Menschenrechtsberichterstattung im Zeichen des Terrors

Zu einer Mediendebatte in der Friedrich-Ebert-Stifung

„Alles, was (Menschen-) Recht ist?“ – unter dieser Fragestellung diskutierten Ende September in Berlin Journalisten, Politiker und Vertreter regierungsunabhängiger Organisationen über die „Menschenrechtsberichterstattung in der deutschen Mediengesellschaft“.

Ursprünglich hatte es darum gehen sollen, wie das marginalisierte Thema Menschenrechte in den Medien besser plaziert werden könnte. Doch nach dem 11. September hatten sich die Prämissen der Debatte entscheidend verschoben. Rasch zeigte sich, dass die Terroranschläge in New York und Washington die entsprechenden Bemühungen der regierungsunabhängigen Organisiationen (NGO) nicht gerade erleichtern. Die Attentate in den USA haben Folgen auch für die künftige Debatte um Menschenrechte. Die Öffentlichkeitsarbeit der regierungsunabhängigen Organisationen stößt immer wieder an die Grenzen des Medienmarktes, der sich vor allem an Tagesaktualität und spektakulären Ereignissen orientiert. Menschenrechtsfragen dagegen, so Michael Rediske von „Reporter ohne Grenzen“, haben in der Regel wenig Newswert. Engagierte Berichte in den Medien, die es nach Beobachtungen Rediskes durchaus gibt, bleiben häufig isoliert, bilden allenfalls Inseln und führen so vielfach in eine Art „Betroffenheitsfalle“.

Kommt es in einem Konflikt zu Kampfhandlungen, dies zeigt auch der aktuelle Krieg der USA gegen das Taliban-Regime, geht die notwendige Differenziertheit bei der Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen schnell verloren. Barbara Lochbihler, seit 1999 Generalsekretärin der deutschen Sektion von amnesty international, hat entsprechende Erfahrungen gemacht. Häufig werde AI-Repräsentanten in Konfliktfällen von den Medien um Stellungnahmen gebeten. Die Arbeitsweise von Amnesty erfordere aber Recherchen vor Ort und Prüfung der Quellenlage. Eine Schnellschuss-Diagnose wolle AI nicht abliefern – schon aus Gründen der Glaubhaftigkeit. Lochbihler: „Diesen CNN-Effekt, wie das so schön heißt, können wir nicht bedienen.“ Bewaffnete Anti-Terror-Interventionen, darauf hatte AI in einem Offenen Brief an den UN-Sicherheitsrat schon kurz nach den Terrorattacken hingewiesen, könnten gravierende Verletzungen von Menschenrechten in den betroffenen Regionen auslösen. Die Warnung verhallte ungehört.

Eine kontinuierliche Berichterstattung über Menschenrechte findet hierzulande nicht statt, konstatierte Markus Engels, Referent für Europäische Institutionen und Grundsatzfragen beim SPD-Parteivorstand. Er machte das an verschiedenen Beispielen fest. Unlängst habe die UNO sogenannte „concluding observations“ herausgegeben, in denen sie die Lage der sozialen und Menschenrechte in Deutschland beurteile. Außer ein paar NGO-Vertretern habe niemand diese zur Kenntnis genommen. Dabei gehe es um einen der zentralen Menschenrechtspakte, auf die sich die Welt geeinigt habe. Ein ähnliches Schicksal sei im vergangenen Jahr der von Roman Herzog geleiteten Arbeit an einer Europäischen Grundrechte-Charta widerfahren. Auch die „Fragen der sogenannten Globalisierungsgegner“ gehörten in diesen Zusammenhang. Berechtigte Fragen etwa nach den Ursachen von Armut in der Welt, die Dritte-Welt-Problematik. Engels: „Die Themen finden nicht statt – es sei denn, Genua brennt.“

Die NGOs verstehen sich als Transmissionsriemen zwischen Politik und Öffentlichkeit. Aber selbst engagierte Journalisten, die für das Thema gewonnen werden, scheitern damit häufig später in den Redaktionskonferenzen. Menschenrechtsfragen gelten als wenig sexy und wenig telegen. Ein Vertreter des Vereins iranischer Flüchtlinge klagte, es müsse schon ein deutscher Staatsbürger im Iran verhaftet werden, ehe auf einem privaten TV-Kanal hierzulande die innenpolitische Situation des Landes aufgegriffen werde. Dann aber mit spektakulären Bildern von Steinigungsszenen.

Angesichts der aktuellen Verschärfung des internationalen politischen Klimas könnte das Thema Menschenrechte bald völlig unter die Räder kommen, so die Sorge von WDR-Reporter Arnd Henze. Er arbeitet als US-Sonderkorrespondent unter anderem für die ARD- „Tagesthemen“ und den „Brennpunkt“. Schon würden durch die weltweite Zustimmung zum amerikanischen Militärschlag gegen Afghanistan massive Menschenrechtsverletzungen überall in der Welt in Kauf genommen. Schlimmer noch: Sie würden nicht mehr als solche benannt. Was gestern noch als Menschenrechtsverletzung gegolten habe, verschwinde ab heute unter dem Begriff Kampf gegen den Terrorismus, egal, ob in Tschetschenien, Tibet oder Indonesien. Mit voraussichtlich fatalen Folgen auch für die Berichterstattung, fürchtet Arnd Henze. Zum ersten Mal, so der WDR-Reporter, würden derzeit „massive Denk-, Begriffs- und Argumentationsverbote formuliert“. Bisher sei es nicht nötig gewesen, bei der journalistischen Tätigkeit Zivilcourage zu beweisen. Künftig aber, so Henze, werde es wohl Mut erfordern, „sich einem solchen Denk- und Argumentationsverbot gegen die Umwidmung von Menschenrechtsverletzungen zu Antiterrormaßnahmen zu widersetzen“.

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