Medien und Verantwortung

Zum 50. Jahrestag des Attentats auf Rudi Dutschke

Am 11. April 1968 schoss Josef Bachmann dreimal auf Rudi Dutschke, das „dreckige Kommunistenschwein“. Eine Woche zuvor wurde Martin Luther King erschossen, zwei Monate später wird der US-Präsidentschaftskandidat Robert F. Kennedy Opfer eines Mordschützen. Drei Attentate des Jahres 1968, gegen Menschen, die den Regierenden kritisch gegenüberstanden und traurige Höhepunkte einer Stimmungsmache. Manche aktuelle Äußerung erinnert durchaus an den damals praktizierten „guten” Ton im Umgang mit Andersmeinenden.

Viele junge Leute beschäftigten sich in den 1960er Jahren kritisch mit der Rolle ihrer Elterngeneration als „schweigende Mehrheit“. Dem setzte man ein öffentliches Bekenntnis für die Mitverantwortung am politischen und gesellschaftlichen Geschehen entgegen. Die Außerparlamentarische Opposition (APO) mag mit der Idee demokratischer Selbstverwaltungen der Universitäten begonnen haben. In den Blickpunkt der Kritik rückte auch der Krieg der USA gegen Vietnam, das sich vom Westen abgewendet hatte. Auf jegliche Kritik an den „Befreiern“ (die im Kalten Krieg das antisowjetische Feindbild der Nazis übernommen hatten) reagierte die offizielle Bundesrepublik mit Unwillen und Wasserwerfern, sekundiert von führenden Medien. Am 17. und 18. Februar 1968 klagten 5.000 Teilnehmer des Vietnam-Kongresses an der Technischen Universität Berlin den Krieg als verbrecherisch an.

Das konnte Westberlins Senat nicht stehen lassen. Am 21. Februar 1968 wurde unter dem Motto „Berlin steht für Freiheit und Frieden“ das Gutbürgertum zur demonstrativen Politur des US-freundlichen Stadtbildes mobilisiert. Vor dem Schöneberger Rathaus, dem Sitz der Stadtregierung, entdeckte der Pressefotograf Jürgen Henschel einen älteren Herrn und sein Plakat mit der Aufschrift „Volksfeind Nr. 1 Dutschke” – ein Stimmungsbild. Schon der erste Redner, der SPD-Mann Jürgen Grimming, diffamierte die außerparlamentarischen Kritiker als Verbrecher, „die Lehrfilme zum Bau von Molotow-Cocktails zeigen, die Fensterscheiben einschlagen, die in Kirchen randalieren“. Und – die im Kalten Krieg schlimmstdenkbare Kriminalisierung – die „mit dem Kommunismus gemeinsame Sache machen”.

So wurde die Stimmung gegen Anders- und Querdenker offiziell geschürt, Wutbürgertum als Gutbürgertum hingestellt: Auf dem Ku‘damm fuhr ein Autofahrer in eine Gruppe Gegendemonstranten. Während der Kundgebung wurden Menschen gejagt, die dem medial gelehrten Zerrbild linksradikaler Studenten entsprachen. Sogar ein Polizeifahrzeug wurde attackiert, in das sich ein Verfolgter vor dem Mob geflüchtet hatte.

Nein, die Bild-Zeitung hatte den DDR-Flüchtling Rudi Dutschke nie als einen „Staats- oder Volksfeind Nummer 1“ bezeichnet. „Andererseits kann auch kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass sie ihn — auch ohne ihn wörtlich als solchen zu bezeichnen — genau so behandelt haben.“ So charakterisiert Stefan Niggemeier in seinem Bild-kritischen Blog die Stimmungsmache.

Die APO sah daher den Springer-Konzern als mitverantwortlich für das Attentat auf Dutschke; noch am Abend des 11. April zog man vor das Springer-Haus. Verlagsfahrzeuge und Zeitungen wurden in Brand gesetzt. Später wurde bekannt, dass ein V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes Molotow-Cocktails verteilt hatte und damit der Springer-Presse den „Beweis“ der Gewaltbereitschaft der Linken lieferte. Dagegen war der Dutschke-Attentäter Bachmann „nur” ein Irrer! Mit dieser Titelstory stahl sich Bild am 14./15. April aus der Verantwortung und hetzte daneben weiter: „Dutschke flucht wieder“.

