Mehr Qualität – trotz Krise

Wozu noch Recherche – lautete die zentrale Frage auf dem 16. Journalistentag in Köln

„Wozu noch Recherche? Qualitätsstandards im Journalistenalltag“ – unter diesem Motto diskutierten rund 120 Journalisten und Journalistinnen am 9. November im Kölner Funkhaus des WDR über ihr berufliches Selbstverständnis und den gesellschaftlichen Auftrag. Der 16. Journalistentag 2002 von dju und RFAV stand ganz im Zeichen der ökonomischen Krise von Verlagen und Sendern mit teilweise verheerenden Auswirkungen auf Beschäftigungschancen und Arbeitsbedingungen von Redakteuren und Freien.

Nach einem Tag mit Vorträgen, Podiumsdiskussion und knapp bemessener Zeit für Workshops blieben mehr Fragen als Antworten: Verstellen die akuten Existenzängste von Festangestellten und Freien den Blick auf die Ursachen eines „schleichenden Identitätsverlusts des Journalismus als unabhängige Vermittlungsinstanz von Information“, wie es Professor Martin Löffelholz formulierte? Kann man wirklich darauf setzen, dass das Publikum (mehr) Qualität einfordert oder ist das eine weltfremde Hoffnung? Reicht es, einfach „guten“ von „schlechtem“ Journalismus zu unterscheiden oder geht es darum, die Grenzen zwischen investigativer, aufklärerischer Publizistik und Auftragsjournalismus wieder schärfer zu ziehen? Und wie lassen sich schließlich im gewerkschaftlichen Handeln die Ziele Beschäftigungs- und Qualitätssicherung verknüpfen?

Frank Werneke, ver.di-Fachbereichsleiter Medien, kritisierte vor dem 16. Journalistentag jene Verlagshäuser, die mit Verweis auf den Tendenzschutz keinen Einblick in ihre Bücher gewähren und lieber Personal entlassen, als mit der Gewerkschaft über einen Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung zu verhandeln. „Eindeutige Verlierer der Krise sind die Beschäftigten“, so Werneke. „Die Freien sollen Honorarkürzungen und Knebelverträge schlucken und die Redakteure werden mit Stellenabbau und Arbeitsverdichtung konfrontiert.“ Eine besondere Gefahr für die Pressevielfalt gehe in der gegenwärtigen Lage von den Verlagen aus, unterstrich Werneke, die zu den Krisengewinnern gehören und jene Häuser aufkaufen wollen, die nicht liquide sind: „Die dju wird sich einer Lockerung des Wettbewerbs- und Kartellrechts widersetzen und für eine konsequente Medienkontrolle eintreten.“

Sorgfältigkeit hat ihren Preis

WDR-Intendant Fritz Pleitgen sah ebenfalls eine „bedenkliche Entwicklung zu Monostrukturen in der Medienlandschaft“. Es dürfe nicht so weit kommen, betonte der ARD-Vorsitzende, dass es künftig heiße: „Wozu noch Recherche? Die Realität passt sich doch dem journalistischen Sachverstand an!“ Pleitgen unterstrich, sorgfältige Recherche habe ihren Preis: „Sie kostet mehr Zeit; das verlangt mehr Personal und mehr Geld.“ Der WDR-Chef sieht die Gefahr, dass angesichts knapper Kassen „die gesellschaftspolitische Aufgabe der Presse, Orientierung und Aufklärung zu liefern, untergeht“. Die Bevölkerung habe jedoch Anspruch auf Qualität und das heiße für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, „dass er seine Aufgabe, valide Informationen vielfältiger Art zu liefern, erst recht erfüllen muss“.

Pleitgen deutete einen Trend an, der unabhängig von ökonomischen Zwängen zu einer Verflachung journalistischer Arbeit führt: „Medien beziehen sich gerne auf Medien. Und das heißt, dass die Leitmedien nicht nur die Themen bestimmen, sondern auch die Sicht auf die Themen.“ Auf Erosionsprozesse solcher Art machte im Anschluss auch Hauptreferent Martin Löffelholz aufmerksam. Er diagnostizierte einen „schmalen Grat zwischen Marktanpassung und publizistischer Verantwortung“, auf dem Journalisten und Journalistinnen täglich wandern. Der Ilmenauer Professor für Kommunikationswissenschaft empfahl, die Mechanismen, nach denen die Medienwirtschaft funktioniert, stärker öffentlich bekannt zu machen und auch die deutliche Kritik untereinander nicht zu scheuen: „Das Publikum muss erfahren, was ihm entgeht.“

