Nachwuchssorgen bei Lokalzeitungen

Foto: wen

Gute Bewerber gewinnen – „ein Megathema für die Branche“

„Irgendwas mit Medien“ war lange ein Wahlspruch von Abiturienten. Ziemlich ungenau und oft mit illusorischen Vorstellungen behaftet. Fragen wir genauer: „Irgendwas mit Zeitung“, wie sieht es damit heute aus? Offenbar nicht nur rosig. Die Initiative Qualität im Journalismus, in der auch die dju in ver.di mitarbeitet, veranstaltet Ausbildungskonferenzen zum Thema „Die Besten gewinnen“. Die nächste Konferenz am 15. September in Bonn widmet sich ganz dem Thema Volontariat. Im Umfeld der Jahrestagung des Verbands Deutscher Lokalzeitungen (VDL) im Frühjahr in Berlin war mehrfach von Nachwuchssorgen bei Lokalzeitungen zu hören. M fragt nach und macht einige Stichproben.

Stefan Waldschmidt, Verband Deutscher Lokalzeitungen
Stefan Waldschmidt, Verband Deutscher Lokalzeitungen

„Insgesamt hat die Zahl der Bewerbungen in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen“, bestätigt Stefan Waldschmidt, Referent beim Verband Deutscher Lokalzeitungen. Es meldeten sich mehr junge Frauen mit Interesse an Praktikum und Volontariat, doch bei den Einstellungen halte sich das mit den Männern die Waage. Regelmäßig würden die Lokalzeitungen den ausgelernten Volontär_innen auch Übernahmen anbieten, die „fast immer auch angenommen“ würden. Gute Leute zu interessieren und zu halten sei allerdings „ein Megathema für die Branche“, so Waldschmidt, deshalb habe der VDL die Personalgewinnung und Ausbildung in seiner jüngsten Fachtagung in den Fokus gerückt. Zwar gebe es auch bei den dualen Ausbildungen einen Bewerberrückgang in den Verlagen, es sei aber „ein attraktives Feld, besonders für junge Arbeitnehmer, die in ihrer Region verwurzelt sind“, so Waldschmidt. „Auch sind in kleineren Verlagen die Wege kürzer, die Hierarchien flacher und damit die Möglichkeit, sich im Job zu verwirklichen größer.“

Willi Börsch, Oberbayerisches Volksblatt
Willi Börsch, Oberbayerisches Volksblatt

Beim „Oberbayerischen Volksblatt“ in Rosenheim – laut Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) mit einer verkauften Auflage im ersten Quartal 2016 von knapp über 62.000 Exemplaren – hat Redaktionsleiter Willi Börsch beobachtet, dass sich die Zahl von etwa 50 Bewerber_innen pro Volontariat auf rund 40 verringert hat, darunter immer mehr junge Frauen, die oft sehr qualifiziert seien. Die meisten Volontär_innen konnten in den vergangenen Jahren übernommen werden. Nur einmal sei dies ausgeschlagen worden. Bei den Auszubildenden im Verlag sei die Bewerberzahl „nicht hoch“, aber das liege auch an der Arbeitsmarktlage in der Region, wo es generell mehr Ausbildungsplätze als Bewerber_innen gebe.

Jan Schlüter, Hessisch-Niedersächsische Zeitung
Jan Schlüter, Hessisch-Niedersächsische Zeitung

Von enormen Schwankungen bei der Bewerberzahl für die Volontariate, ohne dass man dies erklären könne, berichtet Jan Schlüter, stellvertretender Chefredakteur der „Hessisch-Niedersächsischen Zeitung“ (HNA) in Kassel (verkaufte Auflage laut IVW fast 200.000). Eine Zeitlang wurde die Zahl kleiner, jetzt würden es wieder mehr, was Schlüter auch auf den Voloblog zurückführt, den die jungen Leute eigenverantwortlich gestalteten und der offenbar eine gute Werbung für den Nachwuchs sei. In den letzten Jahren seien etliche der Volontär_innen übernommen worden, aber viele der zurzeit 24 jungen Leute gingen erfahrungsgemäß wegen privater Bindungen in andere Regionen oder in die Öffentlichkeitsarbeit.

