Die Debatte ist nicht neu, doch ihre Brisanz nimmt stetig zu: Wie sollen Journalistinnen und Journalisten über die AfD berichten? Über eine demokratisch gewählte Partei, die offen nationalistisch, autoritär und rassistisch auftritt? Brauchen wir gar neue Regeln? Darüber hat die dju in ver.di am 16. Dezember in Berlin mit Medienmacher*innen, Vertreter*innen von Presserat, aus Rundfunkgremien sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen diskutiert.
Angestoßen hatten die Debatte der Vorsitzende von DeutschPlus e.V. und Staatssekretär a.D. Farhad Dilmaghani sowie der Journalist und Publizist Georg Diez mit einem Beitrag auf Krautreporter, in dem sie unter anderem neue Regeln für den Pressekodex forderten. M hat die Diskussion aufgenommen und ein Forum eröffnet, an dem sich bisher etwa Journalistin und Vorstandsmitglied der Neuen Deutschen Medienmacher*innen (NdM) Ferda Ataman, die NdM-Vorsitzende Sheila Mysorekar, der Journalist und Buchautor Marcus Klöckner sowie die Vorsitzende der dju in ver.di Tina Groll beteiligt haben. Mit dem Panel in der Berliner taz-Kantine gab es nun eine erste inhaltliche Bestandsaufnahme.
Mangelnde Vielfalt in den Redaktionen als Teil des Problems
„Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Wir brauchen einfach nur guten Journalismus“, glaubt die Journalistin und Mitbegründerin von hostwriter.org Tabea Grzeszyk.
In ihrem Beitrag zum M-Debattenforum hatte sie den Redaktionen unter anderem empfohlen, Rassismus-Trainings zu buchen, die eigenen Journalist*innen besser zu schützen und die Newsrooms so vielfältig wie die deutsche Gesellschaft zu machen. Denn, so ist sie überzeugt, „die mangelnde Vielfalt in den Redaktionen ist Teil des Problems“. In der Berichterstattung entstünden „unbewusste blinde Flecken“, weil die vielfältigen Perspektiven fehlten. „Ein sogar rassistischer Unterton fällt dabei oftmals gar nicht auf.“
Klare Grenzen ziehen
Den Medien spricht Grzeszyk zudem eine Mitverantwortung am Aufstieg der AfD zu: „Wir Medien haben die AfD auch groß gemacht, indem wir eben über alle Stöckchen gesprungen sind.“ In der Berichterstattung vermisst sie eine Sensibilität für die klare Grenze, die es ja eigentlich gebe. Tina Groll dagegen beobachtet einen „Learning-Prozess“. Die Frage, wann man der Partei eine Bühne bieten sollte und ob das berühmte Stöckchen auch einen tatsächlichen Erkenntnisgewinn liefere, treibe die Kolleginnen und Kollegen in den Redaktionen um. Eine Einschätzung, die auch Maria Fiedler teilt.
Sie ist im Hauptstadtbüro des Berliner Tagesspiegel zuständig für die Berichterstattung über die AfD. Jeder Entscheidung für oder gegen den Sprung über das Stöckchen liege die Beantwortung der Frage zugrunde, ob es ein öffentliches Interesse gebe oder ob es sich nur um eine Provokation ohne Neuigkeitswert handele. So wie Grzeszyk glaubt aber auch sie nicht, dass es neue Spielregeln brauche, sondern Journalistinnen und Journalisten, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind.
Neue Regeln für die Berichterstattung?
Zu dieser Verantwortung gehöre es, „klare Linien zu ziehen“, stimmte Uwe Grund aus dem NDR-Verwaltungsrat zu. Seine Haltung sei: „Faschist*innen dürfen in den Interviewspalten nicht vorkommen. Das dulden wir nicht.“
Sorgen bereite ihm indes, dass die größtenteils sehr gute, auch aufklärende Berichterstattung über die AfD bei ihren Anhänger*innen nichts an deren Einstellung zur Partei ändern würde. „Das ist fatal.“ Dem widersprach jedoch Fiedler – zumindest teilweise. Sie glaubt, dass besonders die Protestwähler*innen, die vorher etwa die CDU gewählt hätten, noch offen für Argumente seien und sich möglicherweise überzeugen ließen.
Zweifel äußerte Grund zudem daran, ob Regeländerungen im Pressekodex etwas ändern würden. Dilmaghani etwa plädiert dafür, „den Begriff der Menschenwürde im Journalismus stärker zu machen“ und dafür nicht nur die ja bereits bestehenden Vorgaben der Rundfunk-Satzungen und des Rundfunkstaatsvertrags dahingehend „genau zu lesen und zu interpretieren“, sondern auch präzisierende Richtlinien zur praktischen Ausführung der Ziffern 1 und 12 des Pressekodexes zu entwickeln.
Denn in den Regelwerken ergebe sich ein Spannungsverhältnis zwischen dem Grundsatz zur Achtung und Wahrung der Menschenwürde, wie ihn auch Artikel 1 des Grundgesetztes festschreibt, und Vorgaben, den Meinungspluralismus in der deutschen Gesellschaft umfassend abzubilden. Dieses Spannungsverhältnis gelte es, klar im Sinne der Wahrung der Menschenwürde aufzulösen. Wer, wie Vertreter*innen der AfD, nachweislich rechtsextremes und volksverhetzendes Gedankengut verbreite, dürfte in der Berichterstattung dann keinen Raum mehr bekommen – Meinungspluralismus hin oder her.
Groll versprach Dilmaghani, die Debatte auch in den Deutschen Presserat zu tragen, in den sie seit 2015 von der dju in ver.di entsandt ist. Auch Moderatorin und dju-Bundesgeschäftsführerin Cornelia Berger sagte: „Wir brauchen vor allem Zeit, die Diskussion intensiv führen zu können. Da werden wir als Journalist*innen-Gewerkschaft unseren Beitrag leisten.“