Medien und Populismus: Volkes Stimme, Volkes Stimmungen

Europäer neigen dazu, sich über die kruden Sprüche eines Donald Trump lustig zu machen. Dabei sind auch in Europa jede Menge Politiker am Werk, deren Diskurs nicht unbedingt rationalen Ansprüchen genügt. Auch hierzulande wissen viele Journalisten nicht, wie sie mit dem unheimlichen Aufstieg der AfD umgehen sollen. Auf der Konferenz „Formate des Politischen“ in Berlin diskutierten Wissenschaftler_innen und Journaliste_innen unter dem Titel „Volkes Stimme, Volkes Stimmungen“ über Populismus und antipopulistische Strategien. Eingeladen dazu hatten die Bundespressekonferenz, die Bundeszentrale für politische Bildung und der Deutschlandfunk.

Was ist eigentlich Populismus? Wie unterscheidet sich seine Kritik am politischen Establishment von berechtigter Sachkritik? „Für Populisten sind alle Mitwettbewerber um die Macht auf irgendeine Weise illegitim“, sagte Jan-Werner Müller, Fellow am Institut für die Wissenschaft am Menschen der Princeton University. Es werde nicht wie in jedem normalen politischen Wettstreit über Inhalte und Zielsetzungen gestritten. Müller: „Es wird sofort moralisch gewertet. Der andere ist dann korrupt, ein schlechter Charakter oder gar kriminell.“ Natürlich sei nicht jeder, der Eliten kritisiere, deswegen automatisch Populist. Kennzeichen der Populisten sei eine Art Alleinvertretungsanspruch gegenüber dem „wahren Volk“, aus dem Gegner und Eliten in der Regel ausgeschlossen würden.

„Bild“ und „Bild.de“ haben sich in der Flüchtlingsdebatte für viele überraschend unter der Losung „Refugees welcome“ positioniert. Was Teilen des Stammpublikums des Boulevardblatts nicht sonderlich schmecken dürfte. „Wir sind vermutlich für eine gewisse Klientel die größte mediale Enttäuschung dieses Landes“, mutmaßt „Bild.de“-Chefredakteur Julian Reichelt. Der so wundersam vom Saulus zum Paulus mutierte Reichelt wandte sich dagegen, Absender radikaler und beleidigender Äußerungen in den sozialen Medien gleich unwiderruflich als Produzenten von „hate speech“ zu brandmarken. Damit liefere man „sehr vielen Menschen, die vermutlich noch zugänglich wären für irgendeine Form von Dialog genau die Vorlage, die sie brauchen“. Wer so handle, entfremde sie von jeglicher Form von „konstruktivem politischem Dialog“.

Dialog – schön und gut, findet Alexandra Föderl-Schmid, Chefredakteurin des „Standard“ in Wien. Allerdings lehnte sie es ab, über jedes Stöckchen zu springen, das die Populisten den Medien hinhalten. „Wir müssen uns auch die Frage stellen, ob wir immer Echokammer sein wollen und müssen? Wir sollten nicht auf alle Provokationen, und manche sind sehr gezielt gesetzt, eingehen.“ Als Beispiel nannte sie den FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache, der fast schon gewohnheitsmäßig mindestens einmal im Jahr vor der Gefahr eines Bürgerkriegs in Österreich warne. Angezettelt von äußeren Mächten, versteht sich. Auf solche Provokationen reagierten die Medien reflexhaft mit empörten Kommentaren. Ein Fehler, findet Föderl-Schmid. Denn damit verstärkten sie sowohl die Wirkung der Botschaft als auch die Ängste naiver Bürger.

Anatol Stefanowitsch, Sprachwissenschaftler an der FU Berlin, appellierte an die Medienarbeiter, Sprache sensibler einzusetzen. Der Asylgegner dürfe nicht als „Asylkritiker“ verharmlost werden, schon gar nicht der Rassist als „besorgter Bürger“ weichgezeichnet. Umso schlimmer, wenn auch die Mainstream-Medien teilweise Hassparolen aufgriffen, auf Flüchtlinge draufschlügen, sie als potentielle Sozialbetrüger verunglimpften. Das führe nur dazu, dass der ganze Diskurs „noch weiter nach rechts verschoben werde. „In dem Augenblick, wo auch die Medien anfangen, diese Sprache zu übernehmen, weil sie zum Beispiel in Pressemeldungen auftaucht, die einfach erst mal übernommen werden, ist das ja plötzlich sagbar geworden“, urteilt Stefanowitsch. Damit hätten Populisten den Anstoß, „das Ganze noch weiter ins Extreme zu verschieben“.

Eine Tendenz, die sich an der Medienstrategie eines Donald Trump im US-Wahlkampf gut beobachten lässt. Die Bürger wissen nicht mehr, woran sie sind, referierte Princeton-Fellow Jan-Werner Müller. Allgemeiner Skeptizismus mache sich breit. Dem Wahlvolk erschienen alle Autoritäten suspekt. Da wirke Trump, der selbsternannte „Hemingway der 140 Zeichen“, wie die ideale Verkörperung des postfaktischen Zeitalters. Er lüge, dass sich die Balken biegen. Es gebe inzwischen einen rapide wachsenden Wissenschaftszweig, die „Trumpologie“. Motto: Alles um Trump herum sei Bullshit. Es gehe nur noch um die direkte Identifikation mit irgendeiner Führerfigur. Welche Blüten dieses Prinzip im US-amerikanischen Wahlkampf treibt, demonstrierte Müller am Beispiel einer Website mit dem bezeichnenden Namen „Info-Wars“ – also: „Informationskriege“, betrieben von dem so genannten „Talkradio-Host“ Alex Jones. Der hatte behauptet, sowohl Obama als auch Clinton stammten direkt aus der Hölle – all diejenigen, die sich ihnen wirklich nähern, könnten „diesen Geruch von Sulfur feststellen“. Müller: „40 Prozent der Trump-Unterstützer in Florida sagen: Ja, das glauben wir auch.“

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