Andreas Müller, Schwäbische Zeitung
Andreas Müller, Schwäbische Zeitung

Bei Volontärsausbilder Andreas Müller von der „Schwäbischen Zeitung“ in Ravensburg (fast 170.000 verkaufte Auflage) schwanken die Bewerberzahlen ebenfalls leicht, zwischen 13 bis 19 Bewerbungen pro Volontariat habe es in den letzten Jahren gegeben. Die gegenwärtig „in manchen Kreisen gepflegte Journalistenschelte“ wirke sich nicht auf die Bewerbungen aus. „Vielmehr beobachte ich, dass die meisten Bewerber fest an die Grundsätze und Funktionen des Journalismus glauben. Sie suchen allerdings nach Möglichkeiten, diese Grundsätze und Funktionen mit zeitgemäßen Darstellungsformen zu verbinden.“ Unter den Interessenten seien meist mehr Frauen als Männer. 90 Prozent der Volontär_innen bekämen ein Übernahmeangebot, zu dem die meisten Ja sagen – vor allem, wenn sie auch als Redakteur_innen crossmedial tätig sein können. Bei den kaufmännischen Azubis waren die Bewerberzahlen von 2011 auf 2012 etwas gesunken, in den letzten Jahren gebe es rund 14 bis 15 Kandidaten pro Ausbildungsplatz.

Beate Franz, Frankenpost in Hof
Beate Franz, Frankenpost in Hof

Für Beate Franz von der „Frankenpost“ in Hof (rund verkaufte 52.000 Auflage) ist die Bewerberzahl gleichgeblieben, alle Monate gebe es zwei bis vier Bewerbungen. In der Regel würden die Volontäre, deren Geschlechterverhältnis meist ausgeglichen sei, übernommen und bleiben auch. Bei den Azubis habe sich die Zahl und die Qualität der Bewerbungen verringert, erklärt Personalreferent Dietmar Bujak, sieht aber immer noch 15 bis 20 Bewerber pro Stelle im Druckbereich und rund 60 bis 70 Interessenten für die kaufmännischen Ausbildungen.

Inge Kreutz, Trierischer Volksfreund
Inge Kreutz, Trierischer Volksfreund

Einen Rückgang der Zahl und der Qualität bei den Bewerbungen hat auch Volontärsausbilderin Inge Kreutz beim „Trierischen Volksfreund“ (IVW: rund 81.000) ausgemacht. Da der Verlag allerdings in unterschiedlichen Intervallen und Medien ausschreibe „können wir keine validen Zahlen liefern“. Und die Vorwürfe der „Lügenpresse“? „Wir haben aktuell einen überdurchschnittlich guten und engagierten Volontärsjahrgang. Das mag Zufall sein – vielleicht liegt es aber auch daran, dass die jungen Leute, die unter den gegebenen Umständen in den Journalismus streben, dies aus Überzeugung und einer Haltung heraus tun. Wer heute Journalist werden möchte und sich nicht bloß bewirbt, weil ihm nichts anderes einfällt, hat sich meist sehr bewusst mit dem Beruf und den damit verbundenen Herausforderungen auseinandergesetzt.“ Gebe es freie Stellen, werden diese dem eigenen Nachwuchs angeboten und gut angenommen, insgesamt sei die Fluktuation gering. Insgesamt meint Inge Kreutz: „Lokaljournalisten müssen viel mehr über Journalismus reden, erklären, was sie tun und warum es wichtig ist, was sie tun – wer soll junge Leute für unseren Job begeistern, wenn nicht wir selbst?“ Die Jungen bräuchten „Freiräume jenseits der Routinearbeit, Spielwiesen für Herzensthemen oder Crossmedia-Projekte.“

Nils_Thorweger, Ostfriesen Zeitung
Nils_Thorweger, Ostfriesen Zeitung

„Waren es früher die sprichwörtlichen Wäschekörbe voller Bewerbungen, sind es heute vielleicht noch ein, zwei Dutzend pro Jahr“, beschreibt Volontärsausbilder Nils Thorweger den deutlichen Rückgang der Bewerberzahlen bei der „Ostfriesen Zeitung“ in Leer (IVW: fast 35.000). Wenn Volos nach der Ausbildung übernommen werden können, nehmen diese das Angebot fast immer an. Um die Zahl der Bewerber wieder zu steigern hat Thorweger den Rat: „Die Branche sollte an ihrem Ruf arbeiten, sich nicht schlechter reden, als sie ist.“ Und „Gerade im digitalen Wandel müssen die Häuser deutlich machen, wo sie sich in Zukunft sehen – und auch entsprechende digitale Angebote vorhalten.“

