Von Gerechtigkeit, Vielfalt und Teilhabe in den Medien
„Für ein soziales und geschlechtergerechtes Europa” werben Gewerkschafterinnen zum Internationalen Frauentag. Was können Medien dazu beitragen? Anregungen lieferte die Jahrestagung des Netzwerks Medienethik zu „Medien, Ethik und Geschlecht. Gerechtigkeit und Vielfalt in der Medienwelt”.
Die verunglückten Näherinnen in einer Textilfabrik in Bangladesh sind in der FAZ „Arbeiter”, die kritisierte Kieler Ex-Oberbürgermeisterin ist „hysterisch”. Diese Beispiele zeigen, wie unsensibel Medienschaffende mit Vielfalt und Unterschieden umgehen, wie hartnäckig Klischees sich in den Köpfen halten. Derartige Diskriminierungen werden als solche kaum wahrgenommen, denn sie sind tief verankert in patriarchalen Strukturen und neoliberalen Wertvorstellungen unserer Gesellschaft. Welche Perspektiven hat da ein fairer Journalismus?
Denkanstöße aus der Praxis gab Susanne Gaschke – die Politikredakteurin, die Kieler Oberbürgermeisterin wurde und im Oktober 2013 wegen eines beanstandeten Steuervergleichs und der heftigen Berichterstattung darüber zurücktrat. Sie reflektierte über „Fehlentwicklungen in der Mediendemokratie”. Eine ist die verbreitete Selbstwahrnehmung von Journalisten als „Schiedsrichter”, die neutral berichten, obwohl jeder wissen müsse, „dass er die Welt nach subjektiven Kriterien sortiert”. Das hänge damit zusammen, so Gaschke, dass Entscheidungspositionen zumeist mehrheitlich mit Männern besetzt sind, die weniger zu Empathie neigten als Frauen.
Per Federstrich demontiert.
Die „härtesten Klopper kamen von Männern”, meint Susanne Gaschke rückblickend auf ihren Fall – insbesondere auf Berichte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und den Kieler Nachrichten. Als Frau wurde sie „psychiatrisiert”. Menschen würden „mit ein paar Federstrichen demontiert” und wenn die Beschuldigungen sich als falsch erwiesen, kaschierten die Medien ihr Fehlverhalten. Dieser „Unmöglichkeit von Selbstkritik” solle mit „anderen Medienseiten” begegnet werden, die sich der Sicht der Betroffenen annehmen – als Gegengewicht zur geballten Meinungsmacht. Während die Kieler Nachrichten auf Seite eins über einen Nötigungsvorwurf gegen sie und ihren Mann berichteten, erschien die Gegendarstellung als kleine Notiz im Lokalteil. Als weitere Fehlentwicklung nannte Gaschke das „Killernarrativ”, das der Skandalisierung innewohnt. Da herrsche eine Themenkonvergenz und „kaum einer hat den Mut, das heikle Thema ganz anders zu sehen”. Die meisten Skandalwortführer seien Männer, die „den Rationalitäten ihres Jobs” folgten.
Mehr Empathie für die Betroffenen – ist das der Schlüssel zu mehr Vielfalt und Fairness in der Berichterstattung? Ein breites Forum für Betroffene eröffnete 2013 der Hashtag „aufschrei”, mit dem Anne Wizorek auf den Sexismusvorwurf der Stern-Journalistin Laura Himmelreich gegen den FDP-Politiker Rainer Brüderle reagierte. Sie erhielt dafür den Grimme Online Award, weil die Sexismusdebatte in Deutschland durch ihre Webinitiative „sämtliche Mediengrenzen übersprang”.
Wie die inhaltliche Debatte verlief, referierten die Salzburger Kommunikationsforscherinnen Ricarda Drüeke und Elke Zobl. Sie hatten #aufschrei-Tweets von Januar bis März 2013 analysiert. Zunächst seien eigene Erfahrungen mit Sexismus beschrieben worden, dann folgte eine allgemeine Debatte über Alltagsdiskriminierungen. Zur Sexismusdebatte selbst zählen sie 28 Prozent der Kurznachrichten, 12 Prozent setzen sich mit den Mainstream-Medien auseinander, die z.B. über den „Tugendfuror”-Vorwurf Bundespräsident Gaucks berichteten. Es habe aber kaum Hinweise auf Mehrfachdiskriminierungen – etwa wegen Geschlecht und Herkunft – gegeben. Die Kritik an den zugrunde liegenden patriarchalen Strukturen wird vor allem in feministischen Blogs weitergeführt. Antifeministische Tweets bilden später eigene Hashtags wie „gegenschrei”. Drüeke und Zobl resümierten, dass der Bewegungskultur eine Mobilisierung der Bevölkerung gelungen sei. Das bestätigen ihre Salzburger Kolleginnen Martina Thiele und Marlene Gsenger nach einer Analyse von Emma, Spiegel und FAZ: „Festzuhalten bleibt, dass der #aufschrei gehört wurde, dass er laut genug war, um auch von den zuweilen tauben Noch-Meinungsführermedien wahrgenommen zu werden.” So kann die Verknüpfung von Off- und Onlinekommunikation eine breitere Teilhabe am Diskurs über Anerkennung von Vielfalt und Gerechtigkeit befördern.
Über nationale Grenzen hinaus.
Wie sieht dieser Diskurs aus, wenn es um weltweite, kosmopolitische Zusammenhänge geht? Die Kommunikationsforscherinnen Elke Gritmann und Tanja Thomas untersuchen das anhand einer Analyse von Berichten über den Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesh im April 2013. Ihr vorläufiges Fazit: Die westliche Perspektive dominiert die Berichterstattung. Da geht es z. B. um Imageschäden deutscher Unternehmen, die Textilien aus Bangladesh beziehen, und die Verantwortung der KonsumentInnen, die billige Kleidung kaufen. Argumentiert wird auf der Ebene des Konsums, nicht politischer globaler Verantwortung. Adressiert werden die Menschen als VerbraucherInnen, nicht als (Welt-)BürgerInnen. Möglicherweise hängt das damit zusammen, dass in der Bundesrepublik neoliberale Werte von Wettkampf, Stärke und Leistung dominieren, politische Ideale wie Anerkennung von vielfältigen Identitäten, Fairness und Empathie für andere zweitrangig geworden sind.
Vielleicht muss die journalistische Ethik die eigenen Wertmaßstäbe stärker vor dem Hintergrund dieser dominierenden gesellschaftlichen Normen hinterfragen. Mehr Frauen sind kein Garant für Fairness. Sie sind aber ein Hinweis auf die Anerkennung von mehr Vielfalt und Unterschiedlichkeit und damit auch mehr Gerechtigkeit in Medien und Gesellschaft.