„Volksfeind Nr. 1“? Die Bild-Zeitung hat Hassattacken ebenso wenig erfunden wie vereinigungsgefrustete Ossis; Antisemitismus wurde nicht von migrierten Arabern importiert, Fremdenhass nicht von rechtsradikalen Bombenlegern und den sie „beobachtenden” Verfassungsschützern erdacht.

Hass hat (nicht nur in Deutschland) eine jahrhundertelange Tradition in der politischen Kommunikation. Kreuzzugsheere, Inquisitoren, Herrscher großer und kleiner Reiche beseitigten jahrhundertelang politische Gegner, wirtschaftliche Konkurrenten, Andersgläubige, Randgruppen. Die wurden mal als „Ketzer”, “Hexen”, „Erbfeinde” oder „Untermenschen” deklassiert. Mal wurden Juden, mal Kommunisten und heute „der Islam” zum Bösen auf Erden erklärt. Das geschah noch bis in die 1960er Jahre hinein mit christlichem Segen. Feindbilder dienten der „Verteidigung, dem Schutz und der Errettung der ganzen Zivilisation”. (US-Kardinal Spellman 1966 über den Vietnam-Krieg)

Meinungen und Stimmungen wurden im Mittelalter von Kanzeln gepredigt, im 20. Jahrhundert von gedruckten Massenmedien geschürt. Jetzt werden die digitalisierten Kreuzritter über das Internet mobilisiert.

Weitere aktuelle Beiträge

Vernetzte Frauen im Journalismus

Sich als Frau in einer Branche behaupten müssen, in der Durchsetzungskraft und Selbstbewusstsein entscheidende Faktoren sind: Für Generationen von Journalistinnen eine zusätzliche Belastung im ohnehin schon von Konkurrenz und Wettbewerb geprägten Beruf. Angesichts dieser Herausforderung sind Netzwerke und solidarische Bündnisse von großer Bedeutung. Der Journalistinnenbund (JB) hatte hierbei seit seiner Gründung im Jahr 1987 eine Vorreiterrolle inne. Sein Anliegen: Geschlechtergleichstellung in den Medien erreichen.
mehr »

Aktive Medien gegen Rechts

„Wie weiter?“ – unter dieser Fragestellung wollten am 7. Mai in der rheinland-pfälzischen Landesvertretung in Berlin Medienpolitiker*innen und Journalist*innen über „Visionen für eine demokratische Medienlandschaft“ diskutieren. Den Rahmen bildete das Roman Brodmann Kolloquium zum Oberthema „Rechtsruck in Europa! Ohnmacht der Medien?“ Anstelle von überzeugenden Visionen spiegelte die Debatte eher die Ratlosigkeit der Demokraten angesichts eines erstarkenden Rechtsextremismus.
mehr »

Von Drehtüren und Seitenwechslern

Seit gestern hat Deutschland eine neue Bundesregierung. Das Personalkarussell dreht sich - sowohl in der Politik als auch in der PR. Einige prominente Namen der künftigen Mannschaft von Bundeskanzler Friedrich Merz kommen aus dem Journalismus. Zu den spektakulärsten Seitenwechseln zählen die Personalien Stefan Kornelius und Wolfram Weimer. Kornelius, seit 2000 in leitender Funktion bei der Süddeutschen Zeitung, zuletzt als Ressortleiter Politik, tritt die Nachfolge von Steffen Hebestreit (SPD) als Regierungssprecher an. Mit Weimer wird gar ein Verleger („Business Punk“) und Publizist („Cicero“) und Ex-Focus-Chefredakteur neuer Staatsminister für Kultur und Medien.
mehr »

Gutes Ergebnis für die VG Wort

Im Jahr 2024 hat die VG Wort 165,64 Millionen Euro aus Urheberrechten eingenommen. Im Vorjahr waren es 166,88 Millionen Euro. Aus dem Geschäftsbericht der VG Wort geht hervor, dass weiterhin die Geräte-, und Speichermedienvergütung der wichtigste Einnahmebereich ist. Die Vergütung für Vervielfältigung von Textwerken (Kopiergerätevergütung) ist aber von 72,62 Millionen Euro im Jahr 2023 auf nun 65,38 Millionen Euro gesunken. Die Kopier-Betreibervergütung sank von 4,35 auf 3,78 Millionen Euro.
mehr »