Lokaler Rundfunk als Mutmacher

Lokalrundfunktag 2021 in Nürnberg: Radio Hochstift, Gewinnerin des Deutschen Radiopreis 2020, war dabei.
Screenshot: www.radiohochstift.de

Die lokalen Radio- und Fernsehsender Bayerns haben sich trotz wirtschaftlicher Einbußen infolge der Corona-Pandemie behauptet. Tatsächlich führte die Krise in vielen Häusern zu einem regelrechten Innovationsschub. Dies ist eine der Haupterkenntnisse auf dem Lokalrundfunktag 2021, bei dem Programmmacher*innen und Medienpolitiker*innen Bilanz zogen. Pandemiebedingt fand der Rundfunktag in hybrider Form statt, also mit begrenzter Teilnehmerzahl im Saal und per Live-Stream.

Dass die Reichweiten von Audio und Bewegtbild nicht unter der Ausnahmesituation der vergangenen 15 Monate gelitten haben, belegen die jüngsten Zahlen der Funkanalyse Bayern (FAB) 2021, die von Oliver Ecke und Petra Dittrich vom Marktforschungsinstitut Kantar vorgestellt wurden. Demnach hören knapp drei Millionen Menschen von Montag bis Freitag täglich im Schnitt mindestens einen lokalen Sender. Das entspricht 26,7 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren in Bayern und 30.000 Hörer*innen mehr als im Vorjahr – und das, obgleich die Tagesreichweite für das Radiohören insgesamt leicht zurückgegangen ist.

Enorm im Aufwind ist dabei das terrestrische Digitalradio, mehr als ein Viertel (26,6 Prozent) hört es werktäglich. 42 Prozent der Bevölkerung Bayerns haben Zugang zu DAB+. Im Vergleich zum Vorjahr legen damit sowohl der Zugang zu DAB+ (+7,8 Prozent) als auch die tägliche Nutzung (+6,1 Prozent) beachtlich zu. Mit DAB wächst auch die gesamte digitale Radionutzung – also inklusive Internet, Kabel und Satellit: Sie liegt in der Summe ebenfalls bei 42 Prozent (+5 Prozent), wobei nach DAB+ das Webradio (16,8 Prozent) an zweiter Stelle der Beliebtheitsskala steht. Demgegenüber sinkt UKW auf 58 Prozent (-8,8 Prozent).

Coronabedingt nahm die mobile Radionutzung im Auto und auf der Arbeit ab – in Zeiten des Lockdowns hört sich Lokales besonders gut daheim. Gleichzeitig stieg die Konkurrenz durch andere Audio-Angebote, allen voran durch Musik-Streamingdienste und Podcasts, weiter an. Gut ein Drittel (34 Prozent) der Bevölkerung ab 14 Jahren in Bayern hört täglich auch andere Audioangebote als Radio – ein Plus von mehr als zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Im Lichte dieser Ergebnisse nannte Siegfried Schneider, der scheidende Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) den lokalen Rundfunk eine „Erfolgsgeschichte“. Die Lokalsender hätten während der Krise unter extremen Produktionsbedingungen und wirtschaftlichem Druck ihre „Relevanz als wichtige Anker im Alltag und zuverlässige Lieferanten lokaler Informationen eindrücklich unter Beweis gestellt“. Leider schlage sich die hohe Nutzung derzeit nicht in hohen Erlösen nieder. Schneider dankte der Bayerischen Staatsregierung, die seit Beginn der Pandemie über vier Millionen Euro an Hilfszahlungen für den lokalen Rundfunk des Freistaats bereitgestellt habe. Die Sicherung lokaler Vielfalt sei auf einem immer ausdifferenzierteren Audiomarkt eine große Herausforderung. „Der Streaming-Konkurrenz mit geeigneten Angeboten und neuen Geschäftsmodellen begegnen zu können“, so Schneider, „erfordert Kreativität, Kooperation und Kapital“.

„Wie tickt Deutschland im Lokalen?“ unter diesem Titel skizzierte Stephan Grünewald, Marktforscher vom Rheingold Institut, gesellschaftliche Entwicklungen während der Pandemie. „Corona hat für die meisten Menschen den Weltradius drastisch verkleinert“, konstatierte er. Angesichts der Bedrohung fokussierten sich die Menschen auf sich und ihr unmittelbares Umfeld. In dieser Situation leisteten vor allem lokale Medien einen Betrag, „einer neuen Weltfremdheit und einer inzestuösen Selbstbezüglichkeit entgegenzuwirken“.

Für viele Menschen bedeute Corona eine „große Ohnmachtserfahrung“ – das genaue Gegenteil eines vorher durch die Möglichkeiten der „Smartphone-Kultur“ empfundenen „digitalen Absolutismus“. Die Pandemie habe auch die Spaltungstendenzen in der Gesellschaft verschärft. Die Gegensätze zwischen Jung und Alt, Arm und Reich, Krisenverlierern und -gewinnern sowie zwischen „Staatsgläubigen“ und „Querdenkern“ wurden vertieft. Vielfach falle die Lebenswirklichkeit der Menschen auseinander: Während die einen die Angst vor Jobverlust umtreibe, erlebten andere etwa die Arbeit im Homeoffice als Chance zur Entschleunigung.

