Neuer Anlauf für ein Whistleblowergesetz

Whistleblower umfassend schützen! Foto: 123rf

„Ein schlechtes Signal an Diktatoren“ nannte es Christian Mihr, Geschäftsführer von „Reporter ohne Grenzen, dass Deutschland Whistleblower*innen so schlecht schützt und die entsprechende EU-Richtlinie in dieser Legislaturperiode nicht umgesetzt hat. Als „Chance“ bezeichnete es die Vorsitzende des Netzwerks Whistleblowing, Annegret Falter, im Wahlkampf verstärkt für ein Gesetz zu motivieren und möglichst auch Schwachstellen der EU-Richtlinie zu verbessern.

Beide vertraten ihre Positionen in der gemeinsamen Veranstaltung „Journalismus und Whistleblowing“, an der das Interesse am „World Whistleblowing Day“ so groß war, dass die Online-Diskussion auch auf Youtube gezeigt und im Chat lebhaft kommentiert wurde. „Als wir diese Veranstaltung planten, gingen wir davon aus, dass wir jetzt schon ein Gesetz hätten“, sagte Mihr. Doch der vorliegende Entwurf der Justizministerin hängt fest. Eigentlich müsste die EU-Richtlinie von Dezember 2019 bis zum Dezember 2021 in deutsches Recht gegossen werden. Die CDU argumentiere auch bei diesem Thema, dass die durch die Pandemie getroffene Wirtschaft nicht weiter belastet werden dürfe, umschrieb Georg Mascolo, Leiter des Rechercheverbunds von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“, das Abwehrverhalten der Konservativen und nannte den Whistleblower-Tag deshalb einen „traurigen Tag“. Er warnte aber davor, jede journalistische Quelle gleich zum Whistleblower zu stilisieren und jede journalistische Recherche mit dem inzwischen plakativ als „Verkaufstrick“ benutzten Modewort „investigativ“ zu versehen. „Vieles, was heute als investigativ bezeichnet wird, ist eigentlich nur sehr guter Nachrichtenjournalismus“. Zu investigativer Recherche gehöre die Möglichkeit, mit Zeit und Gründlichkeit an einer Sache zu arbeiten und notfalls auch ungeduldige Whistleblower*innen von der Wichtigkeit weiterer Überprüfung zu überzeugen.

Die Wirtschaft braucht Whistleblowing

Europapolitiker Sven Giegold von den Grünen bezeichnete es als „sehr ärgerlich, dass sich die Regierung nicht um die Fristen für EU-Richtlinien kümmert“, und unterstrich, dass der Schutz des Whistleblowing nicht nur die Wirtschaft vor Wettbewerbsverstößen schütze, sondern auch Schutz für Meinungsfreiheit und freie Medien sei. Ein gutes Gesetz wäre auch gute Wirtschaftspolitik, denn kaum etwas richte so viel Schaden in der Wirtschaft an wie Wirtschaftskriminalität. Ohne Whistleblower*innen, die in die Öffentlichkeit gingen, wären weder die Vorgänge der Bankenkrise, noch Finanzwäschen oder Steuerhinterziehung à la Panama-Papers oder der Wirecard-Betrug aufgedeckt worden. Anzeigen bei Aufsichtsbehörden seien oft ergebnislos geblieben. Deshalb müssten Whistleblower*innen sich auch gleich an die Öffentlichkeit wenden können. Die von der Politik in Deutschland bevorzugten internen Beschwerdewege hatte die Vorsitzende des Whistleblower-Netzwerks, Annegret Falter, schon früher als empirisch nicht gerechtfertigte Unterstellung unlauterer Motive auf Seiten der Whistleblower*innen bezeichnet.

Die EU-Richtlinie beschrieb Giegold als „vergleichsweise solide“, wies aber darauf hin, dass sie keine Kompensation für die wirtschaftlichen Nachteile der entlassenen oder verklagten Whistleblower*innen vorsehe. Einen Fonds einzurichten für diese Menschen, „die was für das Gemeinwohl tun“, wäre das Mindeste für die Gesetzgebung in Deutschland. Gute nationale Umsetzungen seien oft Anlass, auch EU-Recht noch einmal zu überarbeiten.

Meinungsfreiheit vs. Schweigepflicht

Das wäre nach Ansicht von Falter auch nötig, damit die geplante Stufenregelung von intern nach extern nicht greift. „Die Wucht der Öffentlichkeit ist nötig, um die Institutionen durchzuschütteln“, zitierte sie den Jesuitenpater Klaus Mertes vom Berliner Canisius-Kolleg, der die Aufdeckung der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche ins Rollen gebracht hatte. Denn die Problembereiche wie Steuerhinterziehung, Bilanzfälschung, Korruption, Rechtsradikalismus, Lebensmittelbetrug oder Pflegenotstand seien oft „hermetisch geschlossene Systeme“. Ein besonderes Risiko für Arbeitnehmer*innen sei dabei die „Verschwiegenheitspflicht“ den Arbeitgebern gegenüber. Da sei die Weimarer Verfassung (Art. 118) schon viel fortschrittlicher gewesen als die heutigen Regeln, denn sie stellte die Meinungsfreiheit über Schweigepflichten: „An diesem Recht darf ihn kein Arbeits- oder Anstellungsverhältnis hindern, und niemand darf ihn benachteiligen, wenn er von diesem Rechte Gebrauch macht.“

In diesem Sinne interpretierte sie auch ein Minderheitsvotum des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (11.05.2021, Nr. 21884/18), das darstellte, es gebe Fälle, in denen der Schutz von Whistleblower*innen „ausnahmsweise“ entfallen könne, also ansonsten grundsätzlich gegeben sei. Falter forderte dazu auf, „keine juristische Schere im Kopf“ zu haben und „nicht nur Realistisches“ zu fordern, sondern in den Forderungen deutlich über den vorliegenden deutschen Entwurf hinauszugehen und sich „nicht einschüchtern“ zu lassen.

Quellenschutz in den Medien

Daniel Moßbrucker, Journalist und Forscher zum Thema Quellenschutz, machte deutlich, dass der geltende Quellenschutz nur Journalist*innen nütze, nicht aber Whistleblower*innen. Das gehöre zu den „Paradoxien des Quellenschutzes“. Schweigen vor Gericht sei in digitalen Zeiten nicht mehr so wirksam wie früher, weil es sehr viele Möglichkeiten gebe, nach Datenspuren von Whistleblower-Mitarbeiter*innen zu suchen oder der digitalen Redaktionskommunikation auf die Spur zu kommen. Leider gebe es in den meisten Redaktionen, wie auch eine neue Umfrage aus den USA zeige, zwar „Security Champions“, aber keine „Digital Security Culture“. Deshalb sei höchste Disziplin im Umgang mit schützenswerten Quellen ein Muss, forderte Mascolo. Nachlässigkeit oder Bequemlichkeit dürfe es dabei nicht geben. Mascolo empfahl, nicht auf persönliche Treffen ohne Datenspuren zu verzichten: „Die Schuhsohle ist nach wie vor ein hervorragendes Mittel für Recherchen“.

 

 

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