Die „Otto Brenner Preise für kritischen Journalismus“ wurden am 15. November 2016 in Berlin zum zwölften Mal verliehen. Den 1. Preis erhielten Frederik Obermaier und Bastian Obermayer von der „Süddeutschen Zeitung“. Die Jury würdigte damit ihren besonderen Einsatz bei Recherchen und Veröffentlichung der „Panama Papers – Die Geheimnisse des schmutzigen Geldes“. Der Preisverleihung voraus ging die medienpolitische Tagung der Otto-Brenner-Stiftung, die sich 2016 mit der Analyse von TV-Satiresendungen befasste.
Seit 2005 vergibt die Otto-Brenner-Stiftung die Journalistenpreise, um gesellschaftlich relevante, aber nicht ausreichend behandelte Themen in das Blickfeld der Öffentlichkeit zu rücken. Gemäß dem Motto des Namenspatrons, der Kritik und ständige demokratische Wachsamkeit für die erste Bürgerpflicht hielt, geht es bei dieser Würdigung journalistischer Leistungen vor allem um Zivilcourage und kritisches Hinterfragen.
Dazu ermutigte in ihrer Festrede die Autorin Mely Kiyak. Sie hielt der etablierten Gesellschaft seit Jahrzehnten wirkenden alltäglichen Rassismus vor. Das probate Mittel sei lange Zeit gewesen, offensichtliche Vorkommnisse als „Einzelfälle“ abzutun. „Über Rassismus und Diskriminierung traurig und wütend zu sein“, sei „Angelegenheit der Betroffenen“ gewesen. Das funktioniere noch immer, aber mittlerweile weniger gut, seit so viele Flüchtlinge ins Land gekommen seien. Es sei nun nötig, aus Minderheiten Mehrheiten zu machen. Rassismus laufe immer nach dem Muster Stigmatisierung, Segregation, Vertreibung, Vernichtung. „Gegenmittel“ sei es, den Kern aus euphemistischen Beschreibungen und neu belebten Begriffen zu schälen. Ansonsten laufe die Gesellschaft Gefahr, dass „die Grenze des Sagbaren immer weiter gedehnt“ werde. Kiyak forderte die Zuhörer auf, mutig zu sein.
Singuläre Leistung
Bei den „Panama Papers“ handelt es sich nach Auffassung der Jury um eine journalistische Großtat. Sie seien ein Unikat, was die internationale Dimension der Enthüllungen angeht, und der „Superlativ des transnationalen Journalismus“, weil hier mehr als 400 Journalisten konzentriert, verlässlich und verschwiegen zusammengearbeitet hätten. Doch bleibe die Leistung der beiden SZ-Reporter „singulär“. Bastian Obermayer nahm dafür den mit 10 000 Euro dotierten 1. Preis „Kritischer Journalismus – gründliche Recherche statt bestellter Wahrheiten“ entgegen.
Der 2. Preis mit 5.000 Euro ging an Julia Fritzsche (Bayerischer Rundfunk) und den freien Journalisten Sebastian Dörfler für das Radiostück „‚Prolls, Assis und Schmarotzer‘ – Warum unsere Gesellschaft die Armen verachtet“. Den 3. Preis und 3000 Euro Preisgeld erhielten Matthias Krupa und Caterina Lobenstein für den in „Die Zeit“ erschienenen Beitrag „Ein Mann pflückt gegen Europa“.
Mit dem Spezialpreis wurde Arno Widmann (DuMont Hauptstadtredaktion) für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Laudator und Jury-Mitglied Heribert Prantl würdigte ihn als einen „Weltenbetrachter und Weltenerklärer“ und „furchtlosen Journalisten“. Die freie Journalistin Laura Meschede erhielt für ihre multimediale „taz“-Reportage über Roma in Mazedonien den Newcomer-Preis. „Empathie ohne Kitsch“ und „Menschenrechtsthemen neu erzählt“ sah Laudatorin Sonia Seymour Mikich. Meschede spendet ihr Preisgeld der Roma-Familie, die sie in ihrer Reportage begleitete, für die notwendige Krebsbehandlung eines Sohnes. Otto-Brenner-Stiftung und IG Metall geben zusätzlich je 2000 Euro hinzu.
Im Wettbewerb um die Brenner-Preise zeichnet die Jury auch innovative und wegweisende Medienprojekte aus, 2016 „FragDenBundestag.de“. Auf der Plattform werden nun Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes öffentlich zugänglich gemacht. Außerdem wurde ein Recherchestipendium vergeben. Alle Preisträger und ihre Arbeiten sind ausführlich dokumentiert.
