Hohe Investitionskosten für Fotografen
„Früher habe ich von einem Negativ Abzüge gemacht und jeder Kunde konnte es nach seinen eigenen Bedürfnissen aufbereiten: vom technisch gut ausgestatteten ,Handelsblatt‘ bis zum Gewerkschaftssekretär, der mit minimalen technischen Möglichkeiten ein Flugblatt illustrieren wollte.“ Seit einem Jahr hat der Kölner Fotograf Jürgen Seidel seine Dunkelkammer weitgehend gegen einen Computerarbeitsplatz mit Scanner eingetauscht.
In vielen Aufträgen ist nicht mehr von Tiefenschärfe, sondern von Farbtiefe und Kompressionsfaktoren die Rede. Fotos erreichen die Kundschaft nicht mehr per Kurier oder Post, sondern als verpackte Files über die ISDN-Leitung der Telekom.
Papier erhält die Kundschaft nur in Form von Lieferscheinen – eine rechtlich notwendige Absicherung. Wie sonst sollte der Nachweis erfolgen, welches Bildmaterial die Redaktion zur Ansicht erhalten hat? Früher wurden nicht benötigte Abzüge an den Fotografen zurückgesandt, so daß dieser wußte, welche Motive in den Bildarchiven landeten. Bei Datenfiles macht das wenig Sinn. Ein Mouseklick reicht, um sie
zu kopieren, ein anderer, um sie in den Computer-Papierkorb zu befördern. Der Lieferschein ist auch aus Urheberrechtsgründen vonnöten: Entsprechende Kennzeichnungen sind bei übertragenen Datenfiles zwar möglich, aber jederzeit auch durch Nutzer zu ändern oder gar zu entfernen. Dauerhafter sind sie, wenn das Material auf CD-Rom bei den Kunden landet. Die brennt Jürgen Seidel auch selber. Lohnend ist dieser Aufwand zum Beispiel bei einer Großauswahl von Motiven einer Veranstaltung.
Gescannt wird mit einem Negativscanner, was vor allem wegen der immer häufiger nachgefragten Farbmotive lohnt, oder per Flachbettscanner. Das gesamte aktuelle Material wird so verarbeitet und archiviert. Ursprünglich ging Seidel davon aus, daß er lediglich einen Rohscan anliefert und die Kunden es den eigenen Anforderungen entsprechend nachbearbeiten. Das hat sich als trügerisch herausgestellt. Inzwischen liefert er überwiegend fertigbearbeitete Files je nach Anforderung der Kundschaft, muß also wie früher bei den Abzügen auch heute noch mehrmals an einem Motiv arbeiten. „Das Problem ist, daß manche nichts mehr daran machen“, hat Seidel beobachtet. Schlimmer noch: Ohne entsprechende Schulung ist es für das an Papierfotos gewohnte Auge nicht erkennbar, welche Qualität das Produkt, das in den Bildredaktionen nun lediglich auf dem Monitor erscheint, im Druck hat. „Es kann auf dem Monitor scharf aussehen und im Druck dann matschig sein.“
Seidel hat sich die eigene Schulung mit mehreren tausend Mark etwas kosten lassen. Allerdings war dieser Kostenfaktor gering im Vergleich zu dem, was er ansonsten in Gerätschaften, Hard- und Software investiert hat: runde 45000 Mark allein in den vergangenen drei Jahren. Angesichts der Preisstürze wäre das heute etwas billiger. Die hohen monatlichen Telefonrechnungen für die ISDN-Übertragungen kommen hinzu. Dafür entfallen Kurier- und Portokosten. Trotzdem: Wer bezahlt den Arbeitsaufwand, der ansonsten in der Druckvorstufe geleistet werden müßte? Wodurch amortisieren sich derartige Anschaffungen? Die Antwort wäre einfach: Die, die durch die Auslagerung der Arbeiten auf die Fotografen einsparen: die Redaktionen oder auch die Druckereien, die von Redaktionen pauschal gezahlt werden.
Zur Zeit müssen die Fotografen diese Frage individuell aushandeln. Eine einheitliche Forderung dazu – etwa von der Gewerkschaft – gibt es nicht. „Mit Kunden, die schon früher das Material gezahlt haben, sind solche Verhandlungen leichter – zumindest, daß sie bei Aufträgen etwas drauf-legen“, meint Seidel. Grö-ßere Berechnungsschwierigkeiten sieht er bei der Nutzung von archiviertem Material, überhaupt bei den Archivgebühren. Es ist zu befürchten, daß solche Faktoren wegfallen – so wie die Forderungen nach Honorarerhöhungen für technische Zuarbeit in anderen, von freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern belieferten digitalisierten Medienbereichen inzwischen weitgehend verpufft sind.
Tatsächlich bedeutet die digitale Verarbeitung für Seidel in dieser Anfangsphase mit der mehrmaligen Bearbeitung – noch – ein Mehraufwand an Arbeit gegenüber den früheren Laborzeiten. „Ich bin im letzten Jahr weniger zum Fotografieren gekommen.“ Daß er es trotzdem konsequent durchzieht, hat mehrere Gründe. Er ist überzeugt, daß sich diese Technik und Arbeitsweise in den kommenden zwei, drei Jahren vollständig durchsetzt – und er will vorne mit dabei sein. „Zudem sind die Möglichkeiten faszinierend“, findet der studierte Fotoingenieur. „Und: Ich lerne etwas ganz Neues.“
Für Neueinsteiger in den Fotografenberuf – speziell in den aktuellen Fotojournalismus – wird diese Form der Arbeit selbstverständlich sein. Allerdings: Angesichts der enormen Kosten wird der Einstieg schwieriger werden. Denn schließlich braucht ein Fotograf neben der teuren Computerausstattung auch eine nicht ganz billige Fotoausrüstung.