Mexiko: Wächter der Wahrheit  

Anabel Hernández und Can Dündar in Mexiko im Dokfilm „Guardians of Truth" (Screenshot)

„In der Türkei kommt man als Journalist wenigstens nur ins Gefängnis, in Mexiko wird man ermordet“, bemerkt  der im Berliner Exil lebende türkische Journalist Can Dündar zu seiner mexikanischen Kollegin Anabel Hernández gleich zu Beginn von „Guardians of Truth“.

Der Film ist der Auftakt einer neuen Doku-Reihe der Deutschen Welle unter der Regie von Dündar und der Journalistin Linda Vierecke, die zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai im Rahmen eines Gesprächs mit den Machern vorgestellt wurde.

Acht Journalisten sind in diesem Jahr bereits in Mexiko ermordet worden, erinnert Anabel Hernández im Anschluss an die Vorführung des Films in der Berliner Kulturbrauerei am Abend des 3. Mai. Verantwortlich macht sie ein korruptes System, das Mexikos Präsident López Obrador, der mit seiner Rhetorik die Saat säe, sowie explizit auch die Vorgängerregierung unter Felipe Calderón, einschließt. „Die Bedrohung kommt auch vom Präsidenten, der Journalisten in Pressekonferenzen attackiert, wenn ihm etwas nicht passt. Das ist verbale Gewalt, die mit dazu führt, dass Journalisten getötet werden“, sagt sie dem Publikum, in dem sich auch der mexikanische Botschafter Francisco Quiroga befand. Später ergänzt sie: „Da die Regierung korrupt ist, ist es leicht, Journalisten, aber auch Frauen und andere unliebsame Personen, zu töten.“

Anabel Hernández ist eine mexikanische Investigativ-Journalistin und Autorin, die aufgrund von Interviews mit Kartellmitgliedern, darunter auch Bosse und Ehefrauen, Korruption und Absprachen zwischen Regierungsbeamten und Drogenkartellen aufdeckte und weiter aufdeckt. Aufgrund der folgenden Schikanen und Morddrohungen war sie gezwungen, ihr Heimatland zu verlassen. Wenn sie über die Dinge redet, die ihr wichtig sind, ist sie voller Leidenschaft. Dann hebt sich ihre Stimme, wird lauter, klarer. Wie sehr sie für ihren Beruf, für ihr Land brennt, wird mit jeder ihrer Bemerkungen, mit jeder ihrer Handlungen mehr als klar. Ob es wichtiger sei, eine Investigationsjournalistin zu sein, die von einer ihrer Reisen mal nicht zurückkommen könne, als Mutter, fragt Can Dündar sie in der 52-minütigen Dokumentation. Nach einer kurzen Bedenkpause sagt sie klar: „Ja!“. Denn Mexiko sei ihr Land, das sie reinigen möchte.

Can Dündar, der 2015 illegale Waffenlieferungen der Türkei nach Syrien aufdeckte, wurde von Präsident Erdoğan als Terrorist bezeichnet. Er floh nach Deutschland, nachdem während seines Prozesses ein Anschlag auf ihn verübt wurde. Dündar ist im Verlaufe seiner Gespräche mit Hernández in der Dokumentation immer wieder sichtbar angegriffen. Er hat selber durchgemacht, wovon sie spricht und er versteht ihre Haltung. „Jemand muss die Opfer bringen“, sagt er später im Gespräch, als er von der Moderatorin Karin Helmstaedt von der Deutschen Welle, auf den türkischen Kulturmäzen Osman Kavala angesprochen wird, der wegen seiner Staatskritik zu lebenslanger Haft verurteilt worden ist.

Dündar schließt sich hier nicht aus. Für ihn sind die Einschränkungen der Pressefreiheit, bei denen er auch eine Zunahme im Westen sieht, „eine globale Krankheit – wie Corona“. Dies zu benennen und aufzuzeigen ist der Anspruch der Reihe „Guardians of Truth“ – Wächter der Wahrheit. Die Idee, dass sich Can Dündar mit verschiedenen Journalist*innen, Künstler*innen, Aktivist*innen aber auch Unternehmern und anderen Kämpfern für die Meinungs- und Pressefreiheit trifft, stammt von Tim Klimeš, dem Leiter der Dokumentarfilmabteilung der Deutschen Welle.

Dies stellt Can Dündar vor eine besondere Herausforderung: „Als Journalist sollte man nicht Teil der Geschichte sein, aber hier sind wir es geworden, auch wenn wir damit nicht glücklich sind.“ Jedoch ist dies durchaus auch als Glücksfall zu werten. Denn zweifelsfrei berichtet hier ein Journalist, der weiß, worum es geht. „Ich war mir über meine Rolle in der Dokumentation nicht sicher“, sagt er gleich zu Beginn des Gesprächs. „Denn es ist ja auch meine Geschichte. Da ist es schwer objektiv zu sein.“ Diese Gradwanderung ist in dem Film gut zu erkennen; sie ist transparent, so wie Dündar es sich wünscht. Sie ist aber auch bereichernd, weil durch emotionale, persönliche Einblicke die Höhe des Preises deutlicher wird, den Investigativ-Journalisten zahlen – selbst, wenn sie überleben und weiter arbeiten können. Und: So können die Zuschauer eine persönliche Beziehung zu Anabel Hernández – aber auch Can Dündar – sowie ihren Haltungen herstellen, was es leichter macht ihren beruflichen Antrieb nachzuvollziehen.

„Durch dieses Projekt konnten wir unsere Gefühle und unser Leiden teilen“, sagt Dündar und setzt hinzu: „Wir gehören zu den Glücklichen, weil wir noch leben.“ Und so war die Reise nach Mexiko für ihn auch eine Bestätigung, dass man nicht alleine ist in seinem Kampf. „Hunderte an Journalisten kämpfen in Mexiko täglich für die Wahrheit“, sagt Anabel Hernández, die sich bei ihren Mexiko-Besuchen nur mit Bodyguards bewegen kann. „Sie sind die Guardians of Truth, nicht Anabel Hernández.“

Und dennoch. Für die Zuhörer des Abends, hat Anabel Hernández noch eine unangenehme Wahrheit bereit, die von wohlhabenden, gebildeten, funktionierenden Drogenkonsumenten allzu gerne verdrängt wird: „Jedes Mal wenn jemand in einem reichen Land Drogen kauft, kauft man auch Drogen von den mexikanischen Kartellen“, erinnert sie. „Das führt dazu, dass in Mexiko Menschen ermordet werden und am Ende eventuell auch ich!“ Doch das ist es nicht allein. „Mexiko ist nicht das Problem, sondern das Symptom. Was dort passiert, ist die Konsequenz des Drogenkonsums und der damit einhergehenden Korruption anderswo“, sagt sie während sie warnend auf die Entwicklungen in den Niederlanden verweist. Denn die Wahrheit ist, dass unser eigenes, unüberlegtes Verhalten zu oft zu grauenhaften Folgen anderswo führt.

Die deutsche Fassung der Dokumentation „Guardians of Truth – Can Dündar meets Anabel Hernández“ ist abrufbar unter: youtube.com/dwdoku. Weitere Folgen erschienen in unregelmäßigen Abständen. Eine weitere Folge wurde bisher nicht angekündigt.

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