Für eine gewerkschaftliche Qualitätsoffensive

Derart eingestimmt, unternahmen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Journalistentags in drei Workshops den Versuch, die Klagen über den Zustand der Zunft zu konkretisieren und Forderungen zu entwickeln. Wie ein roter Faden zog sich durch die Debatten der Wunsch nach einer gewerkschaftlich flankierten „Qualitätsoffensive“. Und das heißt: Fortbildungen anbieten, um das eigene Hintergrundwissen zu erweitern; ein Informationsnetzwerk knüpfen, das fundierte Recherchen erleichtert; spezielle Recherchestipendien ausloben für jene, die sich im investigativen Journalismus üben wollen; Qualitätsstandards für einen unabhängigen und aufrechten Journalismus entwickeln; das Berufsbild und die Grenzen zu berufsfremden Aufgaben in Technik und Gestaltung schärfen.

Die Lokalberichterstattung erlebt angesichts „globaler“ Medien wie dem Internet eine Renaissance. So häufig diese Meinung in medienpolitischen Diskursen vertreten wird, so unklar bleibt meist, was damit inhaltlich gemeint ist: Ein erweiterter und bebilderter Veranstaltungskalender der Kommune? Oder engagierte Beiträge, die dem Slogan „global denken, lokal handeln“ verpflichtet sind? Im Workshop „Globale Themen im Lokalen. Vom Kirchturm in die weite Welt“ untersuchten die Journalistinnen und Journalisten, wie sich die Brücke zwischen daheim und draußen schlagen lässt. Der redlichen Absicht stehe oft der Mangel an Personal, Zeit und Platz entgegen, hieß es. Auch schreie das Publikum nicht gerade nach Artikeln und Sendungen, die etwa die am eigenen Leib erlebte Unwetterkatastrophe mit weltweiten Klimaveränderungen und dem, was daran vom Menschen gemacht sei, in Zusammenhang bringe. Andererseits war den Medienmachern klar, dass die Leser keinen investigativen Journalismus auf lokaler Ebene fordern können, so lange sie seine segensreiche Funktion für ein demokratisches Gemeinwesen nicht erlebt haben. Also müssen die Journalisten in Vorhand gehen, sich weiterbilden, sich vernetzen, sich trauen.

Die Stärkung der eigenen professionellen Kompetenz stand auch im Mittelpunkt der Arbeitsgruppe, die sich dem Thema „Schneller Schein und späte Wahrheit“ widmete. Der in allen Medien herrschende Aktualitätsdruck sei geeignet, einer seriösen, vertieften und kontinuierlichen Berichterstattung den Boden zu entziehen, lautete die Analyse. Mildern lasse sich die Gefahr, wenn es in jeder Redaktion journalistische Fachleute zu verschiedenen Themen gebe, die einschlägiges Agentur- und PR-Material, aber auch die Ansichten von Interviewpartnern sicher beurteilen könnten, die sich als „Experten“ ausgeben. Hilfreich seien auch Checklisten, um im Eifer des Gefechts Recherche- und Qualitätsgrundsätze nicht aus den Augen zu verlieren. Es genüge nicht, eine rein handwerkliche Messlatte für „guten“ Journalismus anzulegen, hieß es. Gutes Handwerk lieferten auch viele Öffentlichkeits- und PR-Arbeiter. Der entscheidende Unterschied bestehe darin, ob ein journalistisches Erzeugnis und dessen Produzent/in dem Gemeinwohl oder Partikularinteressen verpflichtet sei.

„Mit der Maus – ohne Mäuse“ lautete der Titel des dritten Workshops, der die materiellen Arbeitsbedingungen in den Redaktionen sowie die Lage der Aus- und Weiterbildung in der Branche unter die Lupe nahm. Für die vornehmliche Aufgabe der journalistischen Zunft, dem Publikum einen Wegweiser im Dschungel der Vielfalt zu bieten, fehlten immer mehr die Zeit, das Geld und das Personal, hieß die Klage. Häufiger denn je gelte selbst bei Qualitätsmedien der Spruch: „Die Journalisten füllen den Grauwert zwischen den Anzeigen.“ Die Arbeitsgruppe forderte schließlich, der Tendenzschutz müsse fallen. Harte ökonomische Daten seien die Voraussetzung dafür, die Lage der Verlage objektiv einschätzen und beschäftigungssichernde Maßnahmen entwickeln zu können.

Die Podiumsdiskussion „Content Management oder 4. Gewalt“ lud noch einmal zum Perspektivenwechsel ein, denn nun kam die Stunde der Verantwortlichen. Eingeladen waren Vertreter öffentlich-rechtlicher Sender (Harald Brand vom WDR-Regionalfernsehen, Gottlob Schober vom SWR, Kate Maleike vom Deutschlandfunk), einer privaten Produktionsgesellschaft (Ulrich Meyer, Metaproduction), eines Online-Anbieters (Joachim Widmann von der netzeitung) sowie die Chefredakteurin einer Tageszeitung (Isabelle Funk von der Ludwigsburger Kreiszeitung).

