„Wir alle dürfen nicht nachlassen, müssen weiter solidarisch sein.“ In einem offenen Brief an Deniz Yücel, den „Welt“-Korrespondenten in türkischer Haft, umreißen taz-Journalistin Doris Akrap und zwölf Kolleg_innen die Akzente dieser Jahrestagung des Netzwerks Recherche am 9. und 10. Juni: Gefährdung der Pressefreiheit durch Populisten und Autokraten, Ringen um ein neues journalistisches Selbstverständnis.
Unter den 700 Teilnehmenden der Tagung am zweiten Juni-Wochenende in Hamburg waren diesmal besonders viele Journalist_innen aus aller Welt. Viele mussten aus ihren Heimatländern fliehen. Die 136 Veranstaltungen standen unter dem Motto „Leiden schafft Recherche“. Wie Hetze gegen Medien und Sorge um Demokratie Journalist_innen neue Impulse für Recherche geben, zeigte der Blick über den Tellerrand: In den USA ist die New York Times durch Fact-Checking der Trump-Twitter wieder in die schwarzen Zahlen gekommen, der Undercover-Journalist Anas Aremeyaw Anas aus Ghana recherchiert erfolgreich Missstände in afrikanischen Gesellschaften und prangert die „bad guys“ an – unter dem Motto „name, shame and jail“. Am „Ende des Tages“ zähle bei seinen Recherchen der „Nutzen für das Volk“, sagte der aus Sicherheitsgründen maskierte Journalist.
Intensive Recherche ist auch notwendig, um gut vorbereitet „kontroverselle Interviews“ zu führen wie Armin Wolf, Redakteur beim Österreichischen Rundfunk ORF, ausführte. Er wurde „für seine unerschrockene und hartnäckige Art der Interviewführung“ im Nachrichtenmagazin „ZiB 2“ mit dem „Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen“ von Netzwerk Recherche (nr) ausgezeichnet. In einer Diskussionsrunde zum Kampf um Aufmerksamkeit sagte er, man müsse Infos so verpacken, dass möglichst viele Leute sie schauen wollten. Er versuche, „als Stellvertreter des Publikums Fragen an Politiker zu stellen und sie mit Gegenargumenten zu konfrontieren“. Den Vorwurf von ORF-Publikumsrat Peter Vitouch, er betreibe keine objektive Berichterstattung, sondern „destruktiven Journalismus“, konterte er: „Ich vertrete jeden Tag eine andere Meinung, abhängig vom Interviewpartner.“ Er behandle FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache nicht anders als Außenminister Sebastian Kurz. Beim Umgang mit Rechtspopulisten, sei es besonders wichtig, nicht „auf jede Provokation draufzuspringen“.
Rechtspopulisten in Deutschland sind im Internet groß geworden, so Politikberater Martin Fuchs in einem Panel zum „Stimmenfang im Netz“. Facebook biete der AfD die Infrastruktur, die sie selbst nicht hat. SPD-Vize Ralf Stegner, der genauso wie Kollege Heiko Maas häufig AfD-Zielscheibe ist, berichtete, gegen Drohungen und Falschmeldungen erstatte er Anzeige. Man müsse solche Anzeigen öffentlich machen, um gegen Hetze im Netz vorzugehen, forderte Fuchs. Bisher hätten nur die Grünen eine Netz-Feuerwehr. Eine Facebook-Gruppe meldete in den vergangenen neun Wochen drei Fälle von Fake News. Die Crowd protestierte und die AfD habe die Meldungen rausgenommen. Die anderen Parteien hätten es „verschlafen, ihre Mitglieder zu mobilisieren – zumal sie gerade einmal von 30 Prozent eine Emailadresse haben“.
Hasspost mit Namen und Anschrift
„Das Internet wird wichtiger für die Meinungsbildung, der etablierte Journalismus verliert,“ so Filmautor Stephan Lamby, der in „Die nervöse Republik“ die Verunsicherung in Politik und Medien dokumentiert. Online gebe es „schrillere Themen“ und massenweise Beleidigungen. Panorama-Redakteurin Anja Reschke gestand mit Blick auf den NDR-Chat „Sag’s mir ins Gesicht“, sie habe „keine Lust auf Auseinandersetzungen mit nach Aufmerksamkeit gierenden, pöbelnden Personen, die keine ernsthafte Debatte wollen“.
