Jugendmedientage: Medien- oder Märchenland?

Klare Ansage bei den Jugendmedientagen 2016 in Dresden Foto: Jan-Timo Schaube

Junge Medienmacher diskutierten in Dresden über Glaubwürdigkeit der Presse

300 junge Leute, die die Welt der Medien erkunden wollen, 80 Referentinnen und Referenten, die versuchen sie zu erklären, und fast ebenso viele im Team der Jugendpresse Deutschland, die das alles reibungslos organisieren und viel Spaß dabei haben: Das waren die Jugendmedientage 2016 in Dresden. Vom 27. bis 30. Oktober diskutierten alle über „Medien- oder Märchenland?“ in der mit Luftballons geschmückten Messe und Börse Dresden. Wie glaubwürdig und objektiv berichten unsere Medien, dieses Thema wurde in Workshops, Erzählcafés und bei Podiumsdiskussionen von vielen Seiten betrachtet.

Mit einer provokanten Frage startete die Auftaktveranstaltung: „Intransparent, einseitig, verharmlosend – wie viel Freiheit steckt in unseren Medien?“ war die Podiumsdiskussion überschrieben. Doch Hubertus Koch, für seine Syrien-Dokumentation „Süchtig nach Jihad“ mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet, formulierte das Thema um: „Wie frei ist der Mensch, der Medien macht?“. Für ihn gibt es drei Einschränkungen, die er aber als „zum Teil hausgemacht“ bezeichnete: Zum ersten das Geld, genauer gesagt, das Starren auf Quoten und Klicks, wobei er die Mediennutzer_innen hier von der Verantwortung nicht ausnahm, die durch ihr Nutzerverhalten dies ja wesentlich mitprägen. Weitere Einschränkungen sah er in „einer hysterischen Gesellschaft“ und dem „Korsett der äußeren Form“ wie etwa den berühmten „1:30-Einspielern“ der Nachrichtensendungen. Oder den zuweilen inhaltsleeren „Brennpunkten“, die ohne zu wissen, was genau geschehen ist, gleich mit Terrorexperten aufwarten und so eine voreilige Einordnung von Ereignissen bewirkten.

Immer was los am dju-Stand bei den Jugendmedientagen 2016 in Dresden! Foto: Jan-Timo Schaube
Immer was los am dju-Stand bei den Jugendmedientagen 2016 in Dresden!
Foto: Jan-Timo Schaube

Und die Wahrheit? „Jeder Journalist schafft sich seine eigene Wahrheit“, zeigte sich Koch überzeugt, „die eine Wahrheit gibt es genauso wenig wie die Lügenpresse“. Er sehe das Problem, dass jedes Thema immer „kürzer, schneller, einfacher und unterhaltender“ abgehandelt werden solle. Und als Rat gab der junge Mann den noch jüngeren Zuhörerinnen und Zuhörern mit auf den Weg in die Medien: „Journalismus lebt nicht vom perfekten Lebenslauf, sondern sollte eine Weltanschauung haben, die aus ‚Welt anschauen‘ resultiert.“

Für Dirk Benninghoff, früher Journalist bei „Bild“, „Stern“ und „Financial Times“, jetzt Chefredakteur der Kommunikations-Agentur fischer Appelt, war die entscheidende Frage in der anschließenden Diskussion nicht die nach der Freiheit, sondern die nach der Vielfalt der Medien. Die Vorwürfe gegen die „Systempresse“ rührten daher, dass viele, vor allem rechts gerichtete Leser_innen die Grundhaltung der meisten Medien gegenüber Flüchtlingen und der Einwanderung nicht mehr teilten. Das sei allerdings kein Grund für die Medien, ihre Einstellung zu ändern, unterstrich er, schließlich seien die Kritiker zumeist Menschen mit totalitären Gesellschaftsvorstellungen.

Mobilität ist in - auf zum nächsten Panel, vielleicht mit Zwischenstopp am dju-Infostand Foto: Jan-Timo Schaube
Mobilität ist in – auf zum nächsten Panel, vielleicht mit Zwischenstopp am dju-Infostand
Foto: Jan-Timo Schaube

„Fakten gegen Gerüchte“, wie geht man mit der Herkunft von Tätern um, darüber diskutierten in einem der vielen Workshops am zweiten Tag junge Leute mit Oliver Reinhard von der „Sächsischen Zeitung“ und Edda Eick, Sprecherin des deutschen Presserats. Die „Sächsische Zeitung“ hatte sich im Sommer entschieden, konsequent immer die Herkunft von Tätern in ihren Polizeimeldungen zu nennen. Der Pressekodex sieht jedoch vor, dies nur zu tun, wenn ein „begründeter Sachbezug“ zur Straftat bestehe. Aber die „Sächsische Zeitung“ kündigte an, dass sie demnächst Bilanz ziehen wolle, welche Wirkung ihr von den Vorstellungen des Presserats abweichender Weg habe.

