New York, New York, du bist so still!

So wie hier Anfang Mai 2020 hat man Manhattan, den am dichtesten bevölkerten Bezirk New Yorks, wohl noch nie gesehen: die berühmte Radio City Music Hall geschlossen, keine Fahrzeuge, gerade mal ein Radfahrer und eine Passantin unterwegs in den Straßen des Big Apple.
Bild: REUTERS/Lucas Jackson

Von Peking und Moskau über Tel Aviv und Kampala bis Madrid und London – weltweit herrscht an den Korrespondenten-Standorten der corona-bedingte Ausnahmezustand. Journalist*innen sind aufgrund mehr oder weniger strikter „Stay-at-home“-Anordnungen aufs Homeoffice mit Bildschirm und Telefon zurückgeworfen. Auch in New York, dem Sehnsuchtsort für freie Journalist*innen und Arbeitsort von rund 50 deutschen Korrespondent*innen.

Kolleg*innen im Ausland berichten in diesen Zeiten immer wieder vom befürchteten Homeoffice-Koller. Dazu kommt neben der Angst um die eigene Gesundheit („Ich habe kein Desinfektionsmittel mehr. Reicht es, das Paket, das der Briefträger vor der Tür abgelegt hat, mit einem feuchten Tuch abzuwischen?“) die bange Frage, ob sich im Berichtsgebiet überhaupt irgendwann Licht am Ende des Tunnels zeigen wird.

Jeder zweite New Yorker kennt jemanden, der am Virus gestorben ist

Ähnlich ist die unmittelbare Gemütslage bei deutschen Journalist*innen in New York, wie Interviews mit einem guten Dutzend von ihnen ergaben. Die Metropole unterscheidet sich inmitten der Corona-Krise im Vergleich zu anderen globalen Medienstandorten gleich zweifach. Zum einen ist die größte Stadt der USA mit 8,4 Millionen Einwohnern das Zentrum der Pandemie im Land und weltweit. Laut einer Umfrage des Fachbereichs Gesundheitswesen an der City University of New York kennt fast jeder zweite New Yorker jemanden, der an dem Virus gestorben ist. Das dürfte einen traurigen weltweiten Rekord in einem Stadtgebiet darstellen. Zum zweiten ist die Metropole am Hudson River seit Jahrzehnten der Sehnsuchtsort für freie Journalist*innen, ein „Schlaraffenland und tatsächlich die sprichwörtliche Stadt für acht Millionen Geschichten“, wie der freie Journalist Sebastian Moll, der seit Anfang des Jahrtausends in Manhattan lebt, vor wenigen Jahren seinen Traumjob beschrieb.

50 bis 60 deutsche Journalist*innen berichten nach Schätzungen des deutschen Generalkonsulats regelmäßig aus New York. Damit dürfte die Stadt zu den weltweit wichtigsten Standorten für deutsche Korrespondent*innen und Journalist*innen gehören. In der WhatsApp-Gruppe namens „Deutsches Eck“ mit dem „I Love NY“-Logo, die von Journalist*innen frequentiert wird, sind 55 Teilnehmer*innen registriert. Mehr als ein Dutzend sind aktiv daran beteiligt.

Junge Journalist*innen brechen die Zelte ab und kehren in die Heimat zurück

Für Thilo Kößler etwa, der seit Juni 2016 in der US-Hauptstadt Washington als Korrespondent des Deutschlandradios arbeitete, ist seit März Schluss. Denn er war aus privaten Gründen nach Deutschland gereist und darf seit dem Einreisestopp der USA nicht mehr zurück. Kößler arbeitet daher derzeit von Köln aus. Mindestens zwei Freelancer, die von New York aus in Nachtschichten die Webseiten großer deutscher Publikationen betrieben, mussten wegen des Ausnahmezustands in der Stadt zeitweise die Segel streichen. Eine Journalistin gab ihren Arbeitsplatz in einem Manhattaner Pressebüro auf, das wegen des grassierenden Coronavirus geschlossen wurde, und richtete sich in ihrem beengten Zuhause in Queens ein Homeoffice ein. Ein anderer Kollege beschloss, die Stadt aus Furcht vor der Ansteckung zu verlassen und zog nach Florida zu einer entfernten Verwandten. In beiden Fällen dauerte die Arbeitsunterbrechung fast zwei Wochen. Inzwischen konnten sie die Online-Tätigkeiten für ihre deutschen Arbeitgeber wieder aufnehmen. Doch eine Reihe von jungen Journalist*innen, die noch vor wenigen Monaten ihr Glück in den USA versuchten, hat die Zelte abgebrochen und ist in die Heimat zurückgereist.

Bei den Verbliebenen herrscht formal „Maskenzwang“ – und letztendlich komplette Verunsicherung. Ein Hörfunkkorrespondent, der sich seit Jahren als Freier um US-Musik kümmert, hat sich mit seiner amerikanischen Frau und seinem Kind aufs Land zurückgezogen – und harrt dort aus. Ein freier Sportjournalist geht „erstmal fischen“. Beide haben Geld auf dem Sparkonto, aber für mehr als ein halbes Jahr reiche es nicht, sagen sie.

„Das alte New York gibt es nicht mehr“

Zu den wenigen deutschen Journalist*innen in New York, die bislang öffentlich über ihre Gefühle schrieben, gehört der „Spiegel“-Korrespondent Marc Pitzke, seit Mitte der 1990er in der Stadt und seit 17 Jahren „Spiegel“-Mitarbeiter, ein echter New Yorker also. „Mit Trump fing es an, mit Corona ist es klar: Ich entfremde mich zusehends von der Wahlheimat, in der ich fast die Hälfte meines Lebens verbracht habe, halb deutsch, halb amerikanisch“, schrieb er am 21. April. Und weiter: „Jetzt, dank Lady Corona, denke ich oft: I’m too old for this shit. Mein Trip durchs entleerte Manhattan offenbarte: Das, was den Reiz von New York ausmachte, die Theater, die Museen, die Restaurants, wird Jahre brauchen, um zurückzukommen.“ Und schließlich: „Das Amerika, in das ich vor einem Vierteljahrhundert kam, gibt es so nicht mehr, wenn es überhaupt existierte. Das alte New York auch nicht mehr.“ Auf seiner Facebookseite nimmt Pitzke dann aber doch Abstand von dem Gedanken, er werde nach Deutschland zurückkehren, mangels einer tragbaren Alternative. Also ausharren und weitermachen.

Ein Urgestein in der Welt der freien Korrespondent*innen von New York ist auch Heike Buchter. Sie arbeitet seit gut 20 Jahren als Wirtschaftsexpertin für die „Zeit“.  Ihre Arbeit habe sich total verändert, sagt Buchter. Sie sei nur wenig unterwegs und treffe kaum noch Leute. Der direkte Kontakt mit Amerikaner*innen sei bisher jedoch „extrem wichtig gewesen, um dieses Land zu verstehen“. Ihr American Dream sei einer extremen Belastungsprobe unterzogen worden: „Noch ist alles in einer Warteposition, doch die ökonomischen Folgen werden die von 2008 bei Weitem übersteigen. Aus professioneller Sicht, als Wirtschaftskorrespondentin, ist das extrem spannend.“ Und als Mensch? „Als Mensch, der dieses Land auch lieben gelernt hat, wird es eine dunkle Zeit werden“, sagt Buchter, „auf Jahre.“


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