Magenbitter zur Politikverdauung

Karikaturenstreit rückte Pressezeichner stärker ins Rampenlicht

Die „Welt im Rechteck“ ist aus den Winkeln geraten. Der „Karikaturenstreit“ hat die Bildsatire in die Schlagzeilen und in die Dis­kussion gebracht. Provokation oder Pressefreiheit? Die Meinung über die gezeichneten Glossen und Kommentare ist kontrovers.
Doch welche Auswirkungen für den Stellenwert der Karikatur in den deutschen Medien hat der Streit, bei dem es ja offensichtlich nur vordergründig um die Veröffentlichung der zwölf Cartoons unter dem Motto „Die Gesichter Mohammeds“ am 30. September 2005 in Dänemark geht? Und: Wie ist es derzeit überhaupt um die Szene der Pressezeichner in Deutschland bestellt?

„Alle Zeitungen haben regelmäßig Karikaturen – die meisten haben täglich eine!“, sagt Anja Pasquay. Als Pressereferentin des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) in Berlin hat sie einen guten Überblick über die mehr als 300 Tages­zeitungen und ein Dutzend Wochenzeitungen, die dem BDZV angehören. In den Zeitschriften dominiert eher der gesellschaftskritische Cartoon mit „Human interest“-Themen. Auffällig: Der Spiegel verzichtet in den letzten Jahren fast gänzlich auf Karikaturen, was nicht nur viele Pressezeichner bedauern. Karikaturen passten nicht zum Stil des Blattes, heißt es seitens der Leser-Hotline lapidar. Der stellver­tretende Chefre­dakteur Dr. Martin Doerry sieht dies etwas anders und erklärt gegenüber M: „Der Spiegel druckt durchaus Karikaturen, allerdings seltener als andere Blätter. In der Regel eignen sich Fotos besser zur Illustration unserer Geschichten.“ Dies ist auch logisch, denn Karika­turen sind keine Illust­rationen, sondern eigenständige vi­su­a­lisierte Kommentare, so das überwiegende Selbstverständnis der Zeichner. Als „Illustrator“ betitelt zu werden ist für viele von ihnen schon fast beleidigend. Das konkurrierende Nachrichtenmagazin Focus hat zwar keine eigenen ­Karikaturisten, druckt aber regel­mäßig ausgewählte Zeichnungen aus den Zeitungen nach.
Ein Flaggschiff der gesellschaftspolitischen Bildsatire ist der Stern, der sich exklusive Karikaturisten wie Gerhard ­Haderer (Österreich) und Til Mette (USA) sowie das Zeichner-Duo Greser & Lenz und Tetsche mit seiner Kult-Seite „Neues aus Kalau“ leistet. Das Ressort „Humor und Satire“ produziere wöchentlich mehrere Seiten, so der verantwortliche Redakteur Rolf Dieckmann. – Es ist allerdings nicht der „Strich“, der bei der Tagespresse dominiert. Aber auch Illustrierte wie die Bunte veröffentlichen seit Jahren ganzseitige farbige Karikaturen (Horst Haitzinger).