Über den Umgang mit den lautstarken Medienkritikern in Sachsen ging es auch in der Abschlussdiskussion. Mit auf dem Podium ein junger Ingenieur: Alexej Hock, aufgewachsen in Dresden mit einem deutschen Vater und einer russischen Mutter. Mit einem Kollegen zusammen hat er den Blog „Straßengezwitscher“ gegründet und auch über Pegida-Demonstrationen geschrieben, was ihm auch schon Schläge eingebracht hat. Inzwischen ist seine zweite Plattform „Crowdgezwitscher“ gestartet. Hier wird versucht, flächendeckend über rechte Demonstrationen in Sachsen zu berichten.

Den Pegida-Anhängern stellte Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung die Aussagen mehrerer Studien gegenüber, nach denen die Mehrheit der Bevölkerung Vertrauen in die Medien habe. Allerdings werde die zweifelnde Minderheit immer radikaler. Der „harte Kern“ von rund 2000 bis 3000 Menschen bei den Montagsdemos in Dresden sei für Argumente nicht mehr zu erreichen, schätze Hock die Situation in seiner Heimatstadt ein. „Und wer hat nun Schuld daran, hat die Bildung versagt“, fragte die Moderatorin Luisa Meisel provozierend in die Runde. Das sei immer ein beliebter Vorwurf, antwortete Krüger. Nachweisbar sei in der Tat, dass Sachsen bei der politischen Bildung das Schlusslicht aller Bundesländer bilde. Sachsen habe sich vor allem auf die naturwissenschaftlich-technischen MINT-Fächer und das in den PISA-Tests gefragte Wissen konzentriert.

Moritz Gathmann, Thomas Krüger, Luisa Meisel, Alexej Hock und Claudia Hammermüller (v.l.n.r.) diskutierten über den Umgang mit lautstarken Medienkritikern Foto: Jan-Timo Schaube
Moritz Gathmann, Thomas Krüger, Luisa Meisel, Alexej Hock und Claudia Hammermüller (v.l.n.r.) diskutierten über den Umgang mit lautstarken Medienkritikern
Foto: Jan-Timo Schaube

Zum Leser müssten Journalist_innen ein neues Verhältnis aufbauen, forderte Krüger: Die kompetente Leser_in sei heute durch Kommentare oder eigene digitale Publikationsmöglichkeiten zum „Koproduzenten“ geworden. Transparenz zeige sich doch auch darin, so Jugendpresse-Mitglied Claudia Hammermüller, dass Zeitungen eine Tendenz hätten, über die man sich als Leser_in informieren könne und so auch verschiedene Sichtweisen betrachten könne. Moritz Gathmann, lange Russland- und Ukraine-Korrespondent, sang ein Loblied auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den es in vergleichbarer Weise so kaum in einem anderen Land gebe. Er empfahl den jungen Medienmacher_innen, beim Deutschlandfunk besonders gut zuzuhören.

Und der Umgang mit der AfD in den Medien? „Nicht jedem Knochen nachrennen, den die AfD schmeißt“, empfahl der Straßenzwitscherer Alexej Hock. Die Sachen, deretwegen sie kritisiert und rechts verortet werden, hätten die AfD-Leute doch meist selbst geschaffen, wie etwa die Benutzung des Wortes „völkisch“ trotz all seiner Vorbelastung, antwortete Krüger kühl. „Die AfD will gegen alle sein, kann sich dann schlecht beschweren, dass alle gegen sie sind. Mein ältester Sohn würde das so kommentieren: Heult doch!“

Spaß muss sein - dju in ver.di! Foto: Jan-Timo Schaube
Spaß muss sein – dju in ver.di!
Foto: Jan-Timo Schaube

Zwei Preise gab es bei den Jugendmedientagen auch noch, und zwar zwei erste Preise im dpa-Wettbewerb für junge Medienmacher „NewsTalent“. Mit einer Langezeitbeobachtung des Kölner Stadtteils „Am Kölnberg“, einer Trabantenstadt, gewann Laurentia Genske (27) die Auszeichnung. Die zweite Urkunde gab es für den Fotografen Emile Ducke (22). Er hat sich über Monate in dem kleinen Transnistrien umgeschaut. Ein Land, das so gern unabhängig sein möchte, aber von niemandem anerkannt wird. Trotzdem haben die Bewohner dort seit über 20 Jahren eine eigene Währung, Armee und Universitäten, deren Diplome aber auch nur in Transnistrien anerkannt werden. – Zwei Preisträger_innen, die sich bei ihrer Arbeit der Geduld verschrieben haben, nicht dem „Schneller, Kürzer, Einfacher“.

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