Düstere Perspektiven

Aufgerufen, die Zukunft der Medien zu beschreiben, überwogen bei den Chefs eher düstere Perspektiven: viel Arbeit, aber wenig Sicherheit für Journalisten und Journalistinnen; ein vervielfachtes Fernsehangebot, das nicht unbedingt größere Vielfalt bedeute; forcierter Verkauf von „content“, besonders im Internet; verschärfter Druck von Quote und Auflage; schnellere, kürzere und weniger „hintergründige“ Beiträge. Online-Macher Joachim Widmann prognostizierte, die „beschleunigte Form der Tageszeitung“, wie sie jetzt im Netz möglich sei, stelle Printjournalisten vor eine große Herausforderung, die da laute: „Wie machen wir ein interessantes Blatt, obwohl alles schon bekannt ist?“ Chefredakteurin Isabelle Funk entgegnete, die Lokalberichterstattung habe in der Zeitung eine große Zukunft. Dabei gelte: „Wenn wir nicht eigene Themen setzen, gehen wir gnadenlos unter.“

Trotz Hektik genau hinsehen

Gottlob Schober empfahl den Kollegen und Kolleginnen, „aus der klagenden Position heraus zu kommen“. Die lange Zeitspanne, die Journalisten von TV-Magazinen wie Monitor oder Report für die Recherche zur Verfügung stehe, sei zwar ein Privileg: „Doch eins ist auch im hektischen Alltagsgeschäft möglich: genau hin zu schauen und eigenständig zu denken.“ Das Netzwerk Recherche, für das Schober auf dem Podium saß, bietet übrigens Stipendien an (mehr unter: www.netzwerkrecherche.de).

WDR-Mann Harald Brand zog sich den Ärger des Tagungspublikums zu, als er davon sprach, dass sich zwar der Sender immer weniger „niet- und nagelfeste Recherchen“ leisten könne, wohl aber die Freien, die für ihn arbeiteten, die hätten schließlich Zeit. Das löste doch einigen Unmut im Saal aus. „Er würde doch nicht unbezahlte Zeit meinen“, warf dann auch eine Berliner Redakteurin ein. Der Etat, aus dem Journalisten für das gründliche Sammeln und Hinterfragen von Informationen bezahlt werden, reicht jedoch in der Praxis nicht aus, ergab die folgende Diskussion.

Kate Maleike vom Deutschlandfunk brach eine Lanze für den „Servicejournalismus“, wie ihn „Campus & Karriere“ betreibe, das tägliche Hörfunkangebot des Senders rund um Hochschule, Wissenschaft und Beruf. Für den SAT 1-Produzenten Ulrich Meyer steht fest, dass nicht die verantwortlichen Redakteure, sondern die Mediennutzer am längeren Hebel sitzen. Für seine Sendung „Akte“ gelte die Devise: „Nähre dich dort, wo du deinen Zuschauer erreichst.“ So lange er mindestens 14 Prozent seiner Zielgruppe (14- bis 49-Jährige) vor den Bildschirm bekomme, lasse ihn der Sender machen, was er wolle, berichtete Meyer. Schließlich mündete die Podiumsdiskussion in einer Auseinandersetzung darüber, ob das Medienpublikum aufgrund veränderter Hörgewohnheiten keine Beiträge mehr verkrafte, die länger als 3.30 Minuten sind oder ob diesen schnellen Verschleiß der Aufmerksamkeit die Medien selbst verursacht haben, weil sie laufend formatieren, portionieren und nur noch kurze Darstellungsformen pflegen.

Publikum als Bündnispartner

In seiner Bewertung der Tagung unterstrich der kommissarische dju-Vorsitzende Manfred Protze, es sei eine wichtige gewerkschaftliche Aufgabe, „der Gefahr zu begegnen, dass der Journalismus von einer recherchierenden, auswählenden, bewertenden und kreativen Rolle zu einer Transportdienstleistung für angelieferte Informationen verkomme“. Protze fügte hinzu: „Wir müssen das Publikum als Bündnispartner gewinnen, um einen professionellen, am öffentlichen Interesse und Gemeinwohl orientierten Journalismus erhalten zu können.“

In verschiedenen Bundesländern fanden auch in diesem Jahr weitere Journalistentage statt. Der Bericht über den Journalistentag in Baden-Württemberg ist zu lesen unter: www.verdi.de/ bw/fb8/publikationen

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