 3. bundesweiten Selbstständigentag in die bayerische Landeshauptstadt gelohnt. „Ich habe viele Anregungen bekommen“, sagt er. „Die interessanten Diskussionen mit Kolleginnen und Kollegen haben mir neue Motivation gegeben für meine Arbeit“, stellt das Mitglied im Vorstand der dju Mittelfranken befriedigt fest. Denn obwohl das Angebot von ver.di vielfältig ist, angefangen von Bildung, individueller Beratung, Rechtsschutz, Stammtischen, Mailinglisten, Tarifarbeit, beschleicht so manchen Freien ab und zu der Verdacht, in ihrer Gewerkschaft herrsche die Meinung: „Nur ein Festangestellter ist ein gutes ver.di-Mitglied“. Mehr als 30.000 ver.di-Mitglieder verdienen ihr Geld jedoch bereits als Solo-Selbstständige. Doch speziell im Fachbereich 8, darüber war man sich unter den 160 Teilnehmern einig, besitzt kompetente Selbstständigenarbeit Tradition. ver.di brilliert dort mit Modellen, wie etwa dem Beratungsnetz Mediafon für Selbstständige (www.mediafon.net) sowie dem unschlagbaren „Ratgeber Freie“ von Goetz Buchholz, der längst unverzichtbar geworden ist für Selbstständige im Bereich Kunst und Medien. Davon ist auch Gundula Lasch, freie Journalistin aus Leipzig, überzeugt. Für die stellvertretende Vorsitzende der ver.di-Bundeskommission Selbstständige besteht damit eine gute Voraussetzung, diesen Service des Referats Selbstständige auf weitere Bereiche und Branchen auszuweiten.

Gutes Lobbying in Den Haag

„Es ist eine Überlebensfrage der Gewerkschaft“, glaubt Christian Stupka, ehemaliger Sekretär der IG Medien, „wie sie den Zusammenschluss zwischen der ‚Reservearmee‘ und den Festangestellten schafft“. Ein Blick in andere Länder kann da lohnend sein. „Solo-Selbstständige sind noch immer die Buhmänner“, bedauert freilich Linde Gonggrijp, Vorsitzende der niederländischen Solo-Selbstständigengewerkschaft FNV Zelvstandigen, „die angeblich anderen für weniger Geld die Arbeit wegnehmen“. Doch schon 2015 werden 20 Prozent der Erwerbstätigen in den Niederlanden selbstständig sein. Dafür scheint ihre Gewerkschaft gerüstet. Für die 44jährige ist klar: Die FNV Zelvstandigen sorgt dafür, dass ihre Mitglieder, die einen einheitlichen Mitgliedsbeitrag von 183 Euro jährlich bezahlen, als Unternehmer mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Auch das Lobbying bei der Regierung in Den Haag funktioniert. Die vor zehn Jahren gegründete Organisation wird bei wichtigen Fragen der Sozialgesetzgebungsverfahren eingebunden. Ein Meilenstein ist in diesem Zusammenhang die Absicherung von weiblichen Solo-Selbstständigen, was den Mutterschutz betrifft.
Egal ob freiwillig oder gezwungen, sogenannte „atypisch Beschäftigte“ nehmen auch in Österreich zu. Auf diesen Trend reagieren die Gewerkschaften. Ihre Antwort: Die Interessengemeinschaft work@flex, eine Plattform für freie Dienst-, Werkvertrags- und Gewerbescheinnehmerinnen und -nehmer sowie Zeitarbeitskräfte innerhalb der GPA djp (Gewerkschaft der Privatangestellten Druck-Journalismus-Papier) „Wir klagen für unsere Mitglieder auch versteckte Dienstverhältnisse ein“, so Randolf Destaller von work@flex. Besonders erfolgreich war die Organisation damit im Fall eines Callcenter-Agents, der einen heroischen Kampf focht. Wolfgang Stix war in seinem früheren Leben als hochqualifizierter IT-Techniker beschäftigt mit einem Stundenlohn von 72 Euro und fand sich im Call Center mit einer Bezahlung von 7,50 Euro pro Stunde wieder. Der Familienvater setzte alles auf eine Karte und siegte beim Sozialgericht, unterstützt von work@flex. Mit seiner Feststellungsklage verhalf der Wiener auch seinen Kollegen zu einer Festanstellung.
Auch wenn selbstständig arbeiten heißt, frei und unabhängig zu sein, will nicht jeder sein Dasein als isolierter Einzelkämpfer fristen. Die Vorstellung im Kollektiv zu arbeiten, interessiert wieder. Denn längst steht die betont gesellschaftspolitische Ausrichtung, wie sie in der 68er Kultur entstand, nicht mehr im Vordergrund. Kollektive und Kooperationen werden heute nicht mit dem Anspruch gegründet, die Gesellschaft zu transformieren. „Das ist eher umgekehrt“, glaubt Thomas Wollermann, „die veränderte Gesellschaft wirkt in die Arbeitswelt hinein und lässt solche Kooperationsformen attraktiv erscheinen“. Der Berliner Literaturübersetzer weiß, wovon er spricht. Er ist Mitglied im erfolgreichen Übersetzer-Kollektiv Druckreif (KDR), das inzwischen sein 20jähriges Jubiläum feiert. Die Auftragslage ist stabil. Nur einmal in dieser Zeit kam es bei dem von Verlagen geschätzten KDR zu Kurzarbeit. „Übersetzen ist etwas“, betont Wollermann, „was man sehr gut im Team machen kann.“ Bei KDR finden sich meist zwei oder drei zusammen, um an einer Übersetzung zu arbeiten.
Lebhaft diskutiert wurde auf dem Münchener Selbstständigentag die Idee der politischen Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. Gerade für Selbstständige scheint sie ein zentrales Thema und teilweise eine ernsthafte Perspektive darzustellen. Innerhalb der Gewerkschaft ist die Forderung freilich umstritten. So befürchtet Ralf Krämer vom Bereich Wirtschaftspolitik im ver.di- Bundesvorstand dadurch eine öffentliche Subventionierung von Dumpingpreisen auf dem Markt. Da diese Frage nicht wenigen Freien auf den Nägeln brennt ist eine Klausurtagung dazu angedacht.

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