Newsdesk bringt Zeitersparnis

Einquellenprinzip in Folge umgekrempelter Redaktionsstrukturen

Newsdesk und Newsroom krempeln Arbeitsstrukturen in Redaktionen um. Etwa jede dritte Tageszeitung tut’s. Doch jede macht es etwas anders. Radikale Umbrüche, sagen die einen. Banal, aber notwendig, die anderen. Redakteure und Redakteurinnen – ansonsten eher als reformresistent bekannt, ziehen mit. Skeptisch sind sie nur dann, wenn Verlage im Taumel von neuen Trends gleichzeitig Kosten drücken wollen.

Beep. Das Handy zuckt. Schwerer Unfall auf der A 3, meldet eine SMS. Dazu läuft ein Filmchen auf dem Display: Aus Feuerwehrschläuchen schießen Wasserfontänen auf die Flammen des brennenden Autos. Die gleichen Flammen gibt es für Abonnenten im Internet. Und am nächsten Tag noch mal in der Printausgabe der Würzburger Main Post. Mitgebracht vom Fotografen. Zukunftsmusik. Niemand weiß, ob es künftig genügend Handy-Junkies gibt, die für die schnelle Nachricht zahlen. Egal. Wann und wo auch immer ein Statement offiziell abgegeben und ein Satz in der Region öffentlich gesagt wird, werden wir dabei sein, sagt Michael Reinhard, Chefredakteur der Main Post aus der Verlagsgruppe Holtzbrinck.

Verlage als Nachrichtenhändler. Die einmal recherchierte Nachricht soll mehrfach genutzt werden. Gekürzt, umgeschrieben, geschnitten oder umgebaut passt sie für Print und Web, nordisch und Tabloid, aufs Handy und ins Ohr.

Die Anfänge sind bereits gemacht. „Zweitverwertung mit eigenem Duft“ nennt Reinhard die Wochenzeitung „Boulevard Würzburg“ aus dem Hause Main Post, ein Blättchen mit viel Farbe, Fotos und Unterhaltung. In Wiesbaden ist es die wöchentliche Beilage „Vorort“ der Verlagsgruppe Rhein Main, angekündigt ist außerdem einmal pro Woche ein Special wie „Extra Gesundheit“, „Extra Sport“ und „Extra Freizeit / Familie“. Immer lokal, immer regional. Damit breitet sich der Verlag auf dem Markt aus, holt Anzeigenkunden, die in der Tageszeitung nicht inserieren würden und zahlt keinen Cent drauf. Neue Produkte, die eine komplette Redaktion brauchen? Das ist von gestern.

Zeitung aus einem Guss

Möglich macht’s der Newsdesk. Das ist ein zentraler Tisch in einem großen Raum, an dem alle Fäden zusammenlaufen, alle Nachrichten und Infos zusammentreffen – hier wird die Zeitung aus einem Guss gemacht. Zum Beispiel der Newsdesk Aktuelles bei der Main Post. Ein halbes Dutzend Redakteure, genannt Editoren, entscheidet am Desk. Zum Tod des Papstes: Welche Geschichte kommt ins Blatt? Wer kann welche Beiträge liefern? Die Editoren koordinieren Texte, sichten Agenturmaterial, beauftragen Korrespondenten, Reporter und Freie, sorgen für Fotos, Grafiken, Kommentar, Analyse, bedienen die digitalen Dienste. Sie bauen die Seiten, die sich für den Leser wie gewohnt unter dem Titel Meinung, Bayern, Report, Zeitgeschehen, Wirtschaft und Das Thema finden. Statt Ressortegoismus zu pflegen, „das ist aber unsere Geschichte“, „denken wir themenorientiert“, sagt Reinhard. Statt lange Flure abzulaufen, um der Wirtschaft eine Geschichte abzuhandeln, sich zwischendurch bei der Region eine Abfuhr zu holen, und irgendwo einen Schreiber für einen Kommentar anzubetteln, passiert hier vieles auf Zuruf, ganz nah, am Tisch mit den Kollegen. Der Newsdesk als eine Art ständiger Redaktionskonferenz.