Frank Mangelsdorf, Märkische Oderzeitung
Frank Mangelsdorf, Märkische Oderzeitung

 

Chefredakteur Frank Mangelsdorf beobachtet bei der „Märkischen Oderzeitung“ (IVW: rund 75.000), dass sich „spürbar weniger für den Beruf des Print-Journalisten“ interessieren. „Hatten wir vor Jahren noch mehr als 200 Bewerbungen bei der Märkischen Oderzeitung, so waren es in diesem Jahr weniger als hundert.“ Das sinkende Interesse erklärt Mangelsdorf weniger mit den Diskussionen um die Presse, als mehr durch einen „Kulturwandel“: „Die junge Generation informiert sich oft über elektronische Medien, liest Schlagzeilen und meint, den Sachverhalt zu kennen. Dass dem oft nicht so ist, wird leider in manchen Bewerbungsgesprächen deutlich.“ Jeder Volontär, jede Volontärin habe während der Ausbildung einen Volontärspaten. Regionale Bewerber generierten sich auch durch das Projekt „Zeitung in der Schule“ sowie die Kinder- und Jugendseiten der Zeitung.

 

Jochen Anderweit, Grafschafter Nachrichten
Jochen Anderweit, Grafschafter Nachrichten

Bei den „Grafschafter Nachrichten“ in Nordhorn (IVW: zirka 23.300) engagiert sich Verlagsgeschäftsführer Jochen Anderweit für die Nachwuchsgewinnung und bringt dieses Engagement auch in die Verbandsarbeit bei den Lokalzeitungen ein. Für ihn hat sich die Situation der Volo-Bewerbungen „grundsätzlich geändert“. Hatte früher Chefredakteur Guntram Dörr bei einer freiwerdenden Volo-Stelle nur einen der freien Mitarbeiter_innen anzusprechen brauchen, müssen die „Grafschafter Nachrichten“ ihre Volontariate nun bundesweit ausschreiben. Und das in einer Zeit, die durch den demographischen Wandel in der Redaktion vermehrt Nachwuchs verlange. Rund 15 bis 20 Kandidat_innen melden sich pro Ausschreibung. Meist überwiege die Zahl der weiblichen Kandidaten, nach den Einstellungsgesprächen blieben diese allerdings nicht in der Überzahl.Die „Grafschafter Nachrichten“, die früher nur einen Volontär oder eine Volontärin hatten, bilden jetzt drei aus, und zwar „ausschließlich mit dem Ziel, die ausgelernten Volontäre in ein festes Redakteursverhältnis übernehmen zu können.“ Das werde auch so angenommen. „Bei den meisten ist der Beruf tatsächlich Berufung. Sie wollen – auch und gerade in einer kleinen Lokalzeitung, weil sie hier alles mitbekommen – lernen, ein Journalist zu werden, der informiert, kuratiert, Missstände aufdeckt und auch durch eigene Meinung den Lesern Orientierung in einer immer schnelleren Welt bietet.“ Bei den Azubis verzeichnet der Verlag – abgesehen von den Mediengestaltern – allerdings bei Medienkaufleuten, IT- und Marketing „einen dramatischen Rückgang an Bewerbungen, die dann auch noch in der Vielzahl schlechter als früher sind.“ Um gute Leute zu überzeugen, haben die „Grafschafter Nachrichten“ ein Betriebliches Gesundheitsmanagement samt Betriebssportkursen eingerichtet. „Und wir punkten mit einem sehr lebenswerten und familienfreundlichen Landkreis.“

