Nazis muss man Nazis nennen

Foto: Hendrik Schmidt / Picture Alliance

Ein Viertel aller Menschen in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Das Bewusstsein ist gestiegen, dass Integration nicht nur eine Bringschuld von Einwanderern ist, sondern eine staatliche und gesellschaftliche Aufgabe, die alle angeht. Auf der anderen Seite erleben wir momentan einen massiven Backlash aus der rechten Ecke.

Im Zwiespalt: Medien und die AfD

Die AfD hat ein gespaltenes Verhältnis zur Pressefreiheit und zu den Medien. Berichten sie nicht in ihrem Sinne, sind es Lügner. Journalist*innen hingegen stehen vor der Herausforderung: Wie umgehen mit einer demokratisch gewählten Partei, die sich des rechten Populismus bedient, um ihre nationalistische und rassistische Programmatik unters Volk zu bringen? Eine längst überfällige Debatte!
Mehr unter: https://mmm.verdi.de/medien-und-die-afd/

In dem Maße, wie Deutschland sich zu seiner Diversität bekennt, in dem Maße, wie ethnische und religiöse Minderheiten auf ihre Rechte pochen, wachsen die Kräfte, die dies nicht wahrhaben und auch nicht zugestehen wollen.

Die Gefahren, die dieses veränderte gesellschaftliche Klima mit sich bringt, ist Menschen aus Einwandererfamilien oft früher klar als der Gesellschaft im Allgemeinen. Wir spüren den Einfluss rechter Gruppierungen in allen Bereichen.

Warnende Stimmen werden häufig als ‚hysterisch’ abgetan, als Leute, deren Identitätspolitik zur Zersplitterung der Gesellschaft beiträgt. Das Gegenteil ist der Fall. Nein, Menschen aus Einwandererfamilien sind nicht ‚überempfindlich’ – wir haben nur ein besseres Radar für die Drohungen, die von rechten Gruppen ausgehen. Weil sie uns als Erste treffen werden.

In den Medien versuchen rechte Gruppen und Parteien, die Diskurshoheit an sich zu reißen, wenn es um die Themen Flucht und Migration geht. In weiten Teilen haben sie das bereits geschafft. Der Kampf um die Diskurshoheit richtet sich auch gegen Medienschaffende und die freien Medien als solche: Sie sind im Fokus der Rechten, weil der gesellschaftliche Diskurs damit gesteuert werden kann.

Seit geraumer Zeit geraten Kolleginnen und Kollegen zunehmend unter Druck von rechts. Selbst auf harmlose Artikel, die sich in irgendeiner Weise auf Menschen aus Einwandererfamilien beziehen, folgt ein Shitstorm; die Redaktionen werden von Mails und Facebook-Kommentaren förmlich überflutet.

Es ist bekannt, dass relativ wenige Rechtsextremisten sehr viel posten. Nur 5 Prozent aller Facebook-Accounts sind für 50 Prozent aller Hass-Postings verantwortlich! Das heißt, dass eine eigentlich kleine Gruppe von Rechtsaußen die Medien unverhältnismäßig stark unter Druck setzt. Und viele Redaktionen knicken davor ein. Berichte werden so formuliert, dass die Wortwahl mit der Denkweise der Rechten konformgeht – mit anderen Worten, Selbstzensur.

Aber auch „harmlose“ Formulierungen können den Rechtsextremen Vorschub leisten: Wir müssen erkennen, welchen Anstrich sich der Rassismus und der Faschismus heutzutage geben. Heute argumentiert niemand mehr biologisch. Heute sagt niemand mehr: „Afrikaner sind eine minderwertige Rasse“, sondern es heißt, „die unterschiedlichen Kulturkreise sind nicht kompatibel“ oder „im Islam herrschen archaische Werte, die mit den demokratischen Werten nicht übereinstimmen.“

Sheila Mysorekar, Vorsitzende Neue deutsche Medienmacher*innen
Foto: privat

Wir müssen erkennen, wie das gemeint ist. Kultureller Rassismus ist gesellschaftlich akzeptierter, folgt aber denselben Gesetzmäßigkeiten und der Logik von biologisch fundiertem Rassismus. Er läuft auf das Gleiche hinaus – dass bestimmte Gruppen von Menschen weniger wert sind als andere.