Ein Ziel des Newsdesk ist es, Leerläufe und Doppelstrukturen zu verhindern, sagt Klaus Meier, Professor für Journalistik an der FH Darmstadt. Früher ist der Seite-3-Redakteur um 13 Uhr zur Konferenz erschienen, hat drei Korrespondentenberichte angekündigt und den Nachmittag über die Nachrichten verfolgt. Er recherchiert, telefoniert, beobachtet die Nachrichtenlage. Endlich, um 18 Uhr liefert der erste Korrespondent, die Beiträge trudeln ein. Der Redakteur hat viel zu tun, um 20.30 Uhr ist die Seite gebaut, er ist geschafft.

Niemand gibt zu, so gearbeitet zu haben. Doch mit dem Newsdesk ist auf einmal mehr Zeit übrig. Auf einmal gibt es Reporter- und Recherchepools. Obwohl nirgendwo personell aufgestockt wurde. Bei der Main Post sind am Newsdesk Aktuelles heute drei Redakteure weniger als zuvor bei der Ressortaufteilung beschäftigt. Entlassen wurde niemand, doch frei gewordene Stellen wurden nicht wieder besetzt. Und trotzdem, sagt Reinhard, „sind wir schlagkräftiger“.

Editor oder Reporter

Die neue Arbeitsteilung macht es möglich. Zu einem Newsdesk gehört die strikte Trennung zwischen Editor und Reporter. Der gute Schreiber kann sich aufs Schreiben konzentrieren und muss sich nicht mehr mit Blattmachen plagen. Der gute Organisator macht nun ausschließlich das, was er am liebsten tut und am besten kann. Keine neue Idee. Und trotzdem war und ist es in vielen Redaktionen üblich, dass eine Redakteurin schreibt, umbricht, recherchiert, Fotos aussucht und redigiert. Alle machten alles. Weil alle alles gleich gut beherrschen? Eben nicht. Auch deshalb hat sich Rotation nicht bewährt, allenfalls halbjährlich, schränkt Klaus Meier ein. Bei der Main Post durfte jede Außenredaktion selbst entscheiden: rotieren – ja oder nein? Die Schweinfurter, einst begeisterte Rotierer, haben inzwischen feste Editoren und Reporter eingeführt. Wer gern schreibt, sagt Reinhard, ist nicht mit dem gleichen Engagement beim Blattmachen und umgekehrt.

Etwa 60 Abgesandte aus Zeitungsverlagen sind bereits zur Main Post gepilgert, das sind knapp die Hälfte aller Zeitungstitel mit eigenem Mantel. Etliche haben den Newsdesk umgesetzt wie die Ruhr Nachrichten, Freie Presse Chemnitz, Braunschweiger Zeitung, Schwäbische, Saarbrücker Zeitung und viele andere. Manche stehen kurz davor, wie die Neue Osnabrücker Zeitung oder die Nordsee-Zeitung. Doch kaum ein Modell gleicht dem anderen. „Der Begriff Newsdesk hat kein klares Profil“, sagt Professor Klaus Meier. In manch einer Zeitung gibt es nur einen Desk, hier sitzen Mantel und Lokales zusammen. Die Wände zwischen den Ressorts wurden eingerissen, alle arbeiten gemeinsam im Newsroom.

Woanders gibt es mehrere Desks. Bei der Main Post sind die Editoren ausschließlich Redakteure. Bei der Frankfurter Rundschau (FR), die zunächst mit einem Produktionsdesk gestartet ist und nach dem Umzug die verantwortlichen Macher der Mantelressorts dazusetzen will, wurden Infografiker, Bildredakteure und Techniker am Tisch platziert. „Jedes Ressort hat seine Spezialität und Autonomie, die wir bewusst aufrecht erhalten wollen“, sagt FR-Chefredakteur Wolfgang Storz. Man könne interdisziplinäres Arbeiten auch übertreiben.