Marcel Auermann, Nordkurier
Marcel Auermann, Nordkurier

In Neubrandenburg beim „Nordkurier“ (IVW: über 73.000) kümmert sich Marcel Auermann, Mitglied der Chefredaktion und Redaktionsleiter der Zentralredaktion, um die Volontäre. Dort gibt es ein zweijähriges Volontariat der herkömmlichen Art oder ein dreijähriges in Kombination mit einem Masterstudiengang „Journalismus und Medienwirtschaft“ in Kiel. Aber: „Wir kommen immer mehr vom Volontariat mit Masterstudiengang weg, da wir bemerkten, dass viele Interessenten an einem Volontariat nicht einmal die Basis des Jobs (Stilformen, crossmediales Arbeiten, bisherige Praktika in Medienunternehmen etc.) vorweisen können. Von daher wäre es grundfalsch, die Volontäre wieder mit einer großen Theoriephase in eine Fachhochschule zu stecken, sie aber nicht mit all den immens wichtigen Dingen des Berufs des Redakteurs vertraut zu machen. Konkret: Also erst einmal von der Pike auf den Journalismus lernen. Später – und dann berufsbegleitend – ein Studium zu absolvieren, dem steht natürlich nichts im Weg. Aber nicht umgekehrt. Schließlich ist unser Anspruch: Wir bilden für uns aus. Wir möchten, wenn möglich und es die Personalsituation zulässt, möglichst viele, wenn nicht sogar alle Volontäre übernehmen. Dazu benötigen wir exzellent ausgebildeten Nachwuchs. Im Volontärsjahrgang, der zum 1. September beginnt, haben wir beispielsweise gar keinen, der den Master in Kiel macht. Vermutlich dürfte sich das Bild so auch in den kommenden Jahren wiederholen, da die Bewerberzahl drastisch abnimmt und zusätzlich auch noch die Qualität der Bewerber.“ Nach einem zweitägigen Assessment Center blieben manchmal nicht mal die acht Kandidat_innen für die offenen Stellen übrig – auch, weil die Bewerber_innen keine rechte Vorstellung vom anspruchsvollen Beruf eines Redakteurs gehabt hätten.

„Irgendwas mit Medien“ hat offenbar immer noch seinen Reiz, auch wenn er abzunehmen scheint – vor allem wenn die Vorstellung auf die Realität trifft. Und „irgendwas mit Zeitung“? Inge Kreutz vom „Trierischen Volksfreund“ sagt zu den Vorstellungen ihrer Volontäre; „Ich sehe zwei Tendenzen: Die einen wollen möglichst sichere Arbeitsverhältnisse, für die anderen ist ein inhaltlich interessanter Job das höchste Ziel.“

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Die Zukunft der Filmförderung

In der morgigen Plenarsitzung des Bundestages wird über die Zukunft der deutschen Filmwirtschaft entschieden, der vom Bundestagsausschuss für Kultur und Medien beschlossene Gesetzentwurf zum Filmfördergesetz (FFG) steht zur Abstimmung auf der Tagesordnung. ver.di begrüßt eine Reform der Filmförderung, denn in Zukunft müssen Filmproduktionen Tarif- und Urheber-Vergütungen verbindlich einhalten.
mehr »

Audiodeskription: Die KI liest vor

Die Hälfte der öffentlich-rechtlichen Sender verwendet inzwischen auch synthetische oder mit Künstlicher Intelligenz (KI) generierte Stimmen, um für Fernsehformate Audiodeskriptionen zu erstellen. Das ergibt sich aus Nachfragen von M bei den neun ARD-Landesrundfunkanstalten und beim ZDF. Neben professionellen Sprecher*innen setzen der MDR, WDR, NDR, Radio Bremen und das ZDF auch auf synthetische oder KI-Stimmen für die akustische Bildbeschreibung.
mehr »

Gendergerechtigkeit per KI überprüfen

Ein Gender-Analyse-Tool der Technischen Universität München zeigt, wie Frauen medial ausgeklammert werden. Das Ziel vom  Gender Equality Tech Tool – GETT  ist es, die Sichtbarkeit von Frauen in der Berichterstattung bewusst zu fördern. Mit GETT kann über eine Kombination aus klassischen Algorithmen und Open-Source-KI-Modellen nachgeprüft werden, wie oft Frauen im Vergleich zu Männern in den Medien genannt und wie sie dargestellt werden.
mehr »

Gewalt an Frauen bleibt Leerstelle

Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland alltäglich. Und nicht nur in Politik und Justiz besteht großer Nachholbedarf im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt: Auch die journalistische Praxis zeigt deutliche Schwächen und erhebliche Leerstellen. Der aktuelle Trendreport der Otto Brenner Stiftung nimmt die Jahre 2020 bis 2022 in den Blick und stellt fest: Gewalt gegen Frauen wird isoliert dargestellt, ohne strukturelle Ursachen und Präventionsmöglichkeiten zu thematisieren. Das betrifft besonders deutsche Täter. Die Perspektive der Opfer bleibt unterbelichtet.
mehr »