Ebenso wird der Faschismus nicht mehr das gleiche Gesicht haben wie in den 30er Jahren. Niemand sagt: „Ich bin ein Faschist“, sondern „ich habe etwas gegen linksliberale Meinungsdiktatur! Das wird man ja noch sagen dürfen!“

Vielen Journalist*innen ist noch nicht wirklich klar, auf welchen Weg sich die Rechten bereits gemacht haben. Jede Rede von Höcke, jede Nachricht über rechte Netzwerke sollte uns eine Warnung sein, jetzt schon zu widersprechen, jetzt dagegenzuhalten, und vor allem: Man sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass die AfD, oder die österreichische FPÖ, Marine Le Pens Partei in Frankreich und all die rechten Parteien europaweit eine gemäßigte Form von Rechtspopulismus darstellen, also letztendlich harmlos sind. Wie die Kollegin Mely Kiyak letztens schrieb: „Im Faschismus gibt es keinen gemäßigten Flügel.“

In Deutschland gelten die Universellen Menschenrechte. Leute, die andere Menschen wegen ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihres Status’ diskriminieren, handeln gegen die Menschenrechte. Wir können dieses Wissen und diese Rechte als Waffe benutzen, denn wir befinden uns in einem Kampf um Deutungshoheit, um Rechte, um Gleichstellung. Noch sind die rechten Gruppen klein, auch wenn sie laut sind.

Nach Rücksprache mit Experten haben die Neuen deutschen Medienmacher*innen deswegen folgende 5 Tipps für den Umgang mit Rechtspopulisten zusammengestellt.

Hier eine gekürzte Zusammenfassung:

1. Muss ich eine rechtspopulistische Partei behandeln wie jede andere Partei auch?

Ja. Aber man sollte dabei nicht so tun, als wäre sie in jeder Hinsicht wie jede andere Partei. „Demokratisch gewählt“ ist nicht das gleiche wie „demokratisch sein“.

Ihre Feindbilder sind Minderheiten, unabhängige Medien und „die Eliten“ – womit letztlich alle gemeint sind, die nicht so denken wie sie. Sie pflegen ein rein taktisches Verhältnis zur Meinungsfreiheit, auf die sie sich gerne beziehen, um ihre Hetze zu verteidigen.

2. „Rechtspopulistisch“, „nationalkonservativ“ oder was eigentlich: 
Wie kann man die AfD richtig einordnen?

Die AfD ist nicht nur „rechtspopulistisch“ und irgendwie konservativ. Die AfD ist laut Verfassungsschutz eindeutig „rechtsradikal“. Der AfD-Politiker Björn Höcke darf – so ein Gerichtsurteil – als Faschist bezeichnet werden. Wenn jemand ein Nazi ist, soll er auch als ein solcher benannt werden.

3. Muss ich aus demokratischen Gründen auch mit Rechtspopulisten reden?

Man kann, aber natürlich muss man nicht. Auf keinen Fall sollte man Rechtspopulisten nur deshalb zitieren, um wütenden Reaktionen ihrer Anhänger in sozialen Medien vorzubeugen – aufregen werden sie sich sowieso.

4. Achtung beim Umgang mit populistischer Sprache.

Rechtspopulisten rühmen sich, die „Meinungsfreiheit“ gegen eine angeblich überbordende „politische Korrektheit“ zu verteidigen. Dabei geht es ihnen vor allem um die eigene Freiheit, Minderheiten auszugrenzen und ihr politisches Gegenüber beschimpfen zu dürfen. Auf Kritik reagieren sie empfindlich, wittern „Tugendterror“ oder gar „Zensur“. Zur Strategie von Rechtspopulisten gehört es, die Grenzen des Sagbaren zu erweitern. Eine menschenverachtende, faktenferne, manipulative Sprache kann und sollte nicht „neutral“ wiedergegeben werden. Sie sollte hinterfragt, analysiert und gegebenenfalls kritisch eingeordnet werden.

5. Souverän umgehen mit rechter Hetze und Shitstorms

Diffamierende Angriffe auf die Meinungsfreiheit gehören zur Strategie von Rechtspopulisten. Machen Sie sich und Ihren Kolleginnen und Kollegen bewusst, dass hinter den meisten „Shitstorms“ nicht normale Leser oder durchschnittliche Bürger stecken, sondern koordinierter Online-Aktivismus von rechtsradikalen Gruppen. Im Netz gibt es eine Menge rechter Blogs, die eine regelrechte Parallelöffentlichkeit bilden und die Stimmung anheizen. Einzelne Shitstorms ergeben aber kein repräsentatives Meinungsbild. Sie sind Ausdruck einer kleinen, aber radikalen Minderheit, von der man sich nicht aus der Ruhe bringen lassen sollte.

Sheila Mysorekar ist Vorsitzende Neue deutsche Medienmacher*innen

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