Den Lokalmedien komme in dieser Situation die Aufgabe zu, diese Widersprüche auszugleichen, Zusammenhalt zu stiften. Lokale und regionale Sender könnten Vertrauen schaffen und das Heimatgefühl fördern. Mittels Gesprächsangeboten könnten sie einen Beitrag zur Versöhnung leisten und gesellschaftlichen Spaltungstendenzen entgegenwirken. „Regionale Medien sind auch Mutmacher“, resümierte Grünewald. Sie könnten in Form von erfolgreichen Beispielen dazu animieren, „selbst etwas zu gestalten“.

Ein Befund, der von den meisten Radiomacher*innen im weiteren Verlauf des Rundfunktages bestätigt wurde. Sinah Donhauser vom Radio Hochstift in Paderborn, Gewinnerin des Deutschen Radiopreis 2020, verwies auf das hohe Informationsbedürfnis der Menschen im lokalen Raum während der Krise. Die Mitteilungen von Bund und Ländern reichten bei weitem nicht aus. Vom Lokalradio werde eine konkrete Einordnung des Pandemiegeschehens im Nahbereich erwartet.

Markus Pürzer vom Münchner Sender 95,5 Charivari warnte vor Ermüdungseffekten permanenter Katastrophenberichterstattung. Die Hörerschaft möge keine „Ermahnung mit erhobenem Zeigefinger“.  Neben der Informationsvermittlung habe der Rundfunk auch die Aufgabe, „Mut und gute Laune“ zu machen.

Angesichts sinkender Werbeeinnahmen fahnden die Sender nach neuen Erlösquellen. Und geben sich dabei durchaus erfinderisch. Johannes Beitien vom privaten Hörfunksenderverbund bigFM sieht „corporate podcasts“ auf dem Vormarsch. Als Beispiel präsentierte er „Polizei im Verhör“, einen Podcast, den bigFM seit Ende 2020 mit seinem Moderator Reece für die Polizei Rheinland-Pfalz produziert.

Anfang Mai dieses Jahres brachte Radio Gong 96,3 München gemeinsam mit dem Digitaldienstleister Ray Sono das erste Corporate Radio fürs Homeoffice heraus. Für Unternehmen ein neuer Weg, angesichts fehlender physischer Präsenz und Nähe für mehr Teambuilding im Betrieb zu sorgen, erläuterte Johannes Ott von Radio Gong. In diesem Webradio bietet der Sender vorgefertigte Inhalte an, neben einem Musikmix und Jingle Sets auch Musikwünsche mit Audiogruß. Über das firmeneigene Intranet können die Mitarbeiter*innen den Sender via Stream im heimischen Büro empfangen.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Initiative: KI besser nutzbar machen

Der Dominanz der globalen Big-Tech-Konzerne etwas entgegensetzen – das ist das Ziel einer Initiative, bei der hierzulande zum ersten Mal öffentlich-rechtliche und private Medienanbieter zusammenarbeiten. Sie wollen mit weiteren Partnern, vor allem aus dem Forschungsbereich, ein dezentrales, KI-integriertes Datenökosystem entwickeln. Dadurch soll die digitale Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Medienstandorts gestärkt werden.
mehr »

Anteil von Frauen in Führung sinkt

Nach Jahren positiver Entwicklung sinkt der Anteil von Frauen in Führungspositionen im Journalismus das zweite Jahr in Folge. Der Verein Pro Quote hat eine neue Studie erstellt. Besonders abgeschlagen sind demnach Regionalzeitungen und Onlinemedien, mit Anteilen von knapp 20 Prozent und darunter. Aber auch im öffentlichen Rundfunk sind zum Teil unter ein Drittel des Spitzenpersonals weiblich.
mehr »

dju fordert Schutz für Medienschaffende

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di fordert nach dem erschreckend milden Urteil im Verfahren zum Angriff auf Journalist*innen in Dresden-Laubegast staatlich garantierten Schutz für Medienschaffende. Über zehn Männer hatten im Februar 2022 in Dresden-Laubegast am Rande einer Demonstration im verschwörungsideologischen Milieu sechs Journalist*innen und ihren Begleitschutz angegriffen.
mehr »

Unsicherheit in der Medienlandschaft

Künstliche Intelligenz (KI) und ihre Auswirkungen auf die Medienbranche wurden auch bei des diesjährigen Münchner Medientagen intensiv diskutiert. Besonders groß sind die Herausforderungen für Online-Redaktionen. Im Zentrum der Veranstaltung  mit 5000 Besucher*innen, mehr als 350 Referent*innen aus Medienwirtschaft und -politik, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft, stand allerdings die Frage, wie Tech-Konzerne reguliert werden sollten.
mehr »