Laut Publizistin Carolin Emcke werde der Hass „enthemmter, schamloser“. Briefe seien früher anonym gewesen, jetzt trage Hasspost Namen und Anschrift. In Deutschland gebe es schon immer Rassismus, nun sei er „nicht mehr randständig, sondern geduldet in der bürgerlichen Mitte“, analysierte sie auf der Veranstaltung „Volksfeinde, Terroristen, Lügner. Wie Journalist/innen weltweit bekämpft werden“. ARD-Sportreporter Hajo Seppelt bekam während der Olympiade in Rio Personenschutz, da er Drohungen erhielt, nachdem er staatliches Doping in Russland aufgedeckt hatte. Dort herrsche ein anderes Grundverständnis von Journalismus: Es gelte zunächst, das eigenen Land zu verteidigen. ROG-Geschäftsführer Christian Mihr beklagte den „Relativismus der Werte“, der die allgemeinen Menschenrechte nicht absolut setze. Er berichtete aus der Türkei, dass dort immer noch mutige Menschen versuchen, journalistisch zu arbeiten, obwohl die Regierung die „roten Linien“ täglich verändert. Auch Anwälte, die sie vertreten, würden unter Druck gesetzt.
… was aus der Demokratie wird
Bezogen auf Deutschland erklärte Carolin Emcke, bestimmte Medien mit Lust auf Skandal und Freaks hätten ihren Anteil daran, dass die Zivilgesellschaft destabilisiert werde. Journalist_innen würden von außen und innen unter Druck gesetzt. Wenn Medien als „Lügenpresse“ und ihre Mitarbeitende als „Propagandisten“ diffamiert werden, spräche man ihnen Neutralität ab. Aber auch in redaktionellen Diskursen würden diejenigen, die sich für Menschenrechte engagieren, als Aktivisten beschimpft. Journalist_innen sollten deshalb selbstkritischer sein, aber auch selbstbewusster: “Von unserer Arbeit hängt es ab, was aus der Demokratie wird.“
Wie diese Arbeit sich verändert hat, spiegelt sich bei Hans Leyendecker, der den „Ehrenleuchtturm“ für sein Lebenswerk erhielt. Der einstige Mitbegründer des Netzwerks Recherche wurde insbesondere für sein „Beharren auf sauberes Handwerk und seine selbstkritische Haltung“ ausgezeichnet. Er habe sich – so Leyendecker – vom „arroganten Einzelkämpfer“ in der „Badewannenabteilung“ des Spiegel („Flick-Affäre“,Traumschiff-Skandal um Lothar Spät) zum Teamplayer im Rechercheteam der Süddeutschen Zeitung („Panama Papers“) entwickelt, der angesichts der vielen Terrabites erschrecke.
Neben lockeren Plauderrunden gab es auf der Mammuttagung viele Workshops und Panels, die Faktenchecking, Datenjournalismus, Medienrecht und „anderen“ Journalismus (Leser finanziert, Perspektivwechsel) vertieften und wegen des großen Interesses teilweise wiederholt werden mussten.
„Verschlossene Auster“ geht an die Regenbogenpresse
Nicht einen „Informationsblockierer“, sondern gleich eine ganze Branche hat das Netzwerk Recherche auf seiner Jahreskonferenz in Hamburg mit seinem Negativpreis ausgezeichnet. Die „Verschlossene Auster“ ging an die Verlage der Regenbogenpresse. Stellvertretend gewürdigt wurden die Funke Mediengruppe, die Hubert Burda Media Holding und die Bauer Media Group.
Nach Ansicht von Netzwerk Recherche untergraben die Preisträger das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit und Seriosität von Medien “mit irreführenden Schlagzeilen, falschen oder erfundenen Texten, fehlender Nachfrage bei den Betroffenen, Manipulationen von Fotos und nicht selten der Verletzung von Persönlichkeitsrechten“.
Alle Verlage wiesen die Kritik zurück. Die Funke Mediengruppe konterte, „Yellows sind ein wichtiger Bestandteil unserer vielfältigen Presselandschaft. Wir richten die Themen entsprechend der Erwartungen unserer Leserinnen und Leser aus.“ Die Burda Media Holding konstatierte, gegenüber der kritisierten „Freizeit Revue“ habe es in der jüngeren Vergangenheit keine Beschwerden vom Deutschen Presserat gegeben. „Diese Form des unterhaltenden Journalismus als besonders kritikwürdig einzustufen und sich damit über Abertausende von Kolleginnen und Kollegen sowie Millionen von Leserinnen und Lesern zu erheben, empfinden wir als anmaßend“, erklärte die Bauer Media Group.