Aufklärende Momente im Quatsch
„Quatsch oder Aufklärung?“ wurde zuvor auf der jährlichen medienpolitischen Tagung der Otto-Brenner-Stiftung gefragt. Seit Jahren hat die „heute show“ regelmäßig mehr Fernsehzuschauer und eine größere Reichweite als das „heute journal“. Einzelne Ausgaben von „Die Anstalt“ entwickeln eine öffentliche Wucht, die manchem TV-Politikmagazin fehlt. „Extra 3“ hat es mit dem „Erdogan“-Song auf 10 Millionen Aufrufe bei YouTube geschafft. Worauf ist die gestiegene Aufmerksamkeit zurückzuführen? Liefern die Formate nur Unterhaltung oder tragen sie zur Aufklärung und politischen Willensbildung bei? Sind sie eine Bereicherung für das öffentlich-rechtliche TV-Angebot oder gar ein gebührenfinanzierter Beitrag zur Steigerung von Politikverdrossenheit? Diesen Fragen war Prof. Bernd Gäbler in einer Studie nachgegangen. Die Ergebnisse einer systematischen Auswertung aller Sendungen der drei Formate im ersten Halbjahr 2016 bildete auch die Grundlage der Debatte, zu der sich ein hochkarätig besetztes Podium versammelt hatte. Die Themenwahl hatte Jupp Legrand von der Geschäftsführung der Otto-Brenner-Stiftung zuvor damit begründet, dass TV-Politmagazine an Relevanz verlören. Es sei zu fragen, ob politische Satiresendungen an deren Stelle träten, ob also Satiriker die besseren Journalisten seien. Gleichzeitig sähen sich satirische Formate zunehmend der Kritik ausgesetzt, Politikverdrossenheit beim Publikum oder gar den Aufstieg der AfD zu befördern. Diesem Vorwurf widersprach Bernd Gäbler bereits in seiner Einführung. Sein Befund: „Eine bestimmte Art des Journalismus, Morsezeichen aus der Berlin-Blase“ beförderten die „Entfremdung zwischen den Abgehängten der Gesellschaft und Politikern mehr als Satiriker.“ Dem Erodieren des klassischen Journalismus mit immer stärker individualisierter Wahrnehmung stünde die Suche nach einem neuen Ort entgegen, an dem die Gesellschaft gemeinsam reflektieren könne. Da sei es erfreulich, wenn bei TV-Satire wenigstens „alle gemeinsam lachen“ könnten.
Journalistische Zweit- und Drittverwerter
Einig war sich das Podium schnell, dass Satiresendungen keine Konkurrenz zu politischer Berichterstattung darstellen. Bei Sendungen wie der „heute show“ handele es sich um “glänzende Unterhaltung, die aber nicht einmal besonders mutig“ sei, definierte Redakteur Albrecht von Lucke mit Bezug auf den Anspruch nach Aufklärung. „heute-show“-Moderator Oliver Welke pflichtete hinsichtlich des Mutes bei. Man mache „eine Mischform aus Satire und Comedy“, die auch – mitunter aus Versehen – „aufklärerische Momente biete“. Gäbler warf ein, dass sich 98 Prozent der von ihm untersuchten Beiträge direkt mit politischen Themen beschäftigt hätten. Und Dietrich Krauß von der Redaktion „Die Anstalt“ sprach von einer „stark journalistischen Wahrnehmung der Satire“. Doch debattiere hier niemand – wie die politischen Leitmedien – „was machtstrategisch“ hinter den Vorgängen stecke. Eine gewisse „Übersetzungsarbeit“ sei zu leisten, um „Fakten spannender aufzubereiten“. Der Ansatz der „Anstalt“ sei jedoch grundsätzlich mehr journalistisch als fiktiv.
Welke erklärte, dass es sich „nicht um eine neue Art von Journalismus“ handele, wohl aber um eine „Zweit- oder Drittverwertung journalistischer Arbeit“. Die wochenaktuelle Verarbeitung von Informationen verlaufe an den ersten beiden Tagen „wie bei einer normalen Magazinsendung“, erst dann frage sich das Team, „wie wir das witzig kriegen“. Nach der Rezeptur der Sendung gefragt, gab Welke an, die Themenlage sei von den aktuellen Ereignissen bestimmt: „Jede Institution oder Partei hat die Chance, in die heute show zu kommen, die FDP hat sie nur eine Weile besser als andere genutzt“. Doch strebe man nach einer „Mischung“, die auch thematisch eher Abseitiges ohne Tagesaktualität biete. Man müsse sein Publikum „auch immer wieder enttäuschen, wir dürfen nicht berechenbar sein“, erläuterte „Anstalts“-Autor von Lucke.
Zeit-Korrespondentin Miriam Lau fragte die Satire-Experten nach der Rolle von Selbstironie. Welke: „Ich sehe mich nicht nur in der Austeiler-Rolle, man muss auch einstecken können.“ Man benenne auch eigene Widersprüchlichkeiten und vermeide bewusst einen „Predigergestus“, so von Lucke. Ironie sei auch „Ausdruck von Zeitgeist“, beschwichtige und sei damit sogar „teilweise anti-aufklärerisch“. Moderator Thomas Leif diagnostizierte die Aufgabe der Satiresendungen in „Dekonstruktion von Politik“, das sei „urdemokratisch“. Ein „Desinteresse an Fakten“ und schlechte Recherche warf von Lucke in Zeiten seichter Unterhaltung den klassischen Journalisten vor. Das habe „ganz viel mit den Arbeitsbedingungen zu tun“ erklärte die freie Medienkritikerin Silke Burmester, die es nicht mehr gestatteten, „an Dingen lange und hintergründig zu arbeiten“. Den „Quotendruck“ brachte ein Frager aus dem Publikum in die Debatte. Oliver Welke sah sich weitgehend frei davon. Man habe beim ZDF Zeit und Möglichkeiten erhalten, sich über sieben Jahre ein Publikum „zu erspielen“. Einziges Kriterium der Macher sei: „Würden wir uns den Quatsch selber angucken?“