Karikatur ist Visitenkarte

Mit farbigen Porträtkarikaturen als Titel zieht Cicero die Blicke auf sich. Das „Magazin für politische Kultur“ könnte man auch schon fast „Magazin für politische Karikatur“ nennen. Dabei gibt man nicht nur Platz­hirschen wie Jürgen Tomicek, sondern vor allem auch Nachwuchszeichnern wie Heiko Sakurai (geboren 1971) ein Forum. Stellvertretender Chefredakteur Markus C. Hurek: „Für Cicero sind Karikaturen Stilmittel und Statements zugleich. Wie kein anderes Magazin legt Cicero Wert auf kleine Zeichnungen mit großer Wirkung.“ Die reinen Satiremagazine „Eulenspiegel“, „Pardon“ und „Titanic“ seien hier einmal außen vor gelassen, wenngleich auch einige der poli­tischen Karikaturisten der allgemeinen Presse hier publizieren.
Getreu dem Motto „any PR is good PR“ könnte der „Karikaturen-Streit“ den gezeichneten Glossen und Kommentaren einen neuen Aufschwung verleihen. Denn noch nie waren Karikaturisten so „gefragt“ wie in den letzten Monaten. Andererseits kann die durch die dänischen Cartoons ausgelöste Eskalation auch die Bedenkenträger gegenüber der Bildsatire bestärken. – Sind Karikaturen eine „Gegenkunst“, die allzu oft die Grenzen des guten Geschmacks verletzt, oder eine journalis­tische Darstellungsform, die mit visuellen Mitteln kritisch und komisch zugleich Stellung bezieht? – Die Spätfolgen des „Karikaturen-Streites“ lassen sich jetzt noch nicht absehen.
„Die politische Karikatur ist die ‚Visitenkarte eines Blattes‘“, sagt Privatdozent Dr. Thomas Knieper von der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität. Der Experte für visuelle Kommunikation hat 2002 das wohl umfangreichste Buch zum Thema publiziert: „Die politische Karikatur. Eine journalistische Darstellungsform und deren Produzenten“. Seiner Meinung nach lässt die Karikatur einen Rückschluss auf die übrige inhaltliche Qualität einer Zeitung oder Zeitschrift zu. Denn die kritische Zeichnung sei auf eine gute textuelle Berichterstattung angewiesen, damit der Betrachter die Aussage der Zeichnung einordnen und verstehen kann. Doch Knieper weiß auch: Redaktionen und Verlage müssen Geld sparen. Und: Die nicht über die großen Nachrichten-Agenturen zum monatlichen Pauschalpreis gelieferten ­Karikaturen sind dabei ein Kostenfaktor, den sich nicht alle Printmedien leisten wollen oder können.
Professor Dr. Walther Keim, Politikwissenschaftler an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und in der ­Szene auf Grund seiner zahlreichen Ver­öffentlichungen als „Karikaturen-Papst“ bekannt, erklärt: Karikaturen würden häufig leider nicht als „gezeichnete Leitartikel“ angesehen, sondern als bloße Illustration zum Text. Als reine Auflockerung des Layouts verstanden, könne statt einer Zeichnung, die zusätzlich Honorar koste, aber auch ein ohnehin im Bild-Pool vorhandenes Foto genutzt werden. Und so konkurriert die Karikatur plötzlich mit dem Foto. Das ist eigentlich absurd. Denn: Alle bekannten Pressezeichner, die sich als politische Karikaturisten bezeichnen, lehnen dies kategorisch ab. Sie sehen sich nicht als bloße Illustratoren, sondern als zeichnende Journalisten mit kommentierender Funktion zum Zeitgeschehen. Sie verleihen ihrer Meinung über Missstände mit zeichnerischer Komik einen Ausdruck – häufig stellvertretend als „Anwalt“ für den wehrlosen Bürger. Sie bringen die Kritik „mit dem Strich auf den Punkt“. Dabei können sie „abfedern“ oder „zuspitzen“. Für Letzteres waren die dänischen Karikaturen ein gutes beziehungsweise schlechtes Beispiel …
In Deutschland sei die Honorarsituation für Pressezeichner heute „miserabel“, sagt der Düsseldorfer Karikaturist Berndt A. Skott. Die „goldenen Zeiten“ seien vorbei. Während die Kosten durch bürokra­tischen und technischen Mehraufwand gestiegen seien, sei der Vergütungssatz eher gesunken. Einen pauschalen Honorarsatz von 40,00 Euro pro einfarbiger ­Karikatur und pro Nachdruck – wie ihn einige Kollegen als Pauschalpreis auf ihrer Homepage vorgeben – hält er für zu gering.
Bei der Mehrfachverwertung, die das Gros der Honorareinnahmen bei den meis­ten Zeichnern ausmacht, liegt der Satz zwischen 20,00 und 80,00 Euro, wie Recherchen von M ergaben. Wobei die regionalen Tageszeitungen eher im unteren Drittel liegen. Insbesondere die aggressive Preispolitik mancher minder begabter Zeich­ner, die schlechte wirtschaftliche Lage vieler Zeitungshäuser und die bundesweite Konkur­renz haben zu dieser Situation geführt.
Wer gut ist und sich geschickt vermarktet, kann aber auch Millionär werden. Die Zeichner-Elite erhält schon mal zwischen 200,00 und 1000,00 Euro für die Anfertigung und Veröffentlichung einer Auftragsarbeit. Wer zum Mittelmaß oder darunter zählt und sich nicht so gut verkauft, kann allein von den Einnahmen als Karikaturist nicht existieren. Der Honorarspiegel in Deutschland für die Pressezeichner ist sehr heterogen, da von vielen Faktoren abhängig.
Insider schätzen, dass es derzeit rund 300 politische Karikaturisten gibt, deren Werke entweder täglich oder zumindes­t hin und wieder in deutschen Massen­medien publiziert werden. Aber vermutlich nur die Ar­beiten von etwa zehn Pro­zent der professionellen Pressezeichner werden in neunzig Prozent der Ta­geszeitungen ­publiziert, so die Experten. Einige wenige bekannte Karikaturisten beliefern täglich zwischen zwanzig und siebzig Ver­lage. Dabei sind sie nicht immer allein, sondern häufig in einem Pool, aus dem sich die Redaktionen nach Gutdünken ­bedienen können. Gezahlt wird nur für Abdrucke. Insgesamt gibt es wohl ein paar tausend Pressezeichner, rechnet man Cartoonisten und Illustratoren hinzu.

„Geistiger Knochenjob“

Die Verbreitung von tagesaktuellen Karikaturen durch den Nachrichtenverteiler von news aktuell, einer dpa-Tocher in Hamburg, zwischen 1995 und 2001 wurde wieder eingestellt. Laut news aktuell habe sich das Geschäft wirtschaftlich nicht gelohnt. Zeichner für news aktuell waren damals Götz Wiedenroth (Flensburg) und Karl-Heinz Schönfeld (Potsdam), die pauschal von dem Bilderdienst honoriert wurden, während news aktuell nach Abdruck berechnete. Beide sind heute freiberuflich tätig.
Jeden Tag mindestens eine, wenn nicht zwei oder mehr gute Ideen zu Papier zu bringen, das erinnert an ein „kreatives Batterielegehuhn“. So spricht auch nicht nur der Werler Karikaturist Jürgen Tomicek im Zusammenhang mit der Arbeit eines politischen Tageskarikaturisten von einem „geistigen Knochenjob“.
Karikaturist ist ein Männenberuf. Frauen sind in der Minderheit. Franziska Becker, Friederike Groß, Barbara Henniger, Cleo-Petra Kurze, Marie Marcks, Petra Kas­ter, Marlene Pohle und Christiane Pfohlmann zählen unter anderem zu den wenigen bekannten Ausnahmen. – Eine genaue Ursachenforschung hierfür gibt es nicht. Beklagt wird von Fachleuten auch die Überalterung. Gründe hierfür gibt es viele. Einige der Altmeister beklagen, dass es an gutem Nachwuchs mangele. Eine spezielle Ausbildung gibt es nicht für Karikaturisten. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Berufen und sind vielfach Autodidakten. Die meis­ten bekannten Vertreter des Berufsstandes wollten eigentlich gar nicht Karikaturist werden. Einige studierten Bildende Kunst oder Grafik-Design, andere Architektur oder Kunstpädagogik, und wiederum andere waren zuvor als Textjournalisten, Werbefachleute, Kunstpädagogen, Politikwissenschaftler oder Kaufleute tätig.
Auf Grund dieser unterschiedlichen Vorbildung kommt es auch, dass sich ein Teil der Karikaturisten als „zeichnende Journalisten“ und sich andere eher als kritische Künstler betrachten. Doch wohl nur die wenigsten – und dies mag erstaunen – sehen sich als „Weltverbesserer“. Der Werler Karikaturist Jürgen Tomicek erklärt es in einem interessanten Vergleich: „Meine Karikaturen sind der Magenbitter zur oft schwer verdaulichen Politik!“

 
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