Eins ist sicher: Mit dem Newsdesk ist mancher Ressortleiter überflüssig. Einfach abschaffen? Die mittlere Hierarchieebene wehrt sich, wenn sie durch flache Hierarchien und schlanke Strukturen selbst betroffen ist und aus dem Impressum fliegen soll. Chefredakteur Michael Reinhard hatte zunächst versucht, die früheren Ressortleiter rotierend zu Deskmanagern zu machen. „Damit bin ich gescheitert.“ Jetzt ist im Aktuellen ein Nicht-Ressortleiter Deskmanager und der Verlag hat sich mit dem Betriebsrat geeinigt: Besitzstandswahrung für ehemalige Ressortleiter. Die Beschreibung der Tätigkeiten im Gehaltstarifvertrag für Redakteure passt nicht mehr zur neuen Struktur, ist Reinhard überzeugt. Das findet Betriebsratsvorsitzender Heinz Böhm nicht. Alle Newsdeskmanager tun den gleichen Job, also werden alle gleich eingruppiert, was manch einem Newsdeskleiter in der Region zu mehr Geld verholfen hat.

Zuordnung wider Willen

Das sind nicht die einzigen Probleme. Die Aufteilung in Editoren und Schreiber ist nicht überall freiwillig erfolgt wie etwa bei der Verlagsgruppe Rhein Main (VRM), bei der Mainzer Allgemeinen Zeitung, dem Wiesbadener Kurier und dem Wiesbadener Tagblatt. „Einige Kollegen sind gegen ihren Willen zugeordnet worden. Da gab es auch Tränen“, sagt ein Redakteur. Bei der VRM gibt es die Newsdesks erst seit wenigen Wochen, die Einführung hatte ein ausgewählter Kreis vorbereitet. Auch wenn die Redaktion nicht beteiligt war, sind die Reaktionen positiv: „publizistisch sinnvoll“, sagt eine Redakteurin. Überfällig. Effizienter, fügt ein Kollege hinzu. Auch wenn er fürchtet, künftig vom Desk aus dirigiert zu werden, statt sich wie bisher als Reporter seine Themen eigenständig zu suchen.

Die positive Einstellung von Redakteuren schlägt jedoch in Ablehnung um, wenn ihnen mit dem Newsdesk ein Kostensenkungsprogramm untergejubelt wird. Wenn Jungredakteure mit Zeitverträgen am Manteldesk sitzen, aufgrund ihrer geringen Berufserfahrung Nachrichten nicht richtig gewichten und sich wegen ihrer befristeten Stellen keine Widerworte erlauben. „Hier sammelt sich nicht gerade die Kompetenz“, sagt ein Redakteur der Braunschweiger Zeitung.

Wenn die Gunst der Stunde genutzt wird, mit der Abschaffung von Ressortleitern Macht und Einfluss auf den Chefredakteur zu konzentrieren. Wenn Personal abgebaut wird und sich die Leistungsvorgaben für Blattmacher und Schreiber erhöhen. Wenn erfahrene Reporter eingespart werden und stattdessen schlecht bezahlte Freie Texte liefern oder Redakteure durch Layouter ersetzt werden, die in einem eigens ausgelagerten Betrieb beschäftigt sind.

Sparen an Meinungsvielfalt

Mit dem Newsdesk können Kosten gespart werden. Andersherum funktioniert es aber nicht: „Wer einen Newsdesk einrichtet, um zu sparen, wird scheitern“, warnt Michael Reinhard. Die Verlagsgruppe Rhein-Main hat ein einzigartiges Sparmodell entwickelt: Sie spart an der Meinungsvielfalt. Zeitgleich mit dem Newsdesk ist das Einquellenprinzip eingeführt worden. Zur Magistratspressekonferenz gehen nicht mehr eine Redakteurin vom Wiesbadener Kurier und ein Kollege vom Wiesbadener Tagblatt. Künftig holt einer die Informationen für beide Zeitungstitel. Am Desk wird der Artikel von den „Roten“ für den Kurier passend gemacht, von den „Blauen“ fürs Tagblatt. Der Leser weiß davon nichts. Erst wenn er seine Drohung wahrmacht, die eine Zeitung abbestellt und in der angeblichen Konkurrenz die gleichen Autorennamen wiederfindet, wird er die Mogelpackung bemerken. Professor Klaus Meier sieht darin ein Problem, wenn Verlage nicht allein Strukturen ändern und Qualität steigern, sondern sparen wollen. „Das macht die Idee vom Newsdesk